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KW 51 – die wichtigsten Neuerscheinungen der Woche

Musik
19.12.2020 06:00

Musik als Lebenselixier - besonders für das Wochenende, wo man hoffentlich auch Zeit dafür hat. Wir haben für euch wieder die besten Alben und Veröffentlichungen der Woche zusammengesammelt. Quer durch alle Genres ist hier garantiert für jeden was dabei. Viel Spaß dabei!

(Bild: kmm)

Jane Birkin - Oh! Pardon tu dormais…
Vor gut 20 Jahren schrieb die große Jane Birkin das Theaterstück „Oh! Pardon tu dormais…“ und verarbeitete es später zu einem Buch und einem Film. Zur Quadratur des Kreises fehlte der 76-Jährigen noch die richtige musikalische Umsetzung, die nun - durchaus überraschend - noch Ende 2020 erscheint. Das mit Songwriter Etienne Daho und Produzent Jean-Louis Piérot gefertigte Album ist eine positiv konnotierte Mischung aus Lebenslust, Intimität und Themengebieten, die der seit mehr als fünf Dekaden in Frankreich wohnhaften Britin besonders am Herzen liegen. Die an Leukämie erkrankte Birkin konnte die Stimmaufnahmen noch im März vor dem Lockdown fertigstellen und musste im Juni wieder ins Krankenhaus. Nach der Routine-Behandlung wurde die Orchestrierung fertiggestellt. Ein feines Kleinod in einer schwierigen Zeit. Und hoffentlich nicht Birkins letztes Werk. 7,5/10 Kronen

Brandão/Faber/Hunger - Ich liebe dich
Hierzulande viel zu wenig gewürdigt wurde der bereits vorige Woche erschienene Feiertagsdreischlag „Ich liebe dich“ aus dem schönen Nachbarstaat Schweiz. Lucas Brandão, Faber und Sophie Hunger, drei so unterschiedliche wie talentierte Künstler aus dem großen Art-Pop-Fischteich haben sich schon im Sommer zusammengeschlossen, um Liebeslieder unterschiedlichster Couleur im Spannungsfeld Folk, Jazz, Chanson und Noir zu präsentieren. Die im schweizerischen Dialekt vorgetragenen Songs können und wollen das Lokalkolorit gar nicht leugnen, sind aber nicht zuletzt durch die drei völlig unterschiedlichen Stimmlagen von einer betörenden Schönheit, die noch weit über den Genuss der bloßen Kompositionen nachwirkt. Vor allem das Zwischenspiel von Fabers tiefem Timbre und der glockenklaren Höhe Brandãos ist herausragend. Ein Album zum entspannten Genießen. 7,5/10 Kronen

The Bug ft. Dis Fig - In Blue
Kevin Richard Martin kennt man vielleicht als Partner von Godflesh-Legende Justin Broadrick in der Band Techno Animal oder eben als The Bug. Der Bass-Fanatiker wildert seit jeher gerne in Dub- und Industrial-Gefilden und sorgte in den letzten gut zwei Dekaden für mehrere der düsteren Rhythmen. „In Blue“ war eigentlich für eine spezielle Radioshow konzipiert, hat sich dann aber zu einem Gemeinschaftsprojekt mit der in Berlin wohnhaften Amerikanerin Dis Fig aka Felicia Chen entwickelt. So treffen Martins harte, maschinelle Instrumentalparts auf die warme Stimmfarbe Chens, bleibt aber in vielen Kompositionen zu unentschlossen, was aus der Gemengelage nun eigentlich werden soll. Gerade auf Langstrecke wirkt „In Blue“ etwas zu verfahren und redundant, auch wenn die Ansätze gut sind. Wer die Feiertage gerne mit einem Horror-Soundtrack feiert und nicht auf das nächste Werk von Reznor/Ross warten will, der ist hier trotzdem goldrichtig. 6/10 Kronen

