Technik hochkomplex!

Wieso autonome Straßenbahn auf sich warten lässt

Digital
01.05.2025 12:53

Technologische Unterstützung für die Fahrer von Straßenbahnen und Zügen gibt es, ein automatisierter Betrieb ist aber nicht in Sicht. Was in baulich abgetrennten Bereichen wie bei U-Bahnen ausgezeichnet funktioniert, gilt hier noch als Zukunftsmusik. Helferlein in Form von Assistenzsystemen erleichtern aber inzwischen den Alltag und sorgen für erhöhte Sicherheit.

„Das Personal steht nach wie vor voll in der Verantwortung. Weiter traut man sich noch nicht“, erklärt Christian Zinner, Senior Research Engineer im Bereich Assistive & Autonomous Systems am Austrian Institute of Technology (AIT). Derzeit gehe es im Straßenbahnbereich vor allem um das Vermeiden von Kollisionen, damit Fahrgäste und Verkehrsteilnehmer unbeschadet bleiben und die unter Umständen sehr großen finanziellen Schäden minimiert werden. Schon kleinere Zwischenfälle würden Staus auslösen, wenn es dadurch zu Betriebsunterbrechungen kommt und sich Straßenbahn an Straßenbahn reiht.

Um das zu verhindern, hat das AIT ein Assistenzsystem entwickelt, das das Umfeld während der Fahrt überwacht und die Geschwindigkeit kontrolliert. Konkret erfasst eine 3D-Kamera, ob sich andere Verkehrsteilnehmer auf dem vorausliegenden Fahrweg befinden oder befinden werden. Aus Abständen und wechselseitigen Geschwindigkeiten lassen sich potenzielle Kollisionsgefahren ableiten. Wenn das Risiko ein gewisses Maß überschreitet, erhält der Fahrer eine akustische Warnung. Wird darauf nicht reagiert, leitet das System aktiv eine Bremsung ein. „Ziel ist nicht unbedingt, besser als der Mensch zu sein. Der große Unterschied ist, dass diese Systeme permanent aufmerksam sind“, so Zinner.

Auch Geschwindigkeit wird kontrolliert
Zusätzlich zur Kollisionsvermeidung könne auch die Fahrgeschwindigkeit kontrolliert und mit vorgegebenen Geschwindigkeitsprofilen abgeglichen werden. „Es gab schon spektakuläre Unfälle, weil aufgrund eines Blackouts die Straßenbahn zu schnell in die Kurve eingefahren und dann entweder entgleist oder umgestürzt ist“, erläutert der Experte.

Konkrete Zahlen, wie stark Kollisionen oder Zwischenfälle durch die beiden Funktionen reduziert werden können, gebe es nicht, „aber wenn es sich nicht rechnen würde, wäre die Nachfrage nicht so stark“. Bei Ausschreibungen für neue Fahrzeuge sind Assistenzsysteme laut Zinner mittlerweile fast Standard.

Unter den Fahrerinnen und Fahrern sei die Akzeptanz grundsätzlich hoch, wenngleich es bei den Rückmeldungen möglicherweise zu Verzerrungen komme: „Keiner gibt gerne zu, dass er einen Fehler gemacht hat. Wenn das System abbremst, wird das oft nicht berichtet.“ Wichtig sei, klar zu kommunizieren, was von der eingesetzten Lösung zu erwarten ist und wie es funktioniert. Eine zu hohe Perfektion würde unter Umständen dazu verleiten, dass sich das Personal zu sehr darauf verlässt und weniger aufmerksam ist. Ausgeliefert ist man der Technik jedenfalls nicht, man könne sie „überstimmen“, wenn detektierte Gefahren sich als doch nicht relevant erweisen würden.

