Neues Album „Senjutsu“

Iron Maiden: Gefangen in der eigenen Opulenz

Musik
02.09.2021 06:00

Zwei Jahre lang haben Iron Maiden ihr bereits fertiges Album „Senjutsu“ im Tresor eingeschlossen, von einem Pandemie-Album kann keine Rede sein. Auf dem 17. Studiowerk zeigen sich Bruce Dickinson, Steve Harris und Co. epischer und getragener - und verpassen leider auch die Chance, etwas mehr Frische in die opulenten Songs einzustreuen.

(Bild: kmm)

Während der nicht enden wollenden Pandemie wurde es auch um jene ziemlich ruhig, die für gewöhnlich sehr laut sind. Die Heavy-Metal-Urgesteine Iron Maiden hätten im Sommer 2020 oder eben heuer das Stadion in Wiener Neustadt auf seine Standfestigkeit testen sollen - vorerst müssen wir noch eine Saison warten und hoffen, dass es sich wenigstens im dritten Anlauf ausgeht. Ganz unbeeindruckt von den äußeren Umständen erscheint dieser Tage nun das bereits 17. (!) Studioalbum der britischen Legenden und wird die Fans wieder genüsslich in zwei Lager spalten. Die einen werden sich auf dem fernöstlich benannten „Senjutsu“ die kompositorische Schärfe und Hittauglichkeit der alten Tage vermissen, andere wiederum können sich in den getragenen und progressiven Songsphären der alten Jungfrauen suhlen und die ständige Weiterentwicklung im Bandcamp als Merkmal für songwriterische Wachsamkeit sehen. Wie auch immer man Iron Maiden anno 2021 eingestellt ist - Steve Harris und Co. lassen sich von äußeren Meinungen sowieso nicht beirren.

Die volle Klaviatur
Der Bass zupfende Bandchef hat sich für das aktuelle Werk selbst so sehr ins Zeug gelegt wie schon lange nicht mehr. Sieben von zehn Songs tragen seine Handschrift, die vier epischsten Brecher hat er ganz im Alleingang geschrieben. Wer mit der Vita Maidens grundsätzlich vertraut ist weiß, dass Harris als Kompositeur niemals der Mann für die flotten Straight-Forward-Rocker war. Die sich allesamt in den mittleren bis späten 60ern befindlichen Musiker zeigen aber auch auf „Senjutsu“ ungebrochene Spielfreude und beneidenswerte Fitness. Dabei muss Frontmann Bruce Dickinson als erster ins Rampenlicht gestellt werden, der seinen Kehlkopfkrebs glücklicherweise überstanden zu haben scheint und sein beeindruckendes Stimmvolumen auch im gesetzteren Alter scheinbar mühelos in alle Richtungen regeln kann. Ob ins Falsett gehend, gepresst, mit Sprechgesang durchzogen oder akzentuiert zurückhaltend - auf den mehr als 80 Minuten des Doppelalbums spielt der 63-Jährige auf der vollen Klaviatur seines Könnens und scheint sich besonders intensiv beweisen zu wollen.

Die zwei im Vorfeld ausgekoppelten Singles „The Writing On The Wall“ und „Stratego“ haben durchaus für Aufsehen gesorgt. Klingt „Stratego“ doch stark nach den neueren Maiden mit schwerem Prog-Einschlag, hat der Country-Bon-Jovi-Vibe von „The Writing On The Wall“ nicht ausschließlich Begeisterung unter den Fans vorgerufen. Man muss Iron Maiden freilich Respekt zollen, dass sich die Truppe mit derart viel Mut aus altbekannten Schemata herausschält und stets bemüht ist, der eigenen Diskografie nicht unnötige Redundanzen beizufügen. Natürlich lassen sich Anklänge an die eigene Historie nach mehr als 40 Jahren Karriere nicht verhindern, aber wenn an der eigenen Nostalgie angestreift wird, dann eher ehrfürchtig als anbiedernd. Der eröffnende Titeltrack etwa orientiert sich gerne an der beliebten „Powerslave“-Ära, das flotte „Days Of Future Past“ hätte sich auch gut auf der „Somewhere In Time“ gemacht und die opulenteren Tracks tendieren in die jüngere Vergangenheit und schmiegen sich an „The Final Frontier“ und das doch eher mediokre „The Book Of Souls“.