Buster Shuffle - Our Night Out (Re-Release)
2010 war das Jahr, wo sich die Londoner Ska-Punk Buster Shuffle mit ausgiebigen Touren und Gigs im deutschsprachigen Raum erstmals nachhaltig bemerkbar machten. Damals erschien auch das Breakthrough-Album „Our Night Out“, das mit seiner Mischung aus ungezwungenem Songwriting, Hymnencharakter und tiefenglischem Humor breitenwirksam zu überzeugen wusste. Zum zehnjährigen Jubiläum gibt es nun eine Wiederauflage für den Gabentisch, die neben gemasterten Originalsongs auch zwei - nicht wirklich herausragende - neue Tracks versammelt. Für eine bierselige Party ist das Material natürlich nach wie vor passend, doch diese Freude ist uns derzeit leider eher nicht vergönnt. Genre- und Bandfans greifen gerne noch einmal (oder erstmals) zu, alle anderen können auch problemlos zum nächsten Kapitel übergehen. Ohne Bewertung

Children Of Technology - Written Destiny
Ein Skelett mit Lederjacke, Irokesenfrisur und überdimensionaler Sense bringt den Planeten Erde zur Spaltung - das Cover-Artwork von „Written Destiny“ funktioniert schon einmal einwandfrei und auch musikalisch ist bei Children Of Technology weiterhin alles auf Schiene. Die Metal-Punks aus dem italienischen Padua haben sich für ihr Drittwerk ganze sechs Jahre Zeit gelassen, erfüllen aber mühelos alle Wünsche ihrer Fans die da wären, Uffta-Beats, „Ugh!“-Schreie und schneidende Heavy-Metal-Gitarren. Bei unseren südlichen Landesnachbarn wird eben seit den frühen Stunden (2007) vor allem Discharge, Motörhead, Diamond Head und auch ein bisschen auch der ersten Welle des Black Metal gefrönt. Was Children Of Technology auf Langstrecke genauso fehlt wie vielen anderen in diesem Retro-Fahrwasser, sind Innovation und Eigenständigkeit. Aber daran haben sich Genre-Fans ohnehin noch nie sonderlich gestoßen. 6,5/10 Kronen

Deathblow - Insect Politics
Man hat es nicht leicht, wenn man anno 2020 Thrash Metal macht und aus den USA kommt. Alles schon mal da gewesen. Zumeist wesentlich besser, druckvoller, verspielter und innovativer. So geht es auch der Salt-Like-City-Mannschaft Deathblow, deren Karriere einst - nanona - als Cover-Band begann und die sich auf ihrem Zweitwerk „Insect Politics“ nicht nur offensiv kritischen mit Regierung und Entscheidungen von oben herab befassen, sondern sich auch quer durch den instrumentalen Gemüsegarten der Heimat zocken. Hier eine Prise Metallica-Riffing, dort ein Anthrax-Rhythmus, wenn es dreckig wird kommt der Punk von S.O.D. zum Vorschein und in den Speed-Kanonaden erinnert man sich an jungfräuliche Erstauftritte von Slayer. Keine Frage - das ist handwerklich alles mehr als geschickt, aber brauchen tut man so eine Scheibe halt auch nicht. Schwierige Angelegenheit. 6,5/10 Kronen

Döll - Kultur EP
Am Ende des Jahres noch einmal Bilanz ziehen und sein Leben offenlegen, das war das Ziel des ursprünglich aus dem hessischen Darmstadt stammenden Rappers Döll, der mit „Kultur“ eine kurze, aber feine EP vorlegt, auf der er in Old-School-Manier über sein Leben und Erfahrungen referiert. Dabei geht er manchmal richtig tief, dreht sich etwa der Opener „5 Sekunden“ um den Selbstmord seines Vaters, seine Suchtprobleme und die starken Selbstzweifel, die oft mit einhergingen. „Woher“ ist eine flotte Hymne an seine Heimat, „Halb Berlin“ wiederum dreht sich stärker um seine Gegenwart. Ohne Label und Management kommt diese EP daher, die Döll so offen und direkt wie nie zuvor zeigt. Und das ohne große Angeberei - sehr gelungen. Ohne Bewertung

