Vorratsdatengesetz

Startschuss für Kampf gegen die Überwachung

Elektronik
29.04.2011 07:50
Normalerweise markiert der Beschluss eines Gesetzes im Nationalrat das Ende für Bekämpfer der nunmehr beschlossenen Maßnahme. Für die Kritiker der Vorratsdatenspeicherung, die am Donnerstag unter lautem Protest der Opposition im Parlament abgesegnet wurde, ist es hingegen wie ein Startschuss. Die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Präventivüberwachung aller Telekommunikationsvorgänge der Bürger tritt nämlich erst in einem Jahr in Kraft - und steht auf Wackelbeinen.

Bei der namentlichen Abstimmung am frühen Donnerstagabend im Nationalrat gab es nur von den Koalitionsfraktionen SPÖ und ÖVP Zustimmung, wobei der Vorsitzende des Datenschutzrats, der SPÖ-Abgeordnete Johann Maier, den Saal verließ und sich somit seiner Stimme enthielt.

Die Opposition war zuvor erfolglos gegen die Regelung Sturm gelaufen. Das BZÖ verlangte die Absetzung des Vorhabens (es sind formal zwei Gesetzesänderungen bei Telekommunikationsgesetz und Strafprozessordnung, Anm.) von der Tagesordnung. Die FPÖ forderte die Zurückverweisung an den Justizausschuss, der Grüne Albert Steinhauser führte ins Treffen, dass es dasselbe sei, wenn die Post jeden Brief dokumentieren müsste. Doch es half nichts, kurz nach 17 Uhr war es geschehen.

"Abschaffung der Unschuldsvermutung"
"Die Speicherung des Telefonier- und Internetverhaltens aller Bürger ist die erste präventivstaatliche Maßnahme. Die Vorratsdatenspeicherung gefährdet die Grundfunktionen modernen Zusammenlebens", schreibt Hans G. Zeger, Vorsitzender der ARGE Daten, in seinem Manifest gegen die Vorratsdatenspeicherung. Schlachtrufe klingen anders, aber Zeger und seine Mitstreiter versuchen ohnehin, dem Bürger die Bedrohung sachlich und mit profunden Argumenten zu verdeutlichen.

Wie die sprichwörtliche Gebetsmühle wird Zeger daher wohl bis zum April 2012 weiterhin auf die Abgründe hinweisen, die sich seiner Meinung nach mit dem Inkrafttreten der Vorratsdatenspeicherung auftun werden. Auch die endgültige Version der Gesetzesänderungen wird man sicher noch zerpflücken.

Mit einigen seiner Argumente könnte Zeger durchaus auch bei denen einen Nerv treffen, die die Vorratsdatenspeicherung mit Antworten wie "Wer nichts zu verbergen hat, muss nichts befürchten" begrüßen. Zeger sagt, die präventive Speicherung möglicherweise kriminalistisch relevanter Daten stelle alle Bürger unter Generalverdacht und schaffe ein wichtiges Prinzip der Rechtsstaatlichkeit ab: die Unschuldsvermutung. Das ist jener mittlerweile geflügelte Begriff, der gepaart mit den Worten "Grasser" und "Strasser" Emotionen hochgehen lässt. Zeger suggeriert dabei indirekt: Für DIE gilt sie, für DICH bald nicht mehr.

Drei Höchstgerichte, sture Schweden und tobende EU
Nun gibt es aber tatsächlich eine gar nicht so kleine Wahrscheinlichkeit, dass die Vorratsdatenspeicherung in der am Donnerstag beschlossenen Form nicht sehr lange gültig sein wird bzw. so überhaupt nie in Kraft tritt. Die österreichische Innenpolitik hat nämlich fünf Jahre um die Umsetzung der bereits 2006 als Anti-Terror-Maßnahme auf EU-Ebene beschlossenen Richtline gerungen. Derweil wurden die entsprechenden Gesetze in Deutschland, Tschechien und Rumänien von den dortigen Höchstgerichten aufgehoben. In Deutschland, weil die Daten zentral gespeichert werden sollten und für eine zu große Anzahl an minderschweren Delikten verwendet werden hätten dürfen. In Rumänien und Tschechien wurde die staatliche Datensammelei an sich als grundrechtswidrig eingestuft. Laut den rumänischen Höchstrichtern verstößt sie sogar gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die in allen EU-Mitgliedsländern gilt.

