Video als Beweis

Türkei: Skandal um Frau verprügelnde Polizisten

Ausland
16.12.2011 13:54
Der Mann holt mit der flachen Hand aus. Immer wieder schlägt er der Frau, die vor ihm steht, kräftig ins Gesicht. Hin und wieder halten er und ein zweiter Mann die Frau am Hals und an den Haaren fest und drücken sie an die Wand, während sie weiter zuschlagen. Sie werfen die Frau zu Boden, fesseln ihr die Hände auf den Rücken, richten sie wieder auf. Dann setzt es wieder Hiebe. Die Szene aus den Aufnahmen einer Überwachungskamera stammt nicht etwa von einem Raubüberfall. Die Männer sind keine Kriminellen - sondern türkische Zivilpolizisten beim Verhör.

Fevziye Cengiz war den Polizisten bereits im Sommer bei einer Ausweiskontrolle in einem Lokal im westtürkischen Izmir aufgefallen. Die 37-Jährige hatte ihren Ausweis nicht bei sich und musste zur Wache, wo die erst jetzt bekannt gewordenen Videoaufnahmen entstanden. Der Fall sorgt für Empörung - auch, weil der Skandal keinesfalls mit den Schlägen auf der Wache endete.

Staatsanwaltschaft fordert Haftstrafe für Opfer
Cengiz zieht gegen die Zivilbeamten vor Gericht, im Februar soll der Prozess beginnen, bei dem die Prügelszenen als Beweismittel dienen. Vom Dienst suspendiert wurden die zwei Beamten erst, als die Zeitung "Vatan" jetzt über den Fall berichtete. Doch trotz der eindeutigen Bilder wehren sich die Polizisten mit einer Strafanzeige gegen ihr Opfer: Sie seien von der Frau attackiert worden. Die Staatsanwaltschaft will nun die beiden Beamten mit jeweils eineinhalb Jahren Haft bestrafen lassen - für Cengiz hingegen fordert die Anklage wegen Gegenwehr und Beamtenbeleidigung bis zu sechseinhalb Jahre Gefängnis.

Der aktuelle Fall bringt eine tief verwurzelte Verbindung aus Korpsgeist, Verschleierung und Verachtung für Gesetze und Bürger bei türkischen Beamten ans Tageslicht. Allein im vergangenen Jahr gingen bei Menschenrechtlern Folterberichte von fast 500 Betroffenen ein. Und auch in Izmir hatte offenbar niemand bei Polizei, Ärzten oder Justiz ein Problem damit, dass türkische Beamte eine mit Handschellen gefesselte Frau verprügeln. Das Video ging zwar in die Akten ein und war den mit dem Fall befassten Behördenvertretern bekannt - doch vom Sommer bis zum nunmehrigen Bericht in "Vatan" geschah nichts.

Jetzt, da der Skandal öffentlich wurde, entdecken die Behörden plötzlich ihr Bekenntnis zum Rechtsstaat. Gleich mehrere Untersuchungen sind angelaufen. Das Innenministerium in Ankara schickte Sonderermittler nach Izmir. Ein Kontrollorgan der Justiz nimmt sich den ermittelnden Staatsanwalt vor, der die Bilder der Überwachungskameras zwar kannte, aber ignorierte. Und die Ärztekammer fragt, wie es sein kann, dass ein von Cengiz aufgesuchter Arzt in einem Bericht an die Staatsanwaltschaft erklärte, es gebe keinerlei Hinweise auf Gewalteinwirkung - obwohl Fotos der Frau klar Abschürfungen und andere Wunden in ihrem von den Schlägen geröteten Gesicht zeigen.

"Das zeigt, dass das die normale Methode ist"
Doch damit nicht genug: Metin Bakkalci, Generalsekretär der türkischen Menschenrechtsstiftung TIHV, macht auf eine weitere Person aufmerksam, die in dem Video zu sehen ist. Ein Polizist in Uniform geht seelenruhig seiner Arbeit nach, während Fevziye Cengiz im selben Zimmer geschlagen wird. "Und dieser Polizist wundert sich offenbar überhaupt nicht darüber, was da abläuft", sagte Bakkalci am Freitag. "Das zeigt, dass das die normale Methode ist."

Für Menschenrechtler offenbart sich hier ein unheilvoller Trend: Seit dem Ende der Reformjahre in der ersten Hälfte des letzten Jahrzehnts geht es in Sachen Bürgerrechte nicht mehr voran. Die funktionierende Überwachungskamera auf der Polizeistation und die Reaktion der Medien auf den Skandal sind zwar Zeichen dafür, dass sich in der Türkei einiges verändert hat. Doch die Mentalität vieler Staatsdiener ist dieselbe geblieben. So berichten Cengiz und ihr Mann in "Vatan" von Schikanen der Polizei. Die Beamten hätten Gerüchte gestreut, die Frau sei eine Prostituierte und ihr Mann verkaufe geschmuggelte Zigaretten. Beweise für ihre Behauptungen konnten sie jedoch nicht liefern.

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