Drive-By Truckers - The New OK
Im US-amerikanischen Alternative-Country-Kanon sind die Drive-By Truckers seit mittlerweile knapp 25 Jahren eine der spannendsten und vor allem innovativsten Bands. Vor allem wenn es um konzeptionelle Alben geht, ist das Gespann in Athens, Georgia ganz vorne dabei. Nachdem man das Jahr im Jänner mit dem Album „The Unraveling“ begann, schließt man es nun mit dem zweiten Album „The New OK“ ab. Der Titel weist schon darauf hin - es geht um Corona und seine Auswirkungen, aber auch um die endlos zähe Präsidentschaftswahl, die „Black Lives Matter“-Bewegung und so manche andere verquere Situation, mit der die Amerikaner in diesem Horrorjahr klarkommen mussten. Das Ramones-Cover „The KKK Took My Baby Away“ ist nett, hätte dabei aber gar nicht sein müssen, denn die bluesig angehauchten Kompositionen stehen qualitativ wieder einmal für sich. Highlights: „Sarah’s Flame“, „The Perilous Night“ und „The Distance“. 7,5/10 Kronen

EOS - The Great Ascension
Gut Ding braucht manchmal wirklich Weile. Das australische Black-Metal-Konglomerat EOS hat schon 2014 an den Arbeiten zu diesem Album begonnen, da sich die einzelnen Mitglieder aber in allerlei anderen Bands und Projekten tummeln, war die Konsequenz zur Fertigstellung ewig lang nicht gegeben. Im Kontext von sechs Jahren harter Arbeit ist „The Great Ascension“ aber nicht das unumstößliche Meisterwerk, das es aufgrund der Vorgeschichte wohl liebend gerne wäre. Die drei maskierten und kapuzenbehangenen Spießgesellen setzen auf Atmosphäre und Dissonanz. Songs wie „Amour Propre“ oder „Draugar“ klingen wie eine zugänglichere Variante von Imperial Triumphant oder Deathspell Omega. Um im gleichen Sandkasten wie die ganz Großen zu spielen fehlt es EOS noch etwas an der nötigen Konsequenz, die düster-sinistren Ideen auch wirklich bis zum kompromisslosen Ende durchzusetzen. Episches wie „Memento Mori“ steht der Band aber auch gut zu Gesicht. Da ist jedenfalls noch viel Potenzial vorhanden. 7,5/10 Kronen

Evangelist - Ad Mortem Festinamus EP
Woraus andere Bands ganze Alben formen, machen die Polen von Evangelist eine EP. 36 Minuten Material ist für eine Doom-Band aber eben auch nicht so viel. Viel wichtiger ist freilich, dass die Qualität passt. „Ad Mortem Festinamus“ setzt genau dort an, wo man nach der 2018er Rückkehr „Deus Vult“ begonnen hat: man vermischt Epic Heavy Metal mit Doom-Versatzstücken und einer majestätischen Erhabenheit, wie man sie vor allem von US-amerikanischen oder deutschen Genrevorvätern kennt. Bereits die einleitenden Songs „Perceval“ und „Anubis (On The Onyx Throne Of Death)“ führen in Welten Candlemassscher Ausmaße und auch wenn man die hohe Qualität nicht immer halten kann, versöhnt vor allem das abschließende Manilla Road-Cover „Mystification“ als schöner Tribut an den verstorbenen Genre-Urvater Mark Shelton. Alles schön mit Bedacht! Ohne Bewertung