Das bockige Kind gegen die EU-Kommission gibt Schweden. Das Land weigert sich seit 2006 beharrlich, die Richtline umzusetzen, und ließ sich auch von einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes nicht beeindrucken. Die EU droht den vier Ländern weiterhin Klagen und Strafen an. Gegen Österreich war so ein Vertragsverletzungsfahren schon eröffnet, durch den Beschluss des Gesetzes hat man daher jetzt in erster Linie eine Strafe in Höhe von 10 bis 20 Millionen Euro abgewendet. Nicht wenige Koalitions-Abgeordnete rechtfertigten am Donnerstag damit ihre Zustimmung zu dem Gesetz. Sogar die zuständige Ministerin Doris Bures sagte: "Ich glaube, wir können nicht verantworten, dass wir möglicherweise Millionen Eurobeträge von den Steuerzahlern nach Brüssel überweisen müssen."

Spielt die österreichische Regierung auf Zeit?
Aber warum wird eigentlich erst ab April 2012 mitgespeichert? Offiziell wird die lange Übergangsfrist von der Bundesregierung mit der Umstellungsphase bei den Providern begründet, die laut dem Gesetz alle Telefon- und Internetverbindungsdaten ihrer Kunden ein halbes Jahr auf Vorrat speichern müssen (für technische und rechtliche Details siehe Infobox). Die Unternehmen müssen dabei ein Fünftel der Umstellungskosten tragen, die von der Regierung mit insgesamt 15 bis 20 Millionen Euro beziffert werden. Inoffiziell heißt es aber, die lange Übergangsfrist zielt auf Entwicklungen auf europäischer Ebene ab: EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström - in ihrem Heimatland Schweden gern "Censilia" genannt - droht Deutschland und ihrer Heimat zwar regelmäßig mit Millionenstrafen für die Nichtumsetzung der Richtlinie, allerdings will sie noch heuer eine geänderte Variante des Vorratsdatengesetzes präsentieren.

Die Kommission sehe ein, dass die den EU-Ländern vorgegebene Speicherfristen zwischen sechs Monaten und zwei Jahren vielleicht zu lang seien und man bei der Eingrenzung der Straftaten, für die auf die Daten zugegriffen werden darf, eventuell etwas genauer sein sollte. Die Bundesregierung hat am Donnerstag jedenfalls einen Entschließungsantrag verabschiedet, in dem sie sich selbst dazu aufruft, eine Änderung der Vorratsdatenrichtline auf EU-Ebene hierzulande unverzüglich mit einer Novelle umzusetzen.

Klagspläne liegen schon in der Schublade
Die Vorratsdatenrichtline könnte also mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit ganz ohne das Zutun ziviler Kritiker abgeschwächt werden. Kommen würde sie trotzdem. Daher streben mehrere Bekämpfer der Richtlinie in jedem Fall den Gang zum Richter an. Hans G. Zeger und die ARGE Daten wissen schon, was sie am Tag des Inkrafttretens der Vorratsdatenspeicherung tun werden: "Wir werden bei einem Provider auf Löschung der Daten beharren. Das wird dieser freilich nicht tun, weil er sich ja ans Gesetz halten muss. Die Ablehnung werden wir dann anfechten. Ob vor Gericht oder bei der Datenschutzkommission, wird sich zeigen", schilderte Zeger am Donnerstag seine Strategie gegenüber krone.at.

Dass ein Provider das Gesetz vor seinem Inkrafttreten niederklagen kann, glaubt Zeger wiederum nicht. Den VfGH anrufen kann nur, wer von einem Gesetz direkt betroffen ist. Die Provider könnten sich dabei nur auf wirtschaftliche Nachteile im Zuge der Umstellung berufen, was relativ aussichtslos sei. Ein Bürger kann hingegen eine Verletzung seiner Grundrechte geltend machen.

