Mehr als versprochen

Mercedes GLA: Sehr gelungene „Mogelpackung“

Motor
08.12.2020 23:02

Ehrlich währt am längsten, heißt es. Aber was ist schon wirklich ehrlich in der Automobilbranche, fragen sich viele spätestens seit dem Dieselskandal. Doch manchmal schadet es nicht, nicht die ganze Wahrheit an die große Glocke zu hängen. Im Fall des Mercedes GLA kann man sogar sagen: Unehrlich fährt besser. Und vor allem komfortabler.

(Bild: kmm)

Bevor ein falscher Verdacht aufkommt, klären wir die kleine „Mogelei“ auf: Die zweite Generation des Mercedes GLA ist - anders als der Vorgänger - nicht die SUV-Version der A-Klasse, sondern eine SUV-Version der B-Klasse. Das erkennt man am Format, aber ganz dezidiert auch an der internen Baureihenbezeichnung: B-Klasse, GLA und GLB heißen allesamt „247“, nur beim Buchstaben davor unterscheiden sie sich. W247 für die B-Klasse, H247 für den GLA und X247 für den GLB

Der GLA der ersten Generation war tatsächlich die A-Klasse als SUV und dadurch ziemlich knapp geschnitten. So knapp, dass es sehr gewollt wirkt, da von einem SUV zu sprechen. Der neue GLA ist im Vergleich dazu ganz schön gewachsen und bietet ein unvergleichlich größeres Platzangebot, obwohl er anderthalb Zentimeter kürzer ist als der Vorgänger. Der Radstand ist jetzt drei Zentimeter länger und entspricht mit 2,73 Meter dem der B-Klasse. Der Neue ist drei Zentimeter breiter geworden und vor allem mehr als zehn Zentimeter höher. Man sitzt hier 14 Zentimeter höher als in der A-Klasse und fünf Zentimeter höher als in der B-Klasse.

Alles in allem sind das adäquate SUV-Maße. Dementsprechend schaut der GLA jetzt auch viel erwachsener aus. Ist er ja auch. Und auf der Rückbank herrscht jetzt Luxus und Wohlstand, auch ohne die optional verschiebbare Rückbank. Schultern, Knie, Kopf, alle haben genug Platz; lediglich der etwas sperrige, kantige Türgriff nervt etwas am Oberschenkel.

Auch der Kofferraum hat dazugewonnen, auf 435 Liter bis 1420 Liter, 14 bzw. knapp 200 Liter mehr. Größer dürfte allerdings der Tank sein, da passen je nach Version nur 43 bis 51 Liter Sprit rein (beim Plug-in-Hybrid sind es überhaupt nur 35 Liter). Was bei einem Diesel noch irgendwie geht, bei einem Benziner aber absolut nicht. Man stelle sich den Sprint von Tankstelle zu Tankstelle vor im AMG GLA 45 S mit 421 PS. Na ja.

Meistens wäre ehrlich dann doch besser
Wenn man nicht so genau hinschaut oder es einem egal ist, schaut der GLA von allen Seiten nicht nur ge- bzw. erwachsen, sondern auch noch gut aus. Aber, was man wissen sollte: Es ist kein Auspuff zu sehen. Weil das, was man für Auspuffblenden hält, sind einfach Attrappen ohne tieferen Sinn. Der Auspuff versteckt sich unterm Heck.

Überraschend adäquater Motor
Der Motor im Testwagen ist der Zweiliter-Diesel mit 150 PS. Ich gebe zu, ich bin verwöhnt. Deshalb hätte ich erwartet, dass sich der Mercedes GLA 200d 4matic leicht untermotorisiert anfühlt, weil Allrad, weil SUV-Form, weil 1,6 Tonnen DIN-Leergewicht. Aber weit gefehlt - der Selbstzünder passt richtig gut zum GLA. Die 116 PS des Einstiegs-Diesel wären mit sicher zu wenig, aber die 190 PS des stärkeren vermisse ich nicht. Er schiebt brav und vehement genug an, vor allem spontan, weil er sein maximales Drehmoment von 320 Nm schon bei 1400 Touren aufbringt. Für den Sprint von 0 auf 100 vergehen 8,9 Sekunden. Ich würde mir allerdings beim Realverbrauch eine 6 vor dem Komma wünschen, tatsächlich bin ich auf einen Durchschnittsverbrauch von 7,4 l/100 km gekommen.

Geschaltet wird per Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe. Das schaltet meistens weich und sauber, manchmal spürt man aber richtig die mechanischen Vorgänge (