„Songs Of Surrender“

Pop-Legenden U2: Vorbereitung auf die Rentenshows

Musik
21.03.2023 09:00

Nach fast 50 Jahren Gemeinschaft bereiten sich die irischen Pop-Legenden U2 langsam auf die Rente vor. Für „Songs Of Surrender“ haben sie 40 ihrer großen Lieder verformt, neu arrangiert und neu eingespielt. Das Ergebnis ist eine pathetische und viel Bono-Egozentrik getragene Werkschau im Akustikmantel.

(Bild: kmm)

TribU2, theU2s, U2fly oder One Tree Hill - es gibt weltweit unzählige Coverbands der irischen Pop-Legenden U2, die sich vor 47 Jahren in Dublin formierten und vor allem in den 80er- und beginnenden 90er-Jahren ein ganzes Genre neu vitalisierten und mit unvergessenen Kultalben wie „War“, „The Joshua Tree“ oder „Achtung Baby“ aufzuwarten wussten. Danach wurden sie langsam aber sicher zur Stadionband, was bedeutet: Besucher- und Verkaufszahlen steigen, der kreative Output lässt qualitativ aber zunehmend nach. In ihrem unbändigen Selbstvertrauen wagten Bono und Co. 2014 beim Album „Songs Of Innocence“ gar das Undenkbare und zwangen alle iTunes-Nutzer dazu, sich das Album anhören zu müssen. Ein selbst für Musikbusiness-Verhältnisse massiver Shitstorm war die Folge, für den sich die Band zu Kreuze kriechend entschuldigte. Plötzlich waren die nicht enden wollenden Polit-Tiraden des Frontmannes bei teuren Konzerten wie vergessen, denn denen konnte man ja immerhin noch ausweichen.

Lagerfeuer-Symbolik
Während die eingangs erwähnten Coverbands seit Jahr und Tag Hochzeiten und Zeltfeste bespielen, versuchen sich nun die Pioniere selbst an ihrem eigenen Liedgut. Während der Pandemie kam den fadisierten Multimillionären Bono und Gitarrist The Edge die bahnbrechende Idee, den mehr als 40 Jahre alten Backkatalog zu scannen, Songs auszuwählen und sie dann neu aufzunehmen und zu arrangieren. Das ist natürlich wesentlich einfacher und billiger als ein neues Studioalbum zu schreiben, auch wenn das letzte schon ganze sechs Jahre zurückliegt. Business-Fuchs Bono weiß natürlich genau, dass die Fans mit neuen Songs ohnehin wenig anfangen und sich lieber zu alten Hadern in den Schlaf weinen oder die Nächte durchfeiern. Partystimmung ist bei der 40 Songs starken Riesen-Compilation „Songs Of Surrender“ aber nicht angesagt, denn U2 haben sich für die Lagerfeuer-Variante entschieden und die Tracks „stripped down“ eingespielt.

Fast drei Stunden lang bekommen lang gediente Fans und wohlwollende Interessenten die musikalische Enzyklopädie ihrer Helden dargereicht. Dass die Werkschau mit „One“ beginnt und dem Song „40“ endet, ist ein augenzwinkernd gewähltes Spezifikum, das sich die beiden hauptverantwortlichen Bandköpfe sicher kichernd in einem der vielen Studios einfallen ließen. Umgeschrieben und arrangiert wurde im Domizil von The Edge in Frankreich, neu eingespielt und aufgenommen in London und Los Angeles. Klima-Nachhaltigkeit war dem sonst so umweltbewussten Bono offenbar egal, dafür hat man ordentlich im Budgetsäckel gerührt, um verdiente Produzenten aus unterschiedlichsten Soundwelten zu integrieren. Bob Ezrin, Daniel Lanois, Stjepan Hauser oder Brian Eno zählen da etwa dazu. Interessant, dass sie alle nichts gegen die allumfassende Fadesse im Endergebnis unternommen haben.

Erweiterung der Lesetour
Angelehnt ist das Album an Bonos im Vorjahr erschienenen Memoiren „Surrender: 40 Songs, One Story“, bei denen man zeitweise das Gefühl hat, man würde einem unfehlbaren Genie mit Gotteskomplex auf seinem Lebensweg begleiten. Dieses verlustig gegangene Gefühl für Selbstkritik war in den letzten Jahren öfters Grund dafür, dass selbst eingeschworene U2-Hardliner langsam die Lust an ihren Helden verloren haben. Akustisch vorgetragene Songs hat Bono zuletzt schon auf seiner Lesetour zum Besten gegeben, doch im Gesamtpaket sieht das Ganze dann doch noch einmal ganz anders aus. Ursprünglich stammt die Idee zu den vier Platten von The Edge, der sich schon vor geraumer Zeit ausmalte, wie die großen Klassiker klingen würden, wenn man sie im intimen Rahmen einspielt und der Hörer das Gefühl hätte, Bono würde ihm im Ohr sitzen. Horrorvision oder Balsam für die Gehörgänge? Es möge jeder selbst entscheiden.

Getreu dem Motto „in der Ruhe liegt die Kraft“ versteigen sich die gediegenen Mittsechziger nicht in erhöhte Temposphären, sondern lassen ihren meist schon im Original sehr melodisch bzw. melancholisch gehaltenen Songs genug Raum, um sich bedächtig anzuschmiegen. Nur selten geht man über Piano, Akustikgitarre und Bonos nasale Stimme hinaus, doch gerade in Momenten wie bei „11 O’Clock Tick Tock“ aus der ganz frühen Frühphase der Band zeigt sich, dass ein bisschen mehr Schwung und Verve richtig guttut. Nun kann man auch vermuten, dass sich U2 mit „Songs Of Surrender“ schon leise für die Zeit nach den großen Stadiontourneen rüsten. Wenn die Motorik nicht mehr alles bereitwillig mitmacht und man dem Alter Tribut zollen muss, dann bleibt immer noch eine hervorragend aufeinander eingespielte Band mit hervorragendem Liedgut, die ihre Preziosen auf Barhockern sitzend in muffigen Jazz-Clubs zum Besten geben kann.

Unheil ohne Zwang
Doch das Unheil liegt in den Details. Drei Stunden lang dem reduzierten Klangkosmos der Iren zu lauschen ist selbst für ältere Semester außerhalb der Generation TikTok-Aufmerksamkeitsspanne kaum zu bewerkstelligen. Dazu werden ohnehin schon schwülstige Songs wie „Beautiful Day“, „Stuck In A Moment You Can’t Get Out Of“ oder „If God Will Send His Angels“ dermaßen pathetisch und gesüßt dargeboten, dass sich die Karies auch ohne extra Zuckerzusatz in den Backenzähnen erweitert. Ein bisschen Hall, etwas Pianogeklimper, vielleicht noch eine Spur Percussion und immer wieder Bono, Bono, Bono - der sich bei den „Songs Of Surrender“ noch stärker ins Zentrum der Welt rückt, als er es ohnehin schon immer tat. Ob die Welt noch ein neues Studioalbum von U2 braucht, lässt sich bezweifeln. Eine Karriererückschau im zurückgelehnten Akustikmantel ist aber auch nicht viel besser. Wenigstens wird sie einem nicht aufgezwungen.

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