Der Tod geht alle an

Wie uns die Angst verführbar macht

Vorarlberg
05.09.2021 17:45

Martin Prein ist Todesforscher und Psychologe. Beim „F. A. Q. Festival“ im Bregenzerwald gab er jüngst einen Workshop zum Thema „Letzte Hilfe“ - und er sagt: „Der Tod geht uns alle an.“

Martin Prein hat Witz. Das erwartet man nicht unbedingt bei jemandem, der sich seit vielen Jahren intensiv mit den Themen Tod, Sterben, Trauer und Angst beschäftigt. Im "Krone"-Interview erklärt er, wie stark uns unsere unbewusste Todesangst steuert und lenkt.

Sie beschäftigen sich intensiv mit dem Tod, geben Seminare, leiten Workshops und schreiben Bücher. Haben Sie noch Angst vor dem Tod?

Ja. Wer glaubt, dass ich dem Tod den Schrecken nehmen will, der irrt. Ich bin auch kein Verfechter der Allerheiligen-Diagnosen, die wir immer in den Medien lesen dürfen. Von wegen „Wir müssen uns wieder mehr mit dem Tod beschäftigen“ oder „Die Gesellschaft hat den Tod verdrängt“.

Sie sagen also, dass der Tod zwar uns alle angeht, aber nicht, dass man lockerflockig damit umgehen muss.

Auf gesellschaftlicher Ebene ist es das Wissen um den Tod, das uns alle antreibt, das ist der Antrieb jeder Kultur. Die Allerheiligen-Diagnosen drehen sich ja nur um Dinge auf rationaler Ebene. Fragen zum Testament etwa. Es geht aber nicht um die Bedrohung der eigenen Existenz. Wie heißt es so schön? Irgendwann zu sterben bedeutet, nie zu sterben. Und jeder denkt sich: Sterben tun andere, ich nicht. Einblick in die Todesangst bekommt man etwa, wenn man irgendwo im Körper einen Knoten findet und dann auf einen MRT-Termin wartet. In diesen Zeiten wird etwas wach. Würde man sich damit intensiver beschäftigen, hätte das massive Auswirkungen.

Welche zum Beispiel?

Je unbewusster die Todesangst ist, desto führ- und verführbarer sind wir - für Ideologien zum Beispiel oder für Machtdemonstrationen. Man sieht das auch bei Religionen oder dem Beklatschen des Bundeskanzlers, wenn er ein Dorf besucht. Die Frage ist: Was passiert, wenn wir uns dessen bewusst würden? Das käme dem Öffnen der Büchse der Pandora gleich. Ich will keine Lösung für die Todesangst anbieten, möchte aber zeigen, was diese alles steuert. Die Bewirtschaftung menschlicher Ängste ist der Quell jeder Macht. Und wenn das Volk die Angst verliert, dann ist die Revolution nicht weit.

Sie beschäftigen sich auch mit dem Thema „Leichentabu“. Was bedeutet das?

Es gab immer schon die Vorstellung, dass man sich durch die Begegnung mit einem toten Körper irgendwie verunreinigen könnte. Die Nähe zu einem Verstorbenen löst Gruseln und Grausen aus. Merkmal eines Tabus ist, dass das, was damit belegt wird, auch Träger einer gewissen Kraft ist. Der Tote wird also zum Träger einer Kraft, zur Verbindung zum Übernatürlichen, strahlt aber auch Gefahr aus. Auch hinter Todesritualen steht diese Ambivalenz.

Sie haben ein Beispiel?

So müssen vor allem in ländlichen Regionen Verstorbene mit den Füßen voran aus dem Haus getragen werden. Der Volksglaube besagt nämlich, dass der Tote sonst im Haus bleibt. Es stirbt also die geliebte Oma, der geliebte Opa, aber aus dem Haus sollen sie schon ganz draußen sein. Und eine große Rolle spielt das Element der Ordnung. In Mexiko etwa wird der „Día de Muertos“ gefeiert. An diesem Tag kommen die Toten in die Welt der Lebenden zurück. Warum aber wird da getanzt, gesungen, warum ist da alles so bunt? Ganz einfach: Damit die Toten auf jeden Fall wieder zurückfinden in ihre eigene Welt. Die Ordnung, also die Trennung der Welten der Lebenden und der Toten, muss wiederhergestellt werden.