Kein Ausweichen möglich
Vom automatisierten Fahren sei man da noch weit entfernt, auch weil Schienenfahrzeuge eine andere Fahrdynamik hätten als Autos. Die Möglichkeit zum Ausweichen fehle, während die Bremswege wesentlich länger seien. Daher müssten die auf der Straßenbahn verbauten Sensorsysteme viel weiter vorausschauen können. Lösungen aus dem Automotive-Bereich in Straßenbahnen zu übertragen habe deshalb nur mäßige Ergebnisse geliefert. Auch die maximal erzielbare Bremswirkung sollte nur im Notfall eingesetzt werden, weil sonst die Fahrgäste – stehend, nicht angegurtet - zu Sturz kommen könnten. Generell seien die Herausforderungen im innerstädtischen Verkehr groß.

Bei der federführend vom AIT entwickelten Lösung, die bei Alstom (ehemals Bombardier) zum Einsatz kommt, habe man die Straßenbahnen mit Stereo-Kameras ausgestattet. Diese würden eine hohe Erkennungsreichweite gewährleisten und eine sehr gute seitliche Auflösung bieten. Letzteres verhindere, dass ein Zug, der am Gegengleis entgegenkommt und mit nur wenigen Zentimetern Abstand vorbeifährt, als Hindernis wahrgenommen wird.

Hindernisdetektion oder das Einhalten der zulässigen Fahrgeschwindigkeit seien zwar essenzielle Funktionen. „Für die Automatisierung von Zügen sind die Anforderungen aber höher und die Technologie noch nicht reif genug“, so der Forscher. Der fahrerlose Zugbetrieb in einer offenen Umgebung unterscheide sich auch stark von baulich abgetrennten Schienenbereichen – Stichwort U-Bahn. Das ungleich höhere Sicherheitslevel sei der Knackpunkt. Trotzdem werde im Bahnbereich an automatisiertes Fahren gedacht, bei dem eventuell ein Operator am Leitstand mehrere Züge überwacht, ohne dass ein Lokführer im Fahrzeug ist.

Betriebliche Fahrten im Depot
Bei Straßenbahnen sei die Situation durch die Komplexität des Stadtverkehrs noch schwieriger. Hier mache vor allem die Automatisierung im Depot aufgrund der vielen betrieblichen Fahrten – zum Service in die Werkstätte, zur Reinigung oder zur Bereitstellung für den Linienbetrieb – Sinn. Aber auch hier gebe es noch viele offene Fragen. „Am ehesten wird man das vielleicht bei kompletten Neuprojekten hinbekommen, also wo ein Depot neu gebaut und eine neue Fahrzeugflotte gekauft wird“, ist Zinner überzeugt.

Künstliche Intelligenz (KI) sei bei automatisiertem Fahren aus sicherheitstechnischer Sicht „noch komplett aus dem Spiel. Es ist derzeit nicht möglich, solche Technologien zu einer Zulassung zu bringen“, sagt Zinner unter Verweis auf Normen und Regelwerke. Für die Funktionalität von Assistenzsystemen könne KI sehr wohl eingesetzt werden. Das AIT-Modell basiere aber nach wie vor auf „soliden physikalischen Modellen, echter 3D-Sensorik und tatsächlichen Messungen“. Anders sehe es bei der Objektklassifikation aus.

Objekte erkennen und zuordnen
Man habe eine Technologie entwickelt, die es ermögliche, auch unbekannte Strecken zu kartieren. „Das Fahrzeug fährt das Schienennetz ab, wobei aus den gesammelten Daten das Netz ziemlich präzise rekonstruiert werden kann“, erklärt Zinner. Außerdem wird die Umgebung der Straßenbahn semantisch interpretiert, also analysiert, ob es sich um Straßenoberfläche, Gehsteig, Gebäude, Person oder Vegetation handelt. Im Idealfall gelinge es bei diesem semantischen 3D-Modell jeden Bildpunkt einer bestimmten Objektkategorie zuzuordnen. Aus dem Automotive-Bereich kenne man das. „Für uns war frappierend, dass es für die Schienenfahrzeuge nichts Vergleichbares gab.“

Aus diesen Arbeiten hervorgegangen ist der laut den Angaben weltweit größte Datensatz für schienengebundene Fahrzeuge namens „RailSem19“. Anhand dieser Trainingsdaten könnten KI-Systeme sowohl für den Bahnbereich als auch Straßenbahnumgebungen entwickelt und getestet werden.

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