Mit Riesen-Akku

Renault Scenic: Das perfekte Familien-Auto? Fast …

Motor
17.03.2024 15:52

Nach 27 Jahren, vier Generationen und 5,4 Millionen verkauften Exemplaren gibt Renault den Erfolgs-Kompakt-Van Scenic auf – und lässt ihn in der fünften Auflage zum erstaunlich geräumigen Elektro-Kompakt-SUV mutieren – mit Riesen-Akku, Riesen-Reichweite, aber leider auch Riesen-Ladezeit.

(Bild: kmm)

Die Franzosen ziehen die Umdeutung der Nomenklatur durch. Nach dem Espace fällt mit dem Scenic nun also der nächste Van dem Zeitgeist zum Opfer. Halb so wild, kann man sagen, denn der Scenic ist auch als SUV ein echter Familienfreund.

Anders als im 27 Zentimeter kürzeren Kompakt-Bruder Megane bietet der 4,47 Meter lange und 1,57 m hohe Neuling opulente Platzverhältnisse, einerseits auf der Rückbank (Radstand: 2,78 m), andererseits im Kofferraum. Dieser bildet eine derart tiefe Höhle, dass man beim Öffnen der Heckklappe beinahe hineinrufen möchte – in Erwartung eines Echos. 545 Liter passen hinein, ein Teil davon in das Fach unter der Extraklappe im Boden.

(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)

Mega-Kofferraum, aber etwas fehlt
Leider ist die Ladekante sehr hoch – und zwar außen und innen, denn es ist kein doppelter Boden erhältlich. Daher müssen schwere Gegenstände nicht nur hoch gehoben, sondern auch tief in den Laderaum hineingewuchtet werden (was aufs Kreuz geht). Klappt man die Rücksitzlehnen um, erhält man ein Gesamtvolumen von beachtlichen 1670 Liter. Für normales Gepäck ist also viel Platz vorhanden. Für sperrige Gegenstände – etwa vom Einkauf im Möbelhaus – würde man sich wieder einen doppelten Boden wünschen, denn die Stufe, die sie Sitze bilden, ist gigantisch.

Klappt man die Rücksitzlehnen um, bleibt eine dicke Stufe. Insgesamt passen hinter die hohe Ladekante 1670 Liter. (Bild: Renault)
Klappt man die Rücksitzlehnen um, bleibt eine dicke Stufe. Insgesamt passen hinter die hohe Ladekante 1670 Liter.
Unter dem Kofferraum befindet sich noch ein Extrafach. (Bild: Stephan Schätzl)
Unter dem Kofferraum befindet sich noch ein Extrafach.

Sehr digital, aber viele echte Knöpfe
Der Innenraum ist sehr geschmackvoll und wertig designt, die Türverkleidung geht harmonisch ins Armaturenbrett über. Die Materialien sind (jedenfalls in der getesteten Version Iconic) hochwertig (siehe Video), es ist nur wenig hartes Plastik zu finden. Vieles ist recycliert. Störend ist nur das Eck der Handyablage, das für eine Druckstelle am Knie des Fahrers sorgt.

Im Cockpit bringt der Renault Scenic einen guten Mix aus moderner Digitalität und analogen Tasten und Knöpfen mit, welche die Bedienung erleichtern. Klimaanlage und Audiosystem haben eigene Bedienelemente unterhalb des 12 Zoll großen zentralen Touchscreen (Basis: 9 Zoll). Auch am Lenkrad keine Touchflächen, sondern echte Tasten und Kippschalter.

(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Renault)

Damit wird auch der 12,3-Zoll-Tachoscreen bedient, der unterschiedliche Themen darstellen kann, darunter eine fast formatfüllende Navikarte. Alles nichts für Fans klassischer Armaturenbretter, aber sehr übersichtlich. Unter anderem findet man da auch eine Anzeige, die drei mögliche Restreichweiten anzeigt: die nach WLTP zu erwartende als Topwert, einen Minimalwert, der sich aus reiner Autobahnfahrt ergibt, sowie den Realwert, der sich aus den zuletzt gefahrenen 70 Kilometern errechnet.

