„Little Oblivions“

Julien Baker kehrt mit opulentem Sound zurück

Musik
01.03.2021 06:00

Viel ist passiert bei Julien Baker in den vergangenen Jahren: Zwei von Fans und Kritik gefeierte Alben, eine ziemlich gelungene Kollaboration mit zwei Kolleginnen und unzählige Konzerte rund um den Erdball. All das hat aber auch seinen Tribut gefordert, nahm sich Baker 2019 doch nach einem Rückfall in alte Abhängigkeiten eine Auszeit, die sie auch für die Rückkehr zur Universität nutzte. Doch nun ist die Künstlerin mit „Little Oblivions“ zurück - und zeigt neue Seiten.

(Bild: kmm)

Nach ihrem Zweitwerk „Turn Out The Lights“ von 2017 sowie der als Boygenius gemeinsam mit Lucy Dacus and Phoebe Bridgers veröffentlichten EP im Jahr darauf schien der Weg für die heute 25-jährige Baker nur eine Richtung zu kennen: nach oben. Als Liebling der Indieszene verzauberte sie mit ihren reduziert instrumentierten und höchst emotionalen Stücken, in denen sie ihr Innerstes nach außen kehrte. Doch dann kam der Punkt, an dem sie sich selbst hinterfragte.

Zeit für Reflektion
„Ich habe in dieser Zeit - als ich einmal den Luxus zum Reflektieren hatte - viel damit verbracht, meine Perspektive auf mich als Person und meine Werte neu zu bestimmen“, erzählte Baker im Interview mit dem Magazin „DIY“. „Dieses Ding, das so lange mein Leben bestimmt hat, das meine Identität ausgemacht hat, war plötzlich weg“, beschrieb sie den Punkt, als sie ihre ausgiebigen Tourneen unterbrach. Plötzlich hatte sie Gelegenheit, sich selbst abseits der Bühne neu zu finden.

Und das hat Baker auch musikalisch ausgedrückt: Waren ihre ersten beiden Alben noch von sparsamen Gitarren- und Pianoklängen dominiert, dürfen die zwölf Stücke des unlängst erschienenen „Little Oblivions“ durchaus den Ausbruch wagen. Schon der Opener „Hardline“, der für sie bestimmende Themen wie Sucht und Depression aufs Tapet bringt, gefällt sich als langsam wachsende Nummer, die zu einem im bisherigen Baker-Kosmos ungewohnt majestätischen Höhepunkt führt - mächtige Drums inklusive.

Grenzen hinausschieben
In „Heatwave“ sind es wiederum leicht psychedelische Synthies, die aus der Reihe tanzen und an den Slackersound von Courtney Barnett oder Kurt Vile denken lassen, ohne dass das klassische Folkmuster unter diesen Farbtupfern gänzlich verdeckt würde. Stück für Stück schiebt Baker so ihre Grenzen weiter hinaus, inkludiert Drummachines und Mandoline in ihr immer noch eingängiges, weil stets auf das Essenzielle zielende Songwriting, das wie in „Relative Fiction“ seine melancholische Ausprägung keineswegs verloren hat.

Aber mittlerweile ist eben mehr möglich, wie auch die Single „Faith Healer“ - laut Baker ein „Song über Laster, sowohl die offensichtlichen als auch die heimtückischen“ - unterstreicht: Hier ist es ein Wechselspiel aus Intimität und großer Geste, das Baker in den weniger als drei Minuten glanzvoll zur Vollendung bringt. In dem gemeinsam mit Dacus und Bridgers eingesungenem „Favor“ konstatiert sie wiederum: „I always wanna tell the truth but it never seems like the right time to be serious enough.“ Da ist sie wieder, die Künstlerin, die mit sich selbst so streng ins Gericht geht und die Hörer an diesen Kämpfen teilhaben lässt.

Alle Zügel in der Hand
Und trotzdem wirkt Julien Baker auf „Little Oblivions“ befreiter als auf den Vorgängern. Klangliche Größe und Weite dieser Stücke, die durchaus an ihre Bandanfänge vor knapp zehn Jahren erinnern, scheinen wie ein Befreiungsmoment zu wirken - auch wenn die Texte nach wie vor tief gehen, ernste Themen behandeln und keineswegs für den schnellen Genuss zwischendurch gedacht sind. Baker, die den Großteil der Instrumente selbst eingespielt und das Album auch produziert hat, hält alle Zügel fest in der Hand. Minimalistisch war gestern, jetzt ist der Blick auf den Horizont gerichtet.

APA/Christoph Griessner

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