Wie Tschernobyl

AKW Fukushima jetzt Störfall der höchsten Stufe 7

Ausland
12.04.2011 21:50
Japan bewertet die Atomkatastrophe von Fukushima nun als ebenso gravierend wie das Reaktorunglück von Tschernobyl im Jahr 1986. Die japanische Atomaufsicht teilte am Dienstag mit, die Katastrophe werde auf der Internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse auf die höchste Stufe 7 - statt bisher 5 - eingeordnet. Ein Stufe-7-Vorfall bezeichnet einen Unfall mit schwersten Auswirkungen auf Menschen und Umwelt. Indes wurde Japan von einem neuen Beben erschüttert, das jedoch keine weiteren Schäden am havarierten AKW verursachte.

Die Einschätzung Japans betrifft die gesamten langfristigen Folgen - also auch die noch zu erwartenden: Derzeit liege die Radioaktivität in Fukushima erst bei einem Zehntel der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl. Trotzdem hat sich die Betreibergesellschaft Tepco am Dienstag besorgt darüber gezeigt, dass die austretende Strahlenmenge am Ende das Unglück von Tschernobyl noch übertreffen könne. "Der Austritt von Strahlung ist noch nicht vollkommen gestoppt, und unsere Sorge ist, dass sie am Ende Tschernobyl übersteigen könnte", sagte ein Sprecher.

"Erhebliche Mengen Radioaktivität"
Nach der Katastrophe von Tschernobyl in der Ukraine war eine Skala geschaffen worden, um die Öffentlichkeit einheitlich über die Schwere eines Atomunfalls zu informieren. Auf dieser siebenstufigen INES-Skala (International Nuclear and Radiological Event Scale) hatte bisher nur der Tschernobyl-Unfall die höchste Einstufung 7 bekommen. Auf der internationalen Skala für atomare Vorfälle ist Stufe 7 "schweren Vorfällen" vorbehalten, bei denen "erhebliche Mengen Radioaktivität freigesetzt werden", die einen "bedeutende Effekt auf die Gesundheit und die Umwelt" haben.

IAEO: "Gravierende Unterschiede"
Unterdessen sieht die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) gravierende Unterschiede zu dem Tschernobyl-Unfall. Das Ausmaß der radioaktiven Strahlung und die Messwerte unterschieden sich erheblich von der Situation in Fukushima, sagte der Chef für Nuklearsicherheit der IAEO, Denis Flory, am Dienstag in Wien.

Der Reaktor in Tschernobyl habe im Gegensatz zu Fukushima keinen Reaktorbehälter gehabt. Dieser sei in Fukushima trotz mehrerer Explosionen noch immer intakt. Zudem hätten sich die japanischen Reaktoren automatisch abgeschaltet. Flory fügte hinzu, dass die japanischen Behörden in ihrem Krisenmanagement nicht anders gehandelt hätten, wenn der Unfall früher hochgestuft worden wäre.

Regierungschef Naoto Kan sieht momentan sogar Fortschritte im Kampf gegen einen möglichen Super-GAU. Die Lage "stabilisiert sich Schritt für Schritt", die aus der Anlage freigesetzten Strahlenwerte würden geringer, sagte Kan am Dienstag. Er bekräftigte, es gebe keine Pläne, die japanischen Atomkraftwerke sofort abzuschalten.

Neues Beben verursachte keine weiteren Schäden am AKW
Tepco teilte unterdessen mit, dass das neuerliche Erdbeben, das am Dienstagmorgen den Nordosten der japanischen Hauptinsel Honshu erschüttert hatte, die Atomanlage in Fukushima nicht beschädigt habe. Es habe - im Unterschied zu dem Beben am Vortag (siehe Infobox) - bisher keine Unterbrechung der Stromzufuhr gegeben. Es sei ein Feuer in der Anlage ausgebrochen, das jedoch schnell habe gelöscht werden können. Die Radioaktivität um den Reaktor sei dadurch nicht gestiegen.

Am Montag hatte die japanische Regierung verkündet, den Evakuierungsradius um das AKW erweitern zu wollen. Derzeit gilt die Sperrzone de facto nur für einen 20-Kilometer-Radius um das Atomkraftwerk. Im Umkreis von 20 bis 30 Kilometern wurden die Bewohner angewiesen, entweder in ihren Häusern zu bleiben oder die Gegend zu verlassen. Ein großer Teil der Bewohner kam der zweiten Forderung nach.

Regierungssprecher Yukio Edano nannte allerdings kein konkretes Maß für den neuen Evakuierungsradius, der innerhalb von einem Monat hergestellt sein soll. Er sprach jedoch als Beispiel die Stadt Iitate an, die 40 Kilometer von Fukushima 1 entfernt liegt.

Die Situation im Kernkraftwerk Fukushima im Überblick:
Die deutsche Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) in Köln bewertete am Dienstag die Situation der sechs Reaktorblöcke in der Atomruine Fukushima wie folgt:

In Block 1 ist die Lage seit Tagen unverändert. Reaktorkern und Brennstäbe sind beschädigt und die Kühlsysteme ausgefallen. Der Sicherheitsbehälter in dem stark beschädigten Gebäude ist weiterhin intakt. Kühlwasser wird mit Hilfe einer elektrischen Pumpe eingespeist. Auch in das Abklingbecken für verbrauchte Brennstäbe wurde Frischwasser eingespeist. Um Wasserstoff-Explosionen wie kurz nach der Havarie zu verhindern, versuchen Arbeiter das Luftgemisch im Gebäude durch Stickstoff zu verdünnen.

Bei Block 2 vermuten die Experten ein Leck im Sicherheitsbehälter (Containment). Reaktorkern und Brennstäbe sind beschädigt, auch das Reaktorgebäude hat leichte Schäden. Das stark verstrahlte Wasser im benachbarten Turbinengebäude hatte vermutlich direkten Kontakt zu geschmolzenem Kernbrennstoff. Tagelang sickerte die stark verstrahlte Brühe unkontrolliert ins Meer, dann wurde ein Leck abgedicktet. Am Dienstag wurde im Meerwasser eine Barriere von rund 120 Meter Länge errichtet, um bei einer Leckage radioaktive Stoffe zu stoppen.

Auch in Block 3 ist die Situation unverändert kritisch. Er gilt auch als gefährlich, weil er Brennstäbe mit hochgiftigem Plutonium-Uran-Mischoxid (MOX) benutzt. Auch in Block 3 sind Reaktorkern und Brennstäbe beschädigt sowie die Kühlsysteme ausgefallen. Das Reaktorgebäude wurde durch eine Wasserstoffexplosion zerstört. Unklar ist noch immer, ob der Sicherheitsbehälter intakt ist.

Im Kern von Block 4 waren zum Zeitpunkt des Erdbebens keine Brennstäbe. Kritisch ist jedoch weiterhin die Lage im Abklingbecken, das nur noch sehr wenig Kühlwasser enthielt. Dieses niedrige Wasserniveau besteht fort, es wird weiter Meerwasser eingespritzt. Die heißen Brennelemente müssen gekühlt werden.

Block 5 und Block 6 sind heruntergefahren worden und haben den Status "kalt und unterkritisch" erreicht. Sie gelten damit als gesichert. Die Stromversorgung steht, auch in den Abklingbecken wird ausreichend gekühlt. In den Dächern wurden Lüftungslöcher geschaffen, um Wasserstoff-Explosionen zu vermeiden.

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