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Darum sind wir auch so anfällig für geschlossene Systeme, für Diktaturen, für strenge Ideologien. Weil da alles erklärt ist und wird, weil alles seine schöne Ordnung hat - und das ist sehr gefährlich.

Dr. Martin Prein

Wo zeigt sich dieser Wille zur Ordnung im Alltag?

Es wird immer noch als bedrohlich empfunden, wenn irgendwo der Tod einbricht. Etwa im Altenheim. Da heißt es dann: „Wenn einer stirbt, sterben zwei nach.“ Nach drei Todesopfern ist dann wieder Ruhe, dann ist das System wieder in Ordnung. Darum sind wir auch so anfällig für geschlossene Systeme, für Diktaturen, für strenge Ideologien. Weil da alles erklärt ist und wird, weil alles seine schöne Ordnung hat - und das ist sehr gefährlich.

Das wirft auch ein neues Licht auf die viel zitierten christlich-sozialen Werte.

Es gibt nichts Instabileres als Werte. Was Sie jetzt glauben, kann in einer halben Stunde schon nicht mehr gelten. Das ist ja auch nicht schlecht. Darum haben wir ja ein Strafgesetzbuch und keine heiligen Schriften. Wenn wir merken, dass etwas nicht funktioniert, ändern wir es. Kurt Tucholsky sagte: „Ich glaube jedem, der die Wahrheit sucht und keinem, der sie gefunden hat.“ Und in der Politik herrschen ganz eigene Gesetze. Fraglich, ob wir in diesem Bereich jemals eine Art von Weisheit erreichen werden.

In welchem Sinn?

Wenn ein existenzbedrohendes Thema wie Corona in der Politik landet, wo wir doch so anfällig für Ängste sind, und in der Politik Ängste per se instrumentalisiert werden, dann kann das problematisch werden. Corona hat uns aber auch etwas Anderes gezeigt, den Wert unserer Kulturleistungen wie die Müllabfuhr, das medizinische Versorgungssystem und so weiter. Im März 2020 war durchaus denkbar, dass alles zusammenbricht. Und dann hätte es keine Polizei, kein fließendes Wasser, gar nichts mehr gegeben. Da sieht man, welche angstbindende Kraft diese Kulturleistung hat. Darauf müssen wir aufpassen. Setzt man sich mit diesen Dingen auseinander, findet schnell eine Entzauberung der Weltbilder statt.

Weltbilder, an denen man sich festhalten kann?

Das mit dem Festhalten ist so eine Sache. Was, zum Beispiel, wissen wir denn noch von unseren Ururgroßeltern? Ein paar Generationen später ist jede Erinnerung an einen Menschen verloren. Da helfen auch keine Sprüche wie „In Gedanken wirst du ewig bei uns bleiben“. Der Mensch wird sowieso irgendwann nicht mehr diese Erde bevölkern. Die Erde wird noch Millionen Jahre ohne uns weiterbestehen, bevor sie dann verglüht. Nietzsche meinte, wenn die Gattung Mensch dann wieder verschwunden ist, wird sich „nichts begeben haben“. Dieser Gedanke ist beruhigend. Sagt man so etwas, bekommt man schnell viele Beschwerde-E-Mails. Etwa von streng katholischen Menschen. Das ist auch verständlich, denn wenn ich etwas glaube, will ich, dass auch möglichst viele andere das glauben. Jede Religion will expandieren.

Auch Diktaturen, auch der Sozialismus funktionieren so. In einem sozialistischen Staat wird einem zwar nicht das ewige Leben versprochen, doch zumindest eine symbolische Variante davon, der Tod fürs Vaterland. Der Held ist die große Antithese zur Todesangst. Er überwindet den Tod. Helden tun uns natürlich auch gut, etwa die Supermarkt-Mitarbeiterinnen in der Coronakrise. Allerdings diente dieses ausgerufene Heldentum nur zur narzisstischen Stabilisierung, darum hält es auch nicht an. Oder denken Sie, dass sich diese Frauen immer noch als Heldinnen fühlen? Auch bei Wahlkampagnen, zum Beispiel in Oberösterreich, kommt man ins Grübeln: Der Landeshauptmann steht vor Panzer und Soldaten, darunter ist zu lesen: „Für ein sicheres Oberösterreich.“ Ist es nicht bedenklich, dass wir noch nicht weiter sind in Sachen Humanismus?

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