Gjoad - Samanōn
Aus dem dunkelsten Tiefen einheimischer Wälder kommt uns ein brandneues Projekt namens Gjoad entgegen, das sich aus drei, im einheimischen Metalsektor bereits kundigen, Musikern zusammensetzt, die sich hier ursprünglich nur mit ihrer Liebe zu Ambient-Sounds auseinandersetzen wollten. Wer jetzt an Burzum zu Häfn-Zeiten denkt, ist aber falsch gewickelt, denn auf „Samanōn“ befinden sich wunderschöne Klangböden mit folkloristischem Einschlag, die ihre Black-Metal-Wurzeln weniger verleugnen können als es wahrscheinlich intendiert war. Der Sound des Trios ist fast schon cinematisch geraten und erreicht seine Stärke vor allem durch die Fähigkeit, unweigerlich naturbelassene Bilder im Hörer hervorzurufen. Dazu passt auch das Cover-Artwork, eine Zeichnung von Franz Steinfeld, die eine Salzburger Landschaft von 1852 repräsentiert. Sehr runde Sache. 7/10 Kronen

Grabyourface - Sea EP
Wo andere mit 36 Minuten Material auf EP-Länge rausgehen, bezeichnet der Franzose Grabyourface etwas mehr als 20 Minuten Musikvergnügen als Album. So leicht lassen wir uns nicht aber nicht bemogeln und bewerten das hier Vorgetragene als EP. „Sea“ ist nicht unbedingt die einfachste Kost für die besinnlichen Weihnachtsmomente, denn konzeptionell befassen sich die sechs Tracks im elektronischen Kostüm mit Depressionen und geistigen Verwirrungen, die ein Individuum an den Rande des Daseins katapultieren können. Songwriterin Marie Lando geht zwar sehr ernsthaft an die Sache ran, die im New Wave und Elektronik-Bereich angesiedelten Songs wirken mit dem Sprechgesang aber zu oft unausgegoren und unentschlossen. Vergleiche mit Nine Inch Nails und Co. sollte man zudem sowieso lieber einmal weniger als zu viel machen. Schade um die vergebene Chance, ein wirklich ernstes Thema würdig und fesselnd zu vermitteln. Ohne Bewertung

Grimcult - Revelations Of Sinister Flame EP
Vom beschaulichen, zweieinhalbminütigen Keyboard-Intro sollte man sich hier keinesfalls täuschen lassen, denn direkt danach öffnen sich die Tore in den musikalischen Höllenschlund. Grimcult sind ein Ein-Mann-Projekt aus Polen, dessen Protagonist Szeneinsider von Odour Of Hate kennen. Die bewusst schwach gehaltene Produktion und der Fokus auf schneidende Gitarren, Tremolo-Picking und Uffta-Drumming lassen schon ahnen, dass hier der alten Schule gefrönt wird. Auch die krächzenden Vocals deuten mehrmals an, dass man sich einerseits von ganz alten Behemoth, aber auch von der Norweger-Garde rund um Gehenna und Dodheimsgard inspirieren ließ. Das knapp halbstündige „Revelations Of Sinister Flame“ wird der Zielgruppe wie Öl runtergehen. Ohne Bewertung

Iced Earth - Iced Earth (30th Anniversary)
Vor exakt 30 Jahren konnte man noch nicht ahnen, dass ein gewisser Jon Schaffer mit seiner Band Iced Earth die Welt des druckvollen Power Metal für immer revolutionieren sollte. Nach einer in damaligen Tapetrader-Zeiten gefeierten Demo namens „Enter The Realm“ war es Zeit für das Debütalbum, das man schon damals auf Century Media Records veröffentlichte. Dem Label, mit dem man noch heute in trauter Einigkeit arbeitet. Overkill- und Queensryche-Veredler und Metal-Starproduzent Zeuss hat sich des Kultalbums angenommen und ihm nach geschlagenen drei Dekaden zum Jubiläum zu neuem Glanz verholfen. Unglaublich, wie zeitlos die galoppierenden Riffs und ausladenden Ideen noch heute erklingen. Songs wie „Curse The Sky“ oder das treibende „Funeral“ haben nichts von ihrer alten Magie eingebüßt und gelten zurecht längst als Heavy-Metal-Kult. „Iced Earth“ erscheint remastert und ohne lästiges Beiwerk - es reicht auch absolut, wenn das in Album in all seiner Brillanz einfach so dasteht. Ohne Bewertung

