Erfolg mit Krach

Mantar: „Wir haben absolut nichts zu verlieren“

Musik
08.08.2022 06:01

Die Pandemie und eine Pechsträhne voller Verletzungen hätten dem deutschen Extreme-Metal-Gespann Mantar fast das Leben gekostet. Anstatt die Flinte ins Korn zu werfen, habe sich Hanno Klänhardt und Freund Erinç Sakarya am Riemen gerissen und mit dem vierten Album „Pain Is Forever And This Is The End“ die deutschen Charts aufgerollt. Wie kann man mit einer Mischung aus Noise, Black Metal, Grunge und Sludge soweit kommen und warum ist Nihilismus ein guter Motivator? Die beiden klären im Gespräch auf.

(Bild: kmm)

Wer sich unlängst in den deutschen Albumcharts tummelte und nicht allzu häufig in den Untiefen der extremen Metal-Szene eintaucht, der wusste mit dem Begriff Mantar wahrscheinlich wenig anzufangen. Das türkische Wort für Pilz gilt dem Bremer Duo Hanno Klänhardt (Gesang, Gitarre) und Erinç Sakarya (Schlagzeug), die exakt zehn Jahre nach der Bandgründung mit ihrem vierten Album „Pain Is Forever And This Is The End“ ebendort auf Platz zwei landeten. Freilich ist der Sommer keine Zeit, in der Schwergewichte wie Helene Fischer, Adele oder Andreas Gabalier neue Alben veröffentlichen, der Sturm an die Spitze über das Metal-Indielabel Metal Blade Records überraschte dann aber doch so manchen, der mit dem bollernden Duo bislang wenig am Hut hatte. Das ist auch insofern speziell, als dass es lange nicht sicher war, ob es die Band denn überhaupt noch geben würde.

Musizierende Obdachlose
Als die beiden Jugendfreunde das Projekt gründeten, reichten die Ambitionen gerade für eine Kassettendemo und ein Konzert in Hamburg. Da es musikalisch und auch menschlich allerdings mehr als gut funktionierte, wurde über die Jahre ein Schritt nach dem anderen gesetzt und Mantar wurden nicht nur zu einem der aufregendsten Live-Acts im Metal-Underground, sondern brillierten auch mit durchdachten, krachenden Platten, die weder vor Sludge und Noise, noch vor Hardcore und Black Metal zurücksteckten. In den Anfängen dachte eine Frau vor einem Gig einst, die beiden wären obdachlos und lud sie kurzerhand zum Essen ein. „Sie ließ uns waschen und essen und war sich ganz sicher, eine gute Samariterin zu sein“, lacht Klänhardt im „Krone“-Gespräch, „das war aber ein großes Missverständnis, denn wir waren einfach nur eine Band auf Tour.“

Das Asi-Image pflegen die beiden Norddeutschen mit großer Liebe, räumlich ist man bereits länger voneinander getrennt, denn Klänhardt zog schon vor Jahren nach Florida, während Sakarya in der Heimat blieb. Die Pandemie und die damit einhergegangenen Branchenveränderungen hätten die Band fast zerstört, wie man in diversen aktuellen Gesprächen bekanntgab. Dann riss sich Klänhardt in Alltagssituationen ohne Krankenversicherung erst Meniskus und dann Kreuzband und so stand das Gespann vor knapp zwei Jahren am Scheideweg. Sakarya war es zu verdanken, dass er seinen Kompagnon noch einmal motivieren konnte, ein vielleicht letztes Album einzuspielen. Der durchaus lebensverneinende Albumtitel spricht Bände, von einem endgültigen Ende will man aber nicht reden, auch wenn die Livesituation durch die Teuerungen und Pandemie-Einschränkungen für kleinere Bands wie Mantar grauenvoll geworden ist.

Sprit im Nostalgietank
Dass Klänhardt, der zuerst alle Songs in den USA schrieb, sogar die Drums rudimentär einspielte und erst dann das Material mit Sakarya teilte, ist ein Glücksfall. Mehr denn ja wusste er seine Wut auf „Pain Is Forever And This Is The End“ klar und deutlich zu kanalisieren. Nachdem Mantar ihren Grunge- und Punk-Jugendhelden wie Sonic Youth, L7 oder The Jesus Lizard 2020 auf der EP „Grungetown Hooligans II“ huldigten, war offenbar noch genug Nostalgietank im Feuer, denn auf dem vierten Studioalbum bewegen sich Mantar des Öfteren aus der Komfortzone, wenn man die überhaupt so nennen kann. Vor allem Songs wie „Egoisto“, der Closer „Odysseus“ oder das herbe „Piss Ritual“ zeigen die Band mit vielen neuen Facetten. Mehr Punk und Grunge, mehr Erste-Welle-Black-Metal aus den 80ern, weniger Sludge und Dreck. Eine Richtungsänderung im vertretbaren Rahmen, sozusagen, denn die DNA des Duos bleibt dank Klänhardts räudiger Stimme unverkennbar.

Trotz allem bleibt die Lage schwierig. „Die Band wirft nicht so viel Geld ab, dass wir ein finanzielles Polster haben. Seit ein paar Jahren können wir halbwegs davon leben, was der Tatsache geschuldet ist, dass wir nur zu zweit unterwegs sind. In dieser Musik steckt immer ein gewisser Grad an Kompromissbereitschaft. Ich versuche immer so auf die Bühne zu geben, dass die Leute glauben, der Typ da oben hätte gar nichts zu verlieren. Das klappt mal besser und mal schlechter, ist aber immer authentisch. Wir müssen uns halt immer zweimal treffen: einmal zum Vorstellen und einmal zum Entschuldigen.“ Das Teamgefüge ist für Mantar essenziell, auch wenn man ganz am Anfang noch nach einem Bassisten suchte. „Jetzt noch jemanden dazu zu nehmen wäre so, als hätte man plötzlich einen dritten Bruder, das geht nicht. Zu zweit gibt es bei Entscheidungen auch nur ja oder nein. Das kann schwierig sein, ist aber sehr ergebnisorientiert.“ Dass Mantar noch einmal weitermachen, wurde kollektiv bejaht. Ob das nun für länger in Stein gemeißelt ist? Eher nicht.

Neue Brüderlichkeit
In einer solchen Konstellation sind Teamwork und die Freundschaft zueinander entscheidende Komponenten. „Freundschaft verändert sich, wenn man den Großteil des Jahres als Arbeitskollegen unterwegs ist. Die Momente, wo die Band keine Rolle spielt, werden leider immer seltener. Die Qualität der Freundschaft hat sich nicht verschlechtert, aber sie ist vielleicht mehr zu einer Brüderlichkeit geworden, wo man sich oft nicht mag und auf die Nerven geht, aber wenn es hart auf hart kommt doch sofort für den anderen sein Leben gibt. Es gibt nur zwei Leute bei uns, die absolut dasselbe fühlen können und das sind wir zwei, weil wir dasselbe erleben. Solange wir uns vor einer Show gemütlich zusammensetzen und nach der Show ein Bier trinken und über Dinge lachen können, die nichts mit der Band zu tun haben, ist alles in Ordnung.“ Mit „Pain Is Forever And This Is The End“ ist jedenfalls das nächste Kapitel aufgeschlagen - vorerst noch ohne Österreich-Livetermin.

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