„Krone“-Interview

Fünf Jahre ohne Kinderarzt: „Brauchen Masterplan“

Tirol
05.05.2022 15:00

Der 51-jährige Innsbrucker Chirurg Stefan Kastner steht seit kurzem als Ärztekammerpräsident an der Spitze der Standesvertretung von mehr als 4400 Tiroler Ärzten. Fünf Fragen zur Zukunft der medizinischen Versorgung, zu Ärztemangel, den Vorteilen der digitalen Sprechstunde und zur verschollenen Patientenmilliarde.

„Krone“: Stichwort Kassenärzte: 32 Stellen sind in Tirol offen, manche seit Jahren. St. Johann fehlt seit 2017 ein Kinderarzt, Reutte seit 2018 ein Dermatologe. Gehen uns die Kassenärzte aus?
Ärztekammerpräsident Stefan Kastner: Leider wirken sich jetzt Versäumnisse vergangener Jahrzehnte aus. Kassenstellen waren für junge Mediziner lange Zeit kaum zu bekommen. Viele mussten sich anders orientieren, sind abgewandert, haben in Krankenhäusern angedockt, sich als Wahlarzt niedergelassen. Viele Patienten, viel Bürokratie, viele Beschränkungen, unattraktive Honorare - Kassenstellen sind keine Bestseller mehr. Was fehlt ist ein Masterplan für Tirol: Wir wissen nicht, welche Fächer in welchen Regionen in zehn Jahren gebraucht werden, wo ein Engpass zu erwarten ist. Das kann man berechnen. Das wurde schon einmal gemacht, aber ohne daraus Lehren zu ziehen.

Stichwort Wahlärzte: 1990 hatte Tirol 480 Kassenärzte und 300 Wahlärzte. Heute sind es 570 mit Vertrag und 870 ohne. Krass ist das Verhältnis u.a. in der Gynäkologie: 80 Wahlärzte, nur 28 mit Vertrag. Werden die Patienten bald alles selbst zahlen und auf Rückerstattung hoffen müssen?
Die Attraktivität von Kassenstellen ist ein veritables Problem. Dass in der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) jetzt die Idee auftaucht, bei Wahlärzten gar keine Kosten mehr zu erstatten, um die Patienten umzulenken, ist eindeutig der falsche Weg. Man muss sich doch auch einmal fragen, warum sich viele Patienten bewusst für einen Wahlarzt entscheiden? Ist es nicht auch das Mehr an Zeit, das diese bieten können? Sollte das nicht allen Patienten zustehen? Dafür braucht es einen zeitgemäßen Leistungskatalog. Die Ärztekammer hat einen vorgelegt, jetzt ist die ÖGK am Zug.

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Warum nicht im Verbund von Land, Gemeinden, ÖGK und Ärztekammer auf junge Mediziner zugehen, um ihnen so eine Einheit schmackhaft zu machen.

Ärztekammerpräsident Stefan Kastner

Stichwort Primärversorgungseinheiten: Sechs sollte es bereits in Tirol geben, keine ist realisiert. Mehrere Ärzte und Pflegedienste unter einem Dach, ständige Erreichbarkeit – das klingt vernünftig. Wenn man die Verhandlungshürden einmal beiseite lässt: Wie kann es gelingen? Und wann endlich?
Mein Vorschlag: In Kufstein und in Landeck/Pians fehlen je zwei Allgemeinmediziner. Dort ist die Chance auf Realisierung am größten. Warum nicht im Verbund von Land, Gemeinden, ÖGK und Ärztekammer auf junge Mediziner zugehen, um ihnen so eine Einheit schmackhaft zu machen. Junge Ärzte deshalb, weil sie flexibler sind. Wer schon eine gut gehende Praxis hat, lässt sich nicht so gerne auf einen Versuch ein. Wenn es jedoch klappt, wird es Nachahmer geben. Ich gehe aber nicht davon aus, dass es heuer noch zu schaffen ist.

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Für eine Krankmeldung – etwa bei Grippe – bedarf es auch nicht immer eines Arztbesuches. Also ja zur elektronischen Krankmeldung als eine Möglichkeit.

Ärztekammerpräsident Stefan Kastner

Stichwort Digitalisierung: Sind Zoom-Sprechstunden bald Standard? Soll die digitale Krankmeldung bleiben? Wo sind die Grenzen?
Nehmen wir chronisch Kranke wie Diabetiker: Regelmäßige Arztgespräche sind wichtig, müssen aber nicht zwingend immer vor Ort stattfinden. Kontrollwerte können digital übermittelt werden. Für eine Krankmeldung – etwa bei Grippe – bedarf es auch nicht immer eines Arztbesuches. Also ja zur elektronischen Krankmeldung als eine Möglichkeit. Aber niemals werde ich einem Patienten die Diagnose Krebs über eine Kamera mitteilen. Nähe zwischen Arzt und Patient bleibt das Wichtigste.

Stichwort Österreichische Gesundheitskasse: Zwei Jahre ist die Kassenfusion her. War sie ein Fehler?
Faktum ist: Das Verhandeln ist nicht einfacher geworden, die Patientenmilliarde ist nirgends zu sehen, die Entscheidungsträger sind weit weg von Tirol. Und die versprochene Leistungs- und Honorarharmonisierung ist bisher unerfüllt.

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