Lanterns On The Lake - The Realist EP
Drehen wir das Rad der Zeit zurück. Februar 2020. Corona hängt wie ein Damoklesschwert über uns, aber es ist noch lange nicht greifbar. Aus dem Nordosten Englands kündigt sich eine Band namens Lanterns On The Lake an, die mit ihrem artifiziellen Dream-Pop weit über die Liebhabernische hinaus begeistern und dessen Debütalbum „Spook The Herd“ völlig zurecht auf die „Album des Jahres“-Shortlist für den „Mercury Prize“ kommt. Statt ausgiebigen Touren blieb auch Hazel Wilde und Co. aber nur schnödes Daheimsitzen. Den Fahrtwind des Erfolgs nutzt man nun zumindest soweit wie möglich. „The Realist“ ist eine kleine, aber feine EP mit vier brandneuen Songs und einer Neuinstrumentierung von „Baddies“. Dass die Songs mit dem gemächlichen Aufbau und der sich durchziehenden Melancholie manchmal doch etwas zu gleichförmig klingen, ergibt leider einen Abzug in der B-Note. Da ist nach dem fulminanten Full-Length-Album hoffentlich mehr drinnen. Ohne Bewertung

Little Rosies Kindergarten - Jeder gegen Jeden
Viele Köche verderben den Brei - oder eben auch nicht. Littlie Rosies Kindergarten ist eine Wiener Großformation im nicht allzu einfachen Bereich von Jazz und Avantgarde und veröffentlicht kurz vor Weihnachten mit „Jeder gegen Jeden“ das zweite Studioalbum. Auf mal längeren und mal kürzeren Klangkapiteln toben sich insgesamt sechs verschiedene Songwriter aus und improvisieren und jammen je nach Lust und Laune. Der Kindergarten soll hier ganz als Ensemble gesehen werden, denn genauso erarbeiten sich die kundigen Vollblutmusiker auch ihre Songs, die sich in durchaus erwachsenen Songs in eine naive Unschuld der früheren Kindheit zurückbeamen. Das ist freilich keine Kost für jedermann und auch überhaupt nicht einfach zu fassen, dafür aber eine kunstvolle Hommage an die Schönheit unstrukturierter Klänge. Easy Listening ist definitiv anders. 6,5/10 Kronen

Mathea - M Akustik
Mit „M“ erreichte die österreichische Künstlerin Mathea mühelos hoch angesetzte Erfolgssphären und bewies eindrucksvoll, dass die Vorschusslorbeeren durch diverse Single-Auskoppelungen mehr als gerechtfertigt waren. Passend zur ruhigen Jahreszeit und der allgemein entrückten Stimmung macht sie ihren Fans mit der Akustik-Version ihres Werkes ein schönes Geschenk. „M Akustik“ ist hauptsächlich digital zu erstehen, die Handvoll CDs kann man nicht einfach erwerben, sie werden von der Künstlerin via Spotify Canvas verschenkt - auch eine sehr innovative und zukunftsträchtige Herangehensweise. Nun aber zum Wichtigsten: die Songs funktionieren auch im entschlackten Gewand wunderbar und beweisen, dass die Künstlerin künftig auch im „Unplugged-Modus“ eine gute Figur macht. Ohne Bewertung

Misanthropia - Convoy Of Sickness
Dafür, dass Misanthropia ihrem Bandnamen zufolge wenig Freude mit Menschen haben, gehen sie inhaltlich ganz schön interessiert an die Sache ran. Wie schon beim 2016er Vorgänger „Omerta“ widmet sich das niederländische Kollektiv auch auf „Convoy Of Sickness“ der westeuropäischen Kriminalgeschichte. Inhaltlich geht es vorwiegen um die großen und kleinen, abstrusen und perversen Verbrechen der holländisch-belgischen Historie. Das verpackt das Quintett in hochmelodischen Black Metal, der mit seiner Keyboard-Lastigkeit stark an die in der Szene so umstrittenen 90er-Jahre erinnert. Am Kitsch zwischen Dimmu Borgir, Old Man’s Child und - um einen neueren Vertreter heranzuziehen - ihren Landsmännern von Carach Angren scheitert dann auch die Umsetzung. Zu viel Kitsch und Kleister verdirbt den Soundbrei auch recht schnell. Für das interessante Konzept und die dargebotene Leidenschaft gibt’s dennoch einen Bonuspunkt. 6/10 Kronen

