Wachstum notwendig

„Wir brauchen eine Zukunftsvision!“

Vorarlberg
15.03.2021 08:00

Martin Ohneberg, Präsident der Industriellenvereinigung Vorarlberg, über die aktuelle Lage der heimischen Wirtschaft, warum es Wachstum braucht und was er sich für 2021 erhofft.

Herr Ohneberg, seit einem Jahr befindet sich die Welt in einer Art Schockstarre. Die heimische Industrie ist davon zwar nicht so stark betroffen wie andere Branchen, dennoch stellt sich die Frage: Wie lange können wir so weitermachen?

Stimmt. Vorarlbergs Industrie ist mit einem blauen Auge davongekommen und hinsichtlich der Finanzkraft gut aufgestellt. Zudem sind wir es in der Industrie gewohnt, unsere Kapazitäten laufend anzupassen – insbesondere exportorientierte Betriebe. So haben wir es international immer wieder mit unsicheren Märkten zu tun, sei es wegen politischer Unstimmigkeiten, Sanktionen, Embargos oder Ähnlichem. Das ist, wenn man so möchte, im Vergleich zu anderen Branchen sicherlich ein Vorteil. In jedem Fall müssen wir lernen, mit diesem Virus zu leben, zudem braucht es eine rasche Rückkehr zur Normalität. Je länger es so weitergeht, umso größer wird der gesellschaftliche Schaden sein. In der Wirtschaft gibt es immer Unternehmen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht überleben. Der daraus entstehende Schaden kann von anderen Betrieben kompensiert werden, etwa indem Arbeitskräfte übernommen werden. Welche langfristigen Folgen diese Pandemie aber auf die Gesellschaft haben wird, ist noch gar nicht absehbar.

Und wie kommen wir aus diesem Dilemma heraus?

Eine gute Frage. Wir haben von Beginn an sehr viel Geld dafür ausgegeben, die Ausbreitung der Pandemie zu verhindern. Über den Sommer hat man es verabsäumt, Strategien zu entwickeln, sodass uns die Folgen im Herbst regelrecht überrollt haben – obwohl die zweite Welle vorhersehbar war. Seither heißt es: Die nächsten zwei Wochen werden entscheidend sein. Optimistisch betrachtet, kann es nun jederzeit losgehen. Pessimistisch gesehen, muss man mit neuerlichen Verschärfungen bzw. einem abwechselnden Auf und Zu rechnen. So oder so hängen wir derzeit in der Luft. Die fehlende Planungssicherheit trägt wesentlich dazu bei, dass die österreichische Wirtschaft derart massiv eingebrochen ist.

Wie optimistisch sind Sie im Hinblick auf einen baldigen Aufschwung?

Ich bin prinzipiell Optimist. Das Problem aber ist: Wir verlieren jeden Tag, den wir noch länger in dieser Starre stecken bleiben, Spielraum für künftige Anpassungen und Wettbewerbsfähigkeit. Es wird sicher Bereiche geben, die, sobald es wirklich wieder losgeht, einen richtigen Boom erleben werden. Ob das in vielen Branchen der Fall sein wird, ist fraglich. Spannend wird es vor allem, wenn die Förderungen auslaufen und die Raten der gestundeten Abgaben und Versicherungsbeiträge beglichen werden müssen, der Umsatz aber noch nicht auf „Vor-Corona-Niveau“ ist.

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Für die Industrie befürchte ich jedenfalls keine Insolvenzwelle, wenngleich es natürlich Betriebe gibt, die zu kämpfen haben.

Martin Ohneberg

Experten erwarten für den Herbst ohnehin eine Insolvenzwelle...

Das ist gut möglich, wobei der Begriff „Welle“ wahrscheinlich zu fatalistisch ist. Für die Industrie befürchte ich jedenfalls keine Insolvenzwelle, wenngleich es natürlich Betriebe gibt, die zu kämpfen haben. Exportorientierte Unternehmen, die noch dazu im Projektgeschäft tätig sind, werden es möglicherweise schwerer haben. Umso wichtiger ist es, dass die Grenzen so rasch wie möglich geöffnet und die Impfungen flächendeckend durchgeführt werden können, sodass Schlüsselarbeitskräfte im internationalen Bereich wieder reisen und ihrer Arbeit nachgehen können.

Sollte man sich vielleicht gänzlich vom Wachstumsmantra verabschieden?

Das ist eine Diskussion, die immer wieder einmal vom Zaun gebrochen wird und sicherlich geführt gehört. Allerdings stellt sich die Frage: Was ist die Alternative? Und ist Innovation ohne Wachstum überhaupt möglich? Klar: Ohne Wachstum und Innovationen gäbe es keinen Klimawandel. Aber auch keinen Technologiewandel. Kein Wachstum bedeutet Stillstand – für die Wirtschaft und die Gesellschaft. In meinen Augen ist der gesellschaftliche Schaden aufgrund eines Stillstands größer als jene Nachteile, die uns das Wachstum beschert. Und was die negativen Auswirkungen auf Umwelt, Klima oder Gesundheit betrifft, kann – so abgedroschen das klingen mag – durch ein nachhaltiges und qualitatives Wachstum gegengesteuert werden.

Da Sie vorhin die Schlüsselkräfte angesprochen haben, die beruflich reisen müssen: Wird sich das Reiseverhalten nach Corona ändern – geschäftlich wie privat?

Es wird wohl zu einem Rückgang der Geschäftsreisen kommen, doch es gibt Projekte, Entscheidungen, Meetings, für die man vor Ort sein muss. Dass das Fliegen aus rein ökologischer Sicht ein „No Go“ ist, steht für viele außer Frage. Umso wichtiger sind gerade in der Flugindustrie Innovationen – und die sind wiederum ohne Wachstum undenkbar. Abgesehen davon bedeutet Reisen auch individuelle Mobilität und kulturellen Fortschritt – und das braucht jede Gesellschaft.

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Die heimische Wirtschaftspolitik ist rückblickend - bis auf wenige Ausnahmen - bei der Einführung des Euros stehen geblieben.

Martin Ohneberg

Was erhoffen Sie sich für die kommenden Monate?

Eine nachhaltige und zukunftsweisende Wirtschaftspolitik. Und das hat nicht mal mit Corona zu tun. Die heimische Wirtschaftspolitik ist rückblickend - bis auf wenige Ausnahmen - bei der Einführung des Euros stehen geblieben. Ich möchte den Standort keinesfalls schlechtreden, denn man kann hier sehr erfolgreich wirtschaften. Allerdings sollte das auch in Zukunft und für die nächsten Generationen gelten. Man fragt sich viel zu selten: Wo sind wir stark? Wo haben wir Nachholbedarf? Wo müssen wir investieren? Wo soll Österreich in zehn Jahren stehen? Wir brauchen endlich langfristige Perspektiven und eine Vision. Abgesehen davon hoffe ich, dass die Pandemie im Laufe des Jahres in eine behandelbare Krankheit übergeht und dass Covid-19 ab September nicht mehr das Top-Thema in den Medien ist.

Fakten

Martin Ohneberg, Präsident der Industriellenvereinigung Vorarlberg, ist Geschäftsführer und Mehrheitseigentümer der HENN GmbH. Das weltweit tätige Unternehmen mit Sitz in Dornbirn ist führender Anbieter von Schnellkupplungen für Ladeluft- und Kühlwassersysteme sowie Resonatoren.

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