Pragmatische Funktionen
Ein Highlight ist eine Taste links vom Lenkrad am Armaturenbrett, mit der man sein persönliches Assistentenprofil abrufen kann. So kann man also mit einem Doppelknopfdruck z.B. die lästigen Pflichtfunktionen aktiver Spurhalteassistent und Tempolimitwarner abschalten.

Wenn der Balken leuchtet, sind Tempowarner & Co. aktiv. Mit der Taste kann man sie abschalten. (Bild: Stephan Schätzl)
Wenn der Balken leuchtet, sind Tempowarner & Co. aktiv. Mit der Taste kann man sie abschalten.

Ebenso praxisorientiert und fahrerfreundlich: Mit Lenkradpaddels lassen sich (ab dem zweiten Ausstattungsniveau Techno) vier Rekuperationsstufen abrufen. Im Basismodell kann man nur über den Fahrwahlhebel zwischen zwei Rekuperationsmodi wählen (D oder B).

Gewöhnungsbedürftig ist die Ansammlung von Lenkstockhebeln auf der rechten Seite. Der oberste ist für die Fahrstufen zuständig.

Wie viele Lenkstockhebel passen hinters Lenkrad? Renault: Ja. (Bild: Stephan Schätzl)
Wie viele Lenkstockhebel passen hinters Lenkrad? Renault: Ja.

Google allüberall
Das Bediensystem ist insgesamt recht übersichtlich, wenn man sich etwas damit befasst hat. Es basiert auf der aktuellen Android-Automotive-Version 12, Google ist also allgegenwärtig. Das zahlt sich insbesondere bei der Navigation aus (allerdings kostet das Google-Navi für die Basisausstattung Evolution 800 Euro). Blitzschnell sind Routen berechnet, die Karte lässt sich verzögerungsfrei verschieben und ein-/auszoomen. Ladestopps werden automatisch berechnet und jeweils mit vorkonditioniertem Akku angesteuert.

Zwei Motoren, zwei Akkus, Immer Frontantrieb
An dieser Stelle führen wir den vollständigen Namen des hier beschriebenen Fahrzeugs ein: Renault Scenic E-Tech Electric. Den Antrieb besorgt in jedem Fall ein stromerregter Synchronmotor an der Vorderachse, der in der 1767 kg leichten Basis 125 kW/170 PS leistet und dort mit dem kleineren der beiden verfügbaren Akkus verbunden ist. Der speichert netto 60 kWh, was nach WLTP für 430 Kilometer gut ist. Der Standardsprint wird mit 8,6 Sekunden angegeben, das Höchsttempo ist auf gerade mal 150 km/h begrenzt. Das ist nicht viel, aber mehr, als außerhalb Deutschlands erlaubt ist.

(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)
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(Bild: Stephan Schätzl)

Spritziger und vor allem reichweitenstärker ist die zweite Antriebsoption, die mit 1852 kg ebenfalls verhältnismäßig leicht ist: Hier leistet der Motor 160 kW/218 PS, nach 7,9 Sekunden ist Tempo 100 erreicht und abgeregelt wird erst bei 170 km/h. Der Akku ist für die Klasse rekordverdächtig groß: Mit 87 kWh soll er 625 Kilometer schaffen. Der Verbrauch wird mit 16,8 kWh/100 km angegeben (Basis: 16,3).

Als Ladeleistung stellt Renault maximal 130 bzw. 150 Kilowatt ins Schaufenster. Na ja. Pferdefuß an der Sache ist die lange Ladezeit. Die ist so lang, dass die Franzosen gar keine Dauer für das Laden von 10 bis 80 Prozent SOC (Ladestand) angeben. Das wäre eigentlich der allgemein übliche Vergleichswert. Von 15 bis 80 Prozent soll es beim Basisantrieb 32 Minuten dauern, beim großen Akku sogar 37 Minuten. Das bedeutet also wahrscheinlich mehr als 40 Minuten von 10 bis 80 Prozent. Angegeben wird hingegen die Dauer des Ladevorgangs von 0 bis 100 Prozent: 1:07 bzw. 1:19 Stunden.

