Triumph oder Absturz

Black Country, New Road: Welterfolg ohne Sänger

Musik
12.02.2022 06:00

Just zum Release ihres zweiten Albums „Ants From Up There“ geht der gehypten Londoner Indie-Pop-Band Black Country, New Road Sänger Isaac Woods verlustig. Mit dem zugänglichen und warmherzigen Werk war das einstige Septett auf dem Weg gen Pop-Thron, jetzt geht es aber erst einmal um das Überleben und die kurzfristige Zukunft ohne klaren Frontmann. Bassistin Tyler Hyde und Schlagzeuger Charlie Wayne sprachen mit der „Krone“, während die Band die News publik machte.

(Bild: kmm)

Um 13 Uhr mitteleuropäischer Ortszeit läuten Bassistin Tyler Hyde und Drummer Charlie Wayne via Zoom bei mir durch, um über das grandiose neue Album ihrer Band Black Country, New Road zu sprechen. Die beiden sitzen in ihren jeweiligen Londoner Wohnungen, Geschirr und Pflanzen bahnen sich den Weg ins Sichtfeld und beide klingen sehr enthusiastisch und erfreut. Kein Wunder, denn „Ants From Up There“ ist nicht nur ein geniales Indie-Pop-Werk, ihm gelingt es tatsächlich, das global gehypte Debüt „For The First Time“, das genau ein Jahr davor das Licht der Welt erblickte, zu übertreffen. Was nach dessen Veröffentlichung über die Bahn hereinbrach, war beispiellos für die Pandemiezeit. Lobeshymnen von so gut wie allen relevanten (Musik)Medien, euphorisierte Fans, eine „Mercury Prize“-Nominierung, Fixplatz in allen Jahresbestenlisten und ein paar feurige Sommer- und Frühherbstshows (u.a. am Kremser Donaufestival), die den Hype vom Papier in die reale Welt trugen.

Bizarres Gefühl
„Das war schon ziemlich bizarr“, erzählt Hyde, „wenn man pandemiebedingt in seiner kleinen Blase isoliert ist, vergisst man sehr schnell, dass sich die Welt dort draußen immer weiterdreht. Unser Debütalbum war quasi eine Livescheibe und die Leute hatten in dieser Zeit wohl Sehnsucht nach einem solchen Sound. Wir waren lange vom Erfolg abgekoppelt und wussten nicht so recht, wie wir darauf reagieren sollen.“ Mitten im Gespräch entschuldigt sich Wayne und verschwindet für fünf Minuten aus dem Zoom-Fenster. Er müsse etwas Dringendes erledigen, käme aber schnellstmöglich wieder zurück. Anstatt groß auf Tour zu gehen und im Jubel schwitzender Fans zu baden, schraubt das Septett 2021 lieber an weiteren Songs. Die meisten der Tracks von „Ants From Up There“ wurden aber schon vorher finalisiert und der Closer „Basketball Shoes“ definiert den adaptierten musikalischen Zugang von Black Country, New Road schon ziemlich gut.

Die aus der fruchtbaren Brixton-Windmill-Szene stammende Vollblutmusikergespanschaft steht seit den ersten Tagen für das Musizieren frei von Zwängen und Nischen, mit Raum für Spontanität, Improvisation und dem Experimentellen. Ähnlich wie ihre Freunde und Quasi-Nachbarn Black Midi verstehen sie die Vertonung ihrer Kreativität nicht als Marketingventil für einen berauschenden Karriereverlauf, sondern als Outlet für all die Gedanken und Strömungen, die sich unbedingt aus Geist, Seele und Körper kämpfen müssen. „Wer unsere Songs nach dem Debüt verfolgt hat, der wird von diesem neuen Album nicht allzu überrascht sein“, fügt Hyde hinzu, „wir spürten schon damals, dass wir etwas zugänglicher werden wollten.“ „Ants From Up There“ zerfließt tatsächlich nicht mehr so schwer in alle Richtungen, sondern zeigt in seiner fragilen Kompaktheit eine Form von Stringenz, die Black Country, New Road einem breiteren Publikum öffnen könnten. Charlie Wayne meldet sich indes wieder zurück und steigt sofort ins Gespräch ein.

