Interview & Album

Jake Bugg auf der ständigen Suche nach sich selbst

Musik
18.08.2021 06:00

Nach seinem Raketenstart vor ziemlich genau zehn Jahren ist der Nottinghamer Jake Bugg mittlerweile im Musikbusiness angekommen. Auf seinem fünften Album „Saturday Night, Sunday Morning“ sucht er weiter nach seinem Sound und wagt erneut Schritte in ungewohnte Richtungen. Im großen Interview mit uns fasst er sein bewegtes Leben noch einmal zusammen.

(Bild: kmm)

Jake Bugg ist ein zarter Junge von 16 Jahren, als er Anfang des letzten Jahrzehnts die Bühne des ehrwürdigen Glastonbury Festivals betritt. Ohne groß nachzudenken hat er seine Musik davor auf deren Website gestellt und nicht nur die Veranstalter beeindruckt. Kurz darauf unterzeichnet Bugg einen Vertrag beim Labelriesen Mercury Records, veröffentlicht sein gleichnamiges Debütalbum, das auf Platz eins der britischen Charts geht und hat mit „Lightning Bolt“, „Two Fingers“ und „Taste It“ zumindest drei Singles im Talon, für die andere Musiker töten würden. Danach folgen Auftritte bei Jools Holland und im Vorprogramm von Noel Gallagher’s High Flying Birds. Als all diese markanten Karriereschritte vorbei waren, war Bugg gerade frische 18 Jahre jung und galt als das größte Brit-Rock-Gitarrentalent diesseits des Atlantiks. Dass die Kritiker sich über seine oft allzu offensichtlich ausgelebte Nähe zu Bob Dylan und eben Noel Gallagher mokierten - Makulatur.

Ständige Suche
Vom Wunderkind des zeitgemäßen Brit-Pop bleibt knapp zehn Jahre später nicht mehr allzu viel übrig. Das klingt rein kommerziell natürlich negativ, doch Bugg hat das Erwachsenwerden und die drei folgenden Alben dafür genützt, sich nicht endlos zu wiederholen, sondern die Suche nach seinem wahren musikalischen Ich voranzutreiben. Das bereits ein knappes Jahr nach dem Debüt nachgelegte „Shangri La“ hatte seine Momente, klingt aber noch immer viel zu überhastet und marktgetrieben. Für das Drittwerk „On My One“ hat Bugg die Produktion vornehmlich selbst in die Hand genommen und die frühen Fans mit vermehrten Hip-Hop- und Dance-Einflüssen schockiert. 2017 markierte „Hearts That Strain“ schlussendlich eine leichte Rückbesinnung zu seinen Verstärker-getriebenen Singer/Songwriter-Preziosen. Es versöhnte die alten Fans, konnte aber nicht mehr an die Erfolge des Debüts anknüpfen. Bugg landete mit seinen Alben auf eins, drei, vier und sieben - in chronologischer Reihenfolge. Da kam die Corona-Pandemie nach den Hochgeschwindigkeitsjahren zu gar keinem so schlechten Zeitpunkt.

„Nach ,Hearts That Strain‘ wollte ich sowieso ein bisschen vom Gas und habe erst im Jänner 2019 angefangen neue Songs zu schreiben“, erklärt er uns im „Krone“-Interview, „,About Last Night‘ und ,Kiss Like The Sun‘ waren die ersten Tracks, die ich mit Andrew Watt verfasst habe.“ Freilich hätte das Album keine vier Jahre Zeit gebraucht, die seither vergangen sind. Einerseits musste aufgrund von Covid das richtige Veröffentlichungstiming überlegt werden, andererseits hat Bugg akribisch an den Tracks zu seinem fünften Album „Saturday Night, Sunday Morning“ gearbeitet. Dass er das Album nach dem 1958 erschienenen Roman des Nottinghamer Working-Class-Autors Alan Sillitoe benannt hat, ist freilich kein Zufall. „Mein Leben ist heute ganz anders als früher. All die Touren, Erlebnisse und Erfahrungen haben mich zeitweise extrem weit von meiner Heimatstadt Nottingham weggeführt und ich wollte mir mit diesem Album ein bisschen Heimat zurückholen.“ Bugg ist trotz der frühen Erfolge zwar nie ganz abgehoben, die Bodenhaftung ließ sich aber trotzdem nicht so leicht halten.

Zweigeteilt
„Es gab schon schwierige Zeiten, das will ich nicht leugnen“, rekapituliert er seinen Raketenstart als Teenager, „ich hatte viele Dinge nicht ganz so im Griff, wie ich mir das eigentlich gedacht hatte. Die ersten paar Jahre habe ich mich verändert und auch meine Familie und Freunde haben mich aus einem anderen Blickwinkel gesehen. Vieles hat sich extrem schnell gedreht und damit konnte ich nicht immer Schritt halten. Über die letzten Jahre haben sich die Dinge aber beruhigt und eingependelt. Ich fühle mich heute sehr wohl und bin extrem glücklich.“ Bugg ist sich bewusst, wie wichtig das richtige Umfeld und Menschen mit einem gewissen Grundvertrauen zu ihm waren. Das neue Album teilt sich nicht nur im Titel in zwei Tage, sondern auch musikalisch. Einerseits wird man durch Tracks wie dem Disco-Funker „Lost“ in extrem poppige Gefilde gezogen, andererseits gibt es auch Raum für rührende Piano-Balladen wie „Downtown“, in denen sich der Künstler verletzlich wie nie zuvor zeigt. „Es sind eben Samstagnacht-Songs, die nach Party klingen und dann gibt’s die für den Sonntagmorgen, wo du einen Kater hast. Sie spiegeln die unterschiedlichen Phasen meines Lebens wider.“

