Prozess beobachtet

Experte widerruft Urteil: “Breivik doch nicht verrückt”

Ausland
27.04.2012 16:44
Er ist der berühmteste Psychiater Norwegens - und gibt jetzt zu, dass er sich geirrt hat. Noch vor zwei Wochen war Einar Kringlen (kleines Bild) felsenfest davon überzeugt, dass Anders Breivik psychisch krank ist. Doch nun sagt er: "Breivik mag paranoide Züge haben, aber psychotisch ist er sicherlich nicht." Ein Triumph für den 77-fachen Mörder, der immer wollte, dass er für "normal" befunden wird.

Ganze Generationen von Psychiatern hat Einar Kringlen ausgebildet. Seit 45 Jahren unterrichtet er Studenten an der Universität von Oslo und an anderen Hochschulen. Obendrein hat er das norwegische Standardwerk seines Lehrbereichs verfasst. Doch der Fall Breivik bringt selbst dieses "Denkmal" ins Wanken.

Der 80-Jährige verfolgt den Prozess zwar nur aus privatem Interesse, dient den norwegischen Medien aber immer wieder als hoch geschätzter Experte. Vor zwei Wochen hatte er in einem Interview behauptet: "Es besteht kein Zweifel daran, dass Anders Breivik psychisch krank ist. Er hat eine schwere Psychose und ist deswegen nicht schuldfähig." Doch nun korrigiert der Professor seine Einschätzung.

"Habe mich noch nie so getäuscht"
Auslöser für den Sinneswandel war, dass er Breivik bei der Verhandlung von Angesicht zu Angesicht erlebte. "Ich war die vergangenen zwei Tage vor Ort. Es war sehr aufschlussreich, sein Reden und Handeln zu beobachten. Was ich gesehen habe, hat mich zum Nachdenken gebracht", sagte Kringlen jetzt dem staatlichen Fernsehsender NRK. "Durch die Berichte in der Zeitung hatte ich einen falschen Eindruck von dem Attentäter."

Am meisten überraschte Kringlen, wie klar Breivik während des Prozesses wirkt. "Er kann dem Geschehen folgen und gibt passende Antworten, wenn er gefragt wird. Er reagiert wenn nötig flexibel und wirkt großteils entspannt. All das sind keine Anzeichen für einen Menschen, der eine Psychose hat. Noch nie habe ich meine Meinung in einem Fall so radikal geändert", fügt er hinzu.

Gehen Breivik alle nur auf den Leim?
Aber ist Breivik vielleicht nur schlau genug, um ein Normalsein vorzuspielen? Gehen ihm die Experten also nur auf den Leim? "Die Möglichkeit besteht theoretisch natürlich, aber faktisch ist sie sehr gering", sagt Kringlen. "Meine Einschätzung ist, dass Breivik zwar paranoide Züge aufweist, aber sicherlich nicht psychotisch ist."

Hintergrund der Debatte um Breiviks Zurechnungsfähigkeit ist der Wunsch des Attentäters, für "normal" befunden zu werden. Eine Einweisung in die Psychiatrie wäre für ihn "schlimmer als der Tod", hatte Breivik kürzlich behauptet. Derzeit liegen dem Gericht zwei widersprüchliche Gutachten zum Geisteszustand des 33-Jährigen vor. Deswegen verfolgen vier Gutachter den Prozess, um sich ein abschließendes Urteil bilden zu können.

Beinamputiertes Opfer schildert seine Leiden
Am Freitag, dem zehnten Prozesstag, schilderten erneut Opfer des Oslo-Anschlags ihre Leiden. "Ich habe vor allem Todesangst empfunden, weniger körperlichen Schmerz", sagte der Regierungsbeamte Tore Raasok, dem nach dem Attentat ein Bein amputiert werden musste. Als er drei Wochen später von dem Utöya-Massaker erfuhr, habe er weinen müssen, erklärte Raasok, dessen Aussage zahlreiche Zuschauer im Gerichtssaal zu Tränen rührte.

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