Nali - Mic Check 12-19 EP
Als Protagonist einer neuen Generation von Rappern sieht sich der Berliner Nali, was in der Praxis bedeutet, dass er aktuelle Trends, Klänge und Strömungen mit traditionellen Skills und Einflüssen vermischt und zwischen diesen beiden Polen möglichst leichtfüßig hin- und herwandert. Nach seiner im September erschienenen Debüt-EP „Mondwächter“ zieht er nun mit acht weiteren Songs nach und beweist, dass die deutsche Rap-Zukunft tatsächlich auch wieder mehr nach den Fantastischen Vier oder Blumentopf denn nach dicker Hose und Gossengangster klingen kann. Eine gewisse „ich bin so arm und muss mich von unten raufkämpfen“-Attitüde kann man dem Hauptstädter nicht absprechen, doch gerade in Songs wie „Hast du ein‘ Moment?“ oder die mit etwas mehr Niveau als üblich vorgetragene Polizeikritik „Es wird Zeit“ lassen auf eine fruchtbare Zukunft hindeuten. Warten wir mal ab, was uns 2021 aus dem Hause Nali entgegenschwappt. Ohne Bewertung

Netta - The Best Of Netta’s Office Vol. 1 EP
Als Netta Barzilai 2018 mit der Single „Toy“ den Song Contest holte und einer politisch mehr als prekären Zeit wieder nach Israel holte, waren viele noch ob des extrovertierten und durchaus speziellen Auftretens verstört und prophezeiten der heute 27-Jährigen maximal eines kurzes Karriereaufflackern. Netta hat aber alles richtig gemacht und mit ihrem YouTube-Projekt „Netta’s Office“, auf dem sie mehr oder wenige bekannte Songs covert mittlerweile mehr als drei Millionen Views erreicht. Auf dem Weihnachtsgeschenk „The Best Of Netta’s Office Vol. 1“ versammelt die Rampensau nun alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. „The Times They Are A-Changin‘“ von Bob Dylan? Kein Problem. Der Millenniumsdisco-Smasher „Blue“ von Eiffel 65? Natürlich! „Coco Jamboo“ von Mr. President und Aquas „Barbie Girl“? Selbstverständlich. So macht die Besinnlichkeit Spaß! Ohne Bewertung

Martin Reiter & The Flow - Esteem
Martin Reiter gehört gewiss zu den talentiertesten und spannendsten Pianisten der heimischen Jazzszene. Als Studiomusiker und Sideman von nationalen und internationalen Größen wie Maria Bill, Alegre Correa, Bennie Maupin oder Simone Kopmajer hat er sein Können schon quer über den Globus verteilt zeigen können. Mit seiner famosen Band The Flow hat er sich vergangenen Herbst im Studio Baumann eingeschlossen, um am ambitionierten Konzept des neuen Albums „Esteem“ zu feilen. Das völlig ohne Keyboards auskommende Werk ist nicht nur aufgrund der Fokussierung hin zum Vinyl „old-school“ geraten, sondern weist auch im Soundsegment eine große Liebe zu Vintage auf, ohne sich in einer Nostalgieschleife zu verknüpfen. Die improvisierten Momente dienen niemals zum persönlichen Kräftemessen, sondern stärken Songpreziosen wie „Waves“ oder „Tearless“, die in aller Ruhe aufblühen können. Und - die hier mannigfaltige dargebotene - Botschaft der Wertschätzung kann ohnehin nicht oft genug auf den Tisch gebracht werden. Gelungen! 7,5/10 Kronen