Mehr Kernigkeit
„Days Of Future Past“ sei hier als Stichwort noch einmal aufgenommen, denn so flotte, jugendlich-frische Maiden-Tracks der alten Schule würde man sich öfter wünschen. Es ist nichts falsch daran, dass vor allem Steve Harris sein Seelenheil schon seit geraumer Zeit in ausladenden Kompositionen sucht, aber auf „Senjutsu“ verpassen die Briten - wie strenggenommen schon auf den letzten drei Alben - die Chance, ihre epische Breite in eine gesunde Korrelation mit angriffiger Frische zu vermischen. So manch ausschmückendes Intro, langwieriges Eingangsgedudel („Lost In A Lost World“) oder übertriebenen Strophenaufbau („The Parchment“) hätte man verkürzen oder sich gleich sparen können. Freilich funktioniert die Epik auch, sie muss aber immer noch wohlig nachklingen. Das abschließende „Hell On Earth“ langweilt in seinen mehr als elf Minuten keine Sekunde und beweist eindrucksvoll, dass Löwenmähne Harris in Bestform zu den allerbesten Songschreibern der Metalgeschichte gehört. Würde er sich nur öfter kernig und nicht immer so allumfassend gerieren, es würde „Senjutsu“ die doch dringende Spannung erhöhen und für mehr Kurzweil sorgen.

Einen Minuspunkt gibt es auch für den dünnen Sound von Produzent Kevin Shirley, der nun seit mehr als 20 Jahren der Haus- und Hofproduzent der Band ist, es aber wieder nicht geschafft, den cinematischen Songs einen dementsprechenden Klang einzupendeln. Das ist insofern schade, weil die markanten Twin-Gitarren und Nicko McBrains Tribal-artiges Drumming dadurch unnötig an Stärke einbüßen. Iron Maiden haben sich zwar sechs Jahre seit dem letzten Album Zeit gelassen, „Senjutsu“ aber auch zwei Jahre im Tresor verräumt. Schon 2019 stand das Werk, doch dank Corona und daraus verhinderter Pläne haben die Musiker sich dazu entschlossen, lieber auf einen möglichst guten Zeitpunkt zuzuwarten. Ob das der Herbstbeginn vor einer prognostizierten vierten Welle ist, sei dahingestellt, jedenfalls fällt viel Druck von den Musikern ab. Im Interview mit dem britischen „Metal Hammer“ gab Dickinson zu, dass die Band sich das Album zwei Jahre lang nirgends angehört hatte, weil man dermaßen viel Angst vor einem verfrühten Internet-Leak hatte. Mit der Zeit zu gehen ist nicht immer leicht, aber immerhin wurde im Bandcamp brav dichtgehalten und alles ging gut.

Zu große Kluft
Im Endeffekt bleibt festzuhalten, dass Iron Maiden auf „Senjutsu“ bemüht sind, alle Bereiche der eigenen Vergangenheit bestmöglich abzudecken und langjährigen Fans als auch jüngeren Semestern die Chance zu geben, sich von der Magie der wohl wichtigsten Heavy-Metal-Band der Geschichte erfassen zu lassen. Vom Mitsing- und Hitpotenzial der alten Tage ist dabei aber nur wenig zu sehen. Wie schon auf den letzten Werken setzen Harris und Co. auf die große Breite und zwingen den Hörer, aufmerksam zu sein und sich die Songs möglichst oft und akribisch anzuhören. Diese Entwicklung sei einer Band, der das auf-der-Stelle-Treten seit jeher fern liegt, unbenommen, doch zwischen großen Prog-Metal-Epen und knackigen Metal-Songs ist die Kluft mittlerweile doch zu stark aufgeklafft. Dave Murray, der schon auf „The Book Of Souls“ kaum in Erscheinung trat, hat hier übrigens überhaupt keinen Song mehr mitkomponiert. Das hätte „Senjutsu“ aber gutgetan, weil seine Songs eher auf Melodie setzen und schneller auf den Punkt kommen. Schade um die verpasste Chance.

Live in Österreich
Die „Legacy Of The Beast“-Tour führt Iron Maiden nun hoffentlich 2022 wieder nach Österreich. Geplant wäre der Gig am 10. Juli im Stadion Wiener Neustadt. Weitere Infos und Tickets gibt es unter www.oeticket.com

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