Album „Oxymore“

Jean-Michel Jarre: Techno-Urknall im 3D-Sound

Musik
24.10.2022 06:01

Ungehemmter Techno, fragmentarische und verschachtelte Klänge und knisterndes Kaminfeuer als kinoähnliches Surround-Erlebnis: Mit „Oxymore“ macht Jean-Michel Jarre seinem Namen als Avantgarde-Musiker alle Ehre. Das Album basiere auf der Zukunft, sagte Jarre der Deutschen Presse-Agentur in London. Denn die Art und Weise, wie er komponiert habe, habe ihn daran erinnert, wie er sich fühlte, als er Ende der 60er- und Anfang der 70er-Jahre mit der elektronischen Musik begann.

(Bild: kmm)

Damals revolutionierte er mit Synthesizersounds die Musikwelt. „Oxymore“ ist das 22. Album des Pioniers der E-Musik und das erste, bei dem die 3D-Technik voll zum Einsatz kommt, die einen völlig in die Klangwelt eintauchen lässt: Das Rascheln der Blätter und Rauschen von Wasser werden erlebbar. Jarres Überzeugung: Immersive Klänge werden die Stile des 21. Jahrhunderts bestimmen. Er fühle sich privilegiert, Zeuge und Akteur dreier revolutionärer Momente in der Musikgeschichte gewesen zu sein, erzählte er weiter. Und führte auf: die Anfänge der elektronischen Musik, die Entstehung des digitalen Zeitalters und jetzt der Beginn immersiver Klänge.

Subtil und abwechslungsreich
Die elf Tracks sind komplett neue Kompositionen mit abwechslungsreichen Rhythmen. Sanfte und subtile Klangkompositionen lösen rohe und kraftvolle Sounds ab. So beginnt der erste Titel „Agora“ mit Geräuschen von einer knisternden und ruhigen Feuerstelle, von aufprallendem Regen und verzerrten Vocals des französischen Komponisten Pierre Henry.

Worte und Satzverstücke des 2017 verstorbenen Musikers finden sich auch in „Zeitgeist“ wieder, denn Henry spielte eine bedeutende Rolle in der rund 50-jährigen Karriere von Jarre. Henry gilt als Wegbereiter der elektronischen Musik und der musique concrète, einer Kompositionstechnik, bei der Klänge aus Natur, Technik und Alltagsleben elektronisch aufgenommen und zu Klangmontagen gestaltet werden. Henry war einer von Jarres Mentoren. Was er heute sei, habe er diesem zu verdanken, sagte Jarre nach Henrys Tod dem französischen Radiosender France Info.

Auf der Suche nach dem Techno-Urknall
Jarre hatte auch an einem Projekt mitgearbeitet, für das Henry Fragmente und Samples geschaffen hatte, die Jarre nun zu „Oxymore“ inspiriert haben. Für Jarre ist das Album deshalb auch eine Hommage an Henry und an das Konzept der musique concrète, das Jarre, wie er selber sagt, mit den Mitteln von heute neu erfindet. Der als Leadsingle ausgekoppelte Track „Brutalism“ ist wohl das raueste Stück. Es ist tosender Techno. Jarre vergleicht die Komposition im dpa-Gespräch mit einer Art Urknall des Berliner Techno. „Mich hat die Idee inspiriert, was die Entstehung von Technomusik sein könnte“, sagte er. Dabei habe er natürlich auch an den Fall der Berliner Mauer gedacht, der als Geburtsstunde der Berliner Technokultur gilt. „Der Begriff Chaos wäre für mich ein durchaus passendes Konzept für ‘Brutalism‘.“

Jarre glaubt an virtuelle Welten. Als Avatar gab er 2020 in der Silvester-Nacht in der Pariser Notre-Dame live und virtuell das 45-minütige Konzert „Welcome To The Other Side“. Für sein neues Album hat der Musiker Oxyville geschaffen, eine Musikstadt, die, wie er meint, irgendwo zwischen Metropolis und Sin City, also Las Vegas, liegt. Die virtuelle Metropole, in der man sich im Internet bewegen und sogar ein Konzert von Jarre erleben kann, besteht aus kaputten Teilen analoger Synthesizer und alten Tonbandgeräten. Eine Musikstadt, in der man herumschlendern kann und von der er sich vorstellen könne, dass junge Musiker mit eigenen Avataren einige Zeit dort zusammenarbeiten könnten. Um „Oxymore“ voll auszukosten, muss man die Platte über Kopfhörer im Internetstream hören - den Zugang gibt es beim Kauf dazu. Auf Vinyl oder CD ist nämlich nur die vereinfachte Stereoversion zu hören.

Neue Herangehensweise
„Oxymore“ hat nicht mehr viel mit Jarres Klassikern „Oxygene“ und „Equinoxe“ zu tun. Es gibt keine poppigen Elektrosounds und gefällige Orgel-Phaser-Klänge. Die transformierten Stimmen erinnern zwar noch an das Album „Zoolook“, doch „Oxymore“ ist viel hektischer, weniger melodisch. Die Sequenzen sind nicht gleich und folgen aufeinander wie eine surrealistische Collage. Das Album dürfte zu den interessantesten der vergangenen Jahre zählen.

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