Maggie Rogers - Notes From The Archive: Recordings 2011-2016
In einem heute längst bekannten Video hat Maggie Rogers einst sogar Pharrell Williams den Atem geraubt. Kein Wunder, denn die sympathische Singer/Songwriterin aus dem beschaulichen Maryland setzt in ihrer Musik auf die feine Klinge und träumerisch-handgemachte Hymnen, die sich trotz aller Strahlkraft nie zu weit von der Realität wegbewegen und stets nachvollziehbar sind. Nach knapp zwei Jahre nach ihrem großartigen „Heard It In A Past Life“ setzt die 26-Jährige kurz vor Weihnachten auf ein typisches Corona-Album. In „Notes From The Archive: Recordings 2011-2016“ greift sie tief ins eigene Archiv und lässt ihre Fans, ergänzt um einzelne Spoken-Word-Einlagen, an ihrer jahrelangen musikalischen Entwicklung teilhaben, um zu vermitteln, wie wichtig der Weg zum Ziel ist. Interessant dabei: neben sechs neuen Kompositionen geht sie chronologisch rückwärts vor, weil sie Gefallen darin findet, für die Hörer am Album jünger zu werden. Eine wundervolle Umschau. Ohne Bewertung

Saviorskin - Omnipotence Of The Absolute
Knietief in den 90er-Jahren stecken die Texaner Saviorskin auf ihrem zweiten Album „Omnipotence Of The Absolute“. Wie schon beim 2019 veröffentlichten Debütwerk setzen Hypnos Ebrius und er philippinische Frontmann Somnus Mortem auf getragenen Gothic Metal mit Doom-Schlagseite, wie er vor gut 30 Jahren durch Bands wie Paradise Lost oder My Dying Bride fast bis in den Mainstream vorstoßen konnte. Die fetten Jahre des Genres sind freilich vorbei, doch von Trends oder Zeitaufnahmen halten die beiden ohnehin nichts. Das gelingt besonders gut in Song wie „Wages Of Sin“, wo man sich nicht nur der bloßen Elegie hingibt, sondern auch leichte Industrial-Versatzstücke der Marke Type O Negative einfließen lässt. Mit Gästen wie Kam Lee (Massacre) oder dem schwedischen Tausendsassa Rogga Johansson fährt das Duo auch in diese Richtung mächtig auf. Hätte vor 30 Jahren ein Hit sein können, die Richtung stimmt. 6,5/10 Kronen

Sturgill Simpson - Cuttin‘ Grass Vol. 2 (The Cowboy Arms Sessions)
Der aus Kentucky stammende Sturgill Simpson passt perfekt in den Zeitgeist, das muss man ihm lassen. Schon früher im Jahr begeisterte er die hemdsärmelige Country-Szene mit „Cuttin‘ Grass Vol. 1“, wo er seinen Backkatalog neu revitalisierte. Zu einer Zeit, wo die „Hillbilly Elegies“ auf Netflix für Aufregung sorgen und man sich global fragt, wie die ländlichen Strömungen zu Trump entstehen können passt das kurz vor Weihnachten nachgelegte „Cuttin‘ Grass Vol. 2 (The Cowboy Arms Sessions)“ perfekt rein. Auf dem Rasenmähertraktor sitzend präsentiert er mit seinen kundigen Akustikmusikern, den „Hillbilly Avengers“ noch wesentlich persönlichere und tiefergreifende Songs als auf Teil eins. Die oft schlicht mit einem Banjo und viel Roots-Atmosphäre eingespielten Tracks erzeugen nicht nur Fernweh, sondern wissen, etwa bei „Sea Stories“, „Jesus Boogie“ oder „Tennessee“ vollends zu überzeugen. Sturgill ist eben der ursprünglichste aller Country-Stars. Ohne Bewertung