Zwei Dinge sind allerdings vorbildlich: Serienmäßig sind sowohl die Wärmepumpe als auch der 22-kW-Lader an Bord.

Testfahrt im starken Modell
Aus dem Stand geht es relativ verhalten los, der Fahrer wird die mitfahrende Familie also auch bei schwerem rechtem Fuß nicht aus der Ruhe bringen. Trotzdem neigen die angetriebenen Vorderräder zum Zerren. Ist man in Bewegung, spürt man mehr von der unvermittelt abrufbaren Kraft des Antriebs. Dabei ist ein leises Sirren aus dem Motor zu vernehmen. Windgeräusche werden hingegen erst bei Autobahntempo relevant.

Das Fahrwerk ist angenehm komfortabel ausgelegt. Weder Pockenasphalt noch Temposchwellen dringen lästig durch. Dennoch liegt der Scenic satt auf der Straße, neigt jedoch etwas zum Untersteuern.

Die Lenkung ist recht direkt, schafft aber nur im Sportmodus eine gewisse Verbindlichkeit zwischen Fahrer und Fahrbahn. Das Bremsgefühl ist insbesondere beim Anhalten etwas indifferent und gewöhnungsbedürftig.

Die Preise
Im Juni kommt der Scenic zu den Händlern. Der Basispreis für den „Renault Scenic E-Tech Electric Evolution 170 PS comfort range“ (das ist wirklich der korrekte Name!) beträgt 41.890 Euro, abzüglich 5400 Euro Förderung. Zum Realpreis von 36.490 Euro bekommt man den 60-kWh-Akku samt Wärmepumpe und 22-kW-Lader, Parkpiepser hinten, eine Menge Elektronik bis hin zum Adaptivtempomaten oder Zweizonenklima, außerdem 19-Zoll-Räder. Navi, Reku-Paddles, elektrische Heckklappe etc. sind ab Techno an Bord, also gegen 4000 Euro Aufpreis. Gegen weitere 3000 Euro Aufpreis bekommt man den Top-Antrieb dazu (48.990 Euro).

Die beiden Top-Ausstattungen sind nur mit dem Top-Antrieb erhältlich. Esprit Alpine bringt ab 50.890 Euro etwas versportlichte Optik, Sportsitze oder auch 20-Zöller mit. Aber noch immer keine Sitzheitung. Die ist bei Iconic Serie, wie auch sonst eine Menge feine Dinge bis hin zum Harman-Kardon-Sound. Preis: 52.390 Euro. 1500 Euro extra kostet das selbstdimmende (aber nicht zu öffnende) Glaspanoramadach. LED-Matrix-Fernlicht oder Head-up-Display stehen generell nicht zur Verfügung.

Fahrzit
Ein Van ist er nicht mehr, der Scenic, aber er bietet auch in seiner fünften Generation viel Platz für die ganze Familie – und das auf relativ geringer Grundfläche. Mit dem fehlenden doppelten Boden im Kofferraum verschenken die Franzosen aber Potential. Das Gleiche gilt für die langen Ladezeiten. Auf der Habenseite steht jedoch der große Akku mit 625 Kilometer WLTP-Reichweite. Sein Bedienkonzept ist durchdacht, Rekuperationspaddles und der zentrale Abschaltknopf für lästige Assistenzsysteme stechen besonders heraus. So ist der Renault Scenic mit Abstrichen in Details ein sehr gelungener Familienstromer.

Warum?
Tolle Reichweite
Viel Platz
Gutes Bedienkonzept mit feinen Details

Warum nicht?
Störende Kante am Fahrerplatz
Lange Ladezeiten

Oder vielleicht ...
... VW ID.4, Audi Q4 e-tron etc.

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