Der Verband der Telekommunikationsprovider kündigte am Donnerstag keine Klage an, bedauerte aber, dass es ein genereller Richtervorbehalt beim Abfragen von Vorratsdaten nicht umgesetzt wurde. Dieser hätte die "Grundrechtsproblematik abgemildert". Neo-Justizministerin Beatrix Karl hat in einem letzten Abänderungsantrag nach Ostern nämlich noch veranlasst, dass bei Abfragen, die über Stammdaten (Name, Adresse) hinausgehen, ein Vier-Augen-Prinzip unter Staatsanwälten gewahrt werden muss. Einen Richtervorbehalt gibt es aber erst ab da, wo auch die Daten Dritter mitabgefragt werden, also zum Beispiel bei Anrufverbindungen oder E-Mails.

Zeger rechnet jedenfalls fest damit, dass sich früher oder später ein heimisches Höchstgericht mit der Vorratsdatenspeicherung befassen wird müssen. Und die Chancen, dass die österreichische Justiz eine Grundrechtsverletzung feststellen wird, stehen Zegers Ansicht nach "sehr gut". Allerdings kann so ein Instanzenzug Jahre dauern - und dann gilt am Ende des Tages immer noch EU-Recht vor nationalem Recht, wie Zeger im krone.at-Gespräch anmerkt. Das erkenne man am Beispiel Deutschland, wo das Bundesverfassungsgericht das Gesetz kippte, die EU-Kommission jetzt aber bei Kanzlerin Angela Merkel lautstark auf eine Neuversion drängt.

Noch ist nicht aller Tage Abend
Die endgültige Lösung wird also wahrscheinlich vor einem europäischen Grechte durchaus auch von Bürgern oder Regierungen anderer EU-Mitgliedsländern eingeschaltet werden, zumal der EuGH bereits eine Feststellungsanfrage des obersten irischen Straf- und Zivilgerichtes in Bezug auf die Vereinbarkeit der Richtline mit dem Grundrecht auf dem Tisch liegen hat.

In Summe ist das viel Ungewissheit für ein so wichtiges Gesetz. Vielleicht hat sich die Bundesregierung deswegen noch in letzter Minute ein weiteres "Hintertürl" aufgemacht: Per "Entschließer" beauftragte sie das Justizministerium, nach einem Jahr einen Evaluierungsbericht zur Vorratsdatenspeicherung vorzulegen. Was passiert, wenn die Evaluierung negativ ausfällt, ließ man offen.

Rechtsanwälte bezweifeln Nutzen: "Es trifft die Falschen"
Die Überprüfung des praktischen Nutzens der Datensammelei ist aber insofern bedeutend, als dass sich die Kritik nicht nur über die Datenschutzproblematik, sondern auch auf den kriminalistischen Nutzen der Datenspeicherung erstreckt. Es treffe die Falschen, denn wer der Erfassung der Daten entgehen wolle, könne dies technisch "problemlos umsetzen", bekrittelte am Donnerstag der Präsident der österreichischen Rechtsanwaltskammer, Gerbard Benn-Ibler. "Übrig bleibt der 'Durchschnittsbürger', der gar nicht weiß, wie ihm geschieht." Tatsächlich sind kleinere Provider von der Speicherpflicht ausgenommen, auf Computern gibt es zahlreiche Software-Umgehungsmöglichkeiten und mit Wertkartenhandys entgeht man zumindest der Identitätsfeststellung.

Zudem sorgen sich die Rechtsanwälte um die Gefährdung von Berufsgeheimnissen. Anwälte, aber auch Ärzte, Seelsorger oder Journalisten würden hier künftig mit "schweren Eingriffen" rechnen müssen, so Benn-Ibler. "Sind die Daten erst einmal vorhanden, ist deren Verwendung praktisch nicht mehr kontrollierbar." Immerhin hat die Regierung aber in ihren Last-Minute-Änderungen strafrechtliche Sanktionen für Vorratsdatenmissbrauch implementiert: Im Strafgesetzbuch wurde das Delikt der "verbotenen Veröffentlichung" auf den "Inhalt von Ergebnissen aus einer Auskunft über Vorratsdaten" ausgeweitet. Darauf steht bis zu ein Jahr Haft.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.



Kostenlose Spiele