Sufism - Republik Rakyat Jelata
Auch in einem global aufgeschlossenen Jahr wie 2020 kommt man nicht umhin, manchmal einen richtigen Exotenfaktor zu erfassen. Sufism sind eine harsche und unerbittliche Brutal-Death-Metal-Kapelle aus dem fernen Indonesien. Wilde Metalbands sind dort eher selten angesiedelt, umso schöner ist es, wenn ein Album wie „Republik Rakyat Jelata“ so derbe durchs Unterholz knarzt, als hätte man sämtliche Besinnlichkeit dieses Monats noch im Keim erstickt. Nanang, Iman und Co. brauchen noch nicht einmal eine halbe Stunde für ihr kompromissloses Geknüppel und zeigen in Songs wie „Munajat Bejad“ oder „Syaithan“ sympathisch in Landessprache, das sie von den Besten gelernt haben. Das schöne Cover-Artwork soll natürlich die Heimat widerspiegeln, würde aber trotzdem besser zu Black- oder Fantasy-Metal passen. Ansonsten ein solides Werk. 6,5/10 Kronen

Swutscher - Unterm Baum mit Swutscher EP
Man kann durchaus einmal interessiert die Augenbrauen hochziehen, wenn gestandene Kneipenrocker wie die Hamburger Swutscher vor dem Weihnachtsfest Besinnliches ankündigen. „Unterm Baum mit Swutscher“ ist eine auf Bandcamp gratis zur Verfügung gestellte 3-Track-EP, die mit dem üblichen Sound der Norddeutschen wenig zu tun hat. „Die Offenbarung“ ist eine für 2021 hoffnungsfrohe Einleitung mit dem Pilsettensister Damenchor, der „Burnout Boogie“ lässt uns auf den nächsten familiären Weihnachtssuff ohne Einschränkungen hoffen, während der Klassiker „Schneeflöckchen“ zur Tresenhymne mutiert. Das braucht man natürlich nur als Hardcore-Fan, man hat sieben Minuten seines Lebens aber sicher schon sinnloser verbracht. Ohne Bewertung

Tycho - Weather (Remixes)
Scott Hansen aka Tycho ist bekannt dafür, analoge mit digitaler Musik zu vermischen und daraus ein besonders warmes und trotz allem zeitgeistiges Klangkonstrukt erzeugen zu können. 2019 begeisterte er mit seinem Album „Weather“ über die elektronische Szene hinaus und heimste sogar eine Grammy-Nominierung ein - zum Jahresabschluss 2020 legte er das ungemein feine Werk nun in die Hände talentierter Freunde, die einen spannenden und frischen Remix daraus formten. Besonders gut gelungen ist etwa der Opener „Easy“, den Mild Minds mit wundervoller Percussion verstärkt oder Satin Jackets basslastige Version des knalligen „Japan“. Völlig aus der Zeit gefallen ist „For How Long“, aus dem Harvey Sutherland ein wohliges 70s-Feeling presst. Das Original bleibt freilich unerreicht, aber auch im neuen Gewand mundet „Weather“ vorzüglich. 7,5/10 Kronen

Wombbath - Tales Of Madness
Das 30-jährige Bandjubiläum feiern die Schweden von Wombbath dieses Jahr, auch wenn das natürlich eine Mogelpackung ist. Zwischen 1995 und 2014 war nämlich Pause angesagt und eigentlich sind die fünf Todesbölzer auch erst seit der Wiedergeburt so richtig in Schuss gekommen. Nachdem man früher in diesem Jahr schon ein amtliches Album namens „Choirs Of The Fallen“ vorgelegt hat, wagt man kurz vor dem Jahreswechsel noch einmal eine schmucke Karriereretrospektive. Dabei kann man sich zu Beginn an drei Tracks aus der 1992er Demo-Phase laben, geht dann in der Historie ein Stück weiter und garniert das Ganze mit brandneuen Eigenkompositionen. So schließen Wombbath nicht nur die Schere ihrer Karriere, sondern geben dem Death-Metal-Fanatiker auch die Möglichkeit, die unterschiedlichen Schaffensphasen miteinander zu vergleichen. Essenziell für Grave- und frühe Entombed-Liebhaber. 7/10 Kronen

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