Die Wärme des Pop
„Es ist lustig, dass uns die Menschen immer für ach so experimentell halten. In der Realität ist das ganz anders. Bei ,Ants From Up There‘ haben wir extrem viel darüber diskutiert, wo wir hinwollen und wie etwas klingen sollte. Natürlich leben wir im Moment, aber unsere besten Ideen entstammen einer gewissen Reflexion. In einer siebenköpfigen Band kann man schon improvisieren, aber nicht allzu oft, denn sonst wird es zu kompliziert.“ Dass man dem Pop näher ist als komplexer Indie-Mathematik bewies nicht zuletzt die letzten Herbst eingeschobene EP „Never Again“, wo man ABBA, Adele und MGMT coverte. „Nostalgie und ein warmer Sound sind für mich die wichtigsten Merkmale für gute Popmusik“, führt Hyde genauer aus, „diese lässt dich in deine Kindheit zurückgehen, erweckt Erinnerungen und ermöglicht dir, in sie einfließen zu können. Wir wollen jedenfalls keine Menschen mehr ausschließen, denn wir alle sind warmherzig. Wir sind keine großen Post-Punk-Fans und mögen auch gar keine aggressive Musik. Wir sind weich und gefühlvoll. Das sollte auch am Album hörbar sein.“

Man muss kein Alleshörer im Indiepop sein, um Arcade Fire und speziell ihr Meisterwerk „Funeral“ als Hauptinspiration für „Ants From Up There“ herauszufiltern. Nicht nur klanglich, auch in der Besetzungsgröße und vom reinen musikalischen Zugang her sind hier Parallelen zu bemerken, die überdeutlich hervortreten. „Wenn wir zusammen singen und musizieren, dann feiern wir auch die Liebe untereinander. Das haben Arcade Fire in den frühen 2000er-Jahren genauso gemacht. Man hat sofort die Verbindung zwischen der Musik und den Personen gespürt, diese einzigartige Passion. Genau dieses Gefühl wollen wir mit dem Album transportieren.“ Platz für ausufernde, mehr als zehn Minuten lange Kompositionen bleibt trotz all der dazugewonnenen Zugänglichkeit noch immer. Und die Songs mäandern zwischen Erinnerungen an ein heimisches Luftfahrtmuseum („Concorde“), niederschmetternder Beziehungstrauer („Bread Song“) oder ein Saxofon-Instrumental zum Abschied eines an Covid-verstorbenen, inoffiziellen Bandmitglieds („Mark’s Theme“).

Quo Vadis, BC, NR?
Nach dem halbstündigen Gespräch kommt der überraschende Keulenschlag. Während wir uns gut unterhielten, schoss die Band ein gemeinsames Statement über das Aus von Sänger und Frontmann Isaac Wood in den digitalen Orbit. Relativ unmissverständlich prangert er darin psychische Probleme an und fügte hinzu, er wäre mit seiner klar definierten Frontmann-Rolle überfordert gewesen. Black Country, New Road machen indes als Sextett waren und wollen die Rollenaufteilung an der Front variabler auslegen. Ob das ohne die charismatische Stimmgewalt und physische Präsenz Woods funktioniert, das muss erst die Zeit beweisen. „Ants From Up There“ könnte der Beginn einer neuen Indiepop-Ära und die endgültige Heiligsprechung der Band sein. Im schlechtesten Fall zerbricht eine der spannendsten und innovativsten Formationen der letzten Jahre an sich selbst und ihrem ungewollten Hype. Wie auch immer diese Geschichte endet oder weitergeht, ihre Fußnote in der Musikhistorie haben sich Black Country, New Road mit Bravour erarbeitet.

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