Neben Andrew Watt hat auch Ali Tamposi beim Songwriting kräftig mitgeholfen und der hat seine Feder schon in Songs von Miley Cyrus, Dua Lipa oder Justin Bieber getunkt. Die Liebe zu den großen Pop-Melodien schlagen sich zumeist in fröhlichen Up-Tempo-Songs nieder. „Schwere und Dunkelheit hatten wir zuletzt genug. Ich bin jemand, der positiv in die Zukunft blickt und überzeugt davon ist, dass es mit jedem Tag wieder aufwärts geht. Ich will Energien freisetzen und eine positive Stimmung verbreiten. Um das zu erreichen, muss man manchmal aber auch vom Gaspedal runtergehen und daraus entstehen Songs wie ,Downtown‘ oder ,Scene‘.“ Doch ein leicht schaler Beigeschmack bleibt dem Album doch verhaften. Etwa wenn das von Watt mitgeschriebene „About Last Night“ im Prinzip mit derselben Gitarrenmelodie beginnt wie der 2019er Welthit „Senorita“, den Watt rein zufällig für Camilla Cabello und Shawn Mendes geschrieben hat. Oder man sich in den balladesken Momenten frappant an den schottischen Durchstarter Lewis Capaldi erinnert fühlt.

Liebe zum großen Pop
Bugg als völlig authentischen und autarken Musiker hinzustellen geht vielleicht ins Leere, aber man kann keinesfalls verhehlen, dass der Nordbrite versucht daran ist, nach mehr als zehn Jahren Karriere mit diversen Ups und Downs genau in die Spur zu finden, in der er sich selbst am Wohlsten fühlt. Schon länger ist der heute 27-Jährige von ABBA, den Beach Boys, den Bee Gees und Supertramp inspiriert. Da ist es nur logisch, dass der Pop in manchen Songs fröhliche Urständ feiert. „Die ältere und traditionellere Seite der Popmusik hat mich schon immer fasziniert und diese Bands rotieren seit fünf Jahren unaufhörlich auf meinem Plattenteller. Ich fand die Melodien der alten Pop-Größen schon immer brillant und möchte selbst verstärkt in diese Richtung gehen. Ich will keine Art von ,Superpop‘ kreieren, aber melodische Musik, zu der die Menschen tanzen können und die ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubert.“

Die Corona-Pandemie hat Bugg besser überstanden als manch anderer. „Ich weiß, dass sehr viele Menschen sehr harte Zeiten durchlebten, aber ich hatte damit wenig Probleme.“ Grund dafür war ein besonderes Herzensprojekt des beinharten Fußballfans. Er wurde nämlich mit den Arbeiten zur Musik an der Dokumentation „The Happiest Man In The World“ beauftragt, die sich um das einstige brasilianische Fußballgenie Ronaldinho dreht. „Als ich aufwuchs, war er der beste Spieler der Welt. Wenn er im Fernsehen einen neuen Trick gebracht hat, haben die Kids in ganz England auf den Fußballplätzen versucht, ihn am Wochenende nachzumachen. Es ist einfach wundervoll Leute in ihrer Profession zu sehen, die so voller Leidenschaft stecken. Der Film hat Corona-bedingt noch keinen Erscheinungstermin, aber die Arbeiten an diesem Soundtrack waren einfach fantastisch.“

Endlich wieder Bühne
Seit drei Jahren sponsert der einstige Jugendfußballer die Auswärtstrikots seines Lieblings- und Heimatvereins Notts County. Dass Superstar Ed Sheeran von seinem Verein Ipswich Town unlängst sogar in die Kaderliste aufgenommen wurde, quittiert Bugg mit einem Schmunzeln. Vielleicht ist es ja auch beim 27-Jährigen irgendwann einmal soweit, auch wenn er beharrlich darauf hinweist, dass ihn seine Fertigkeiten noch nicht einmal für die fünfthöchste englische Spielklasse befähigen, in der Notts County derzeit am Comeback in die Profiligen feiert. Vorerst wird sich Jake Bugg auf seine Profession konzentrieren und wieder auf Tour gehen. Erste Großbritannien-Termine für März 2022 stehen bereits fest, weitere quer durch Europa sollen folgen - freilich mit der ständigen Unsicherheit, ob und wie diese geplanten Gigs durchführbar sein werden. „Mittlerweile sind eineinhalb Jahre vergangen, dass ich wo hingereist bin. Die Pause hat mir gutgetan, denn ich bin sicher, dass ich das Auftreten wieder mehr schätze - und so geht es dem Publikum auch. Es wird langsam wirklich Zeit.“

Live in Wien
Am 1. Juni 2022 ist Jake Bugg im Wiener Flex zu Gast. Alle weiteren Infos und Tickets erhalten Sie unter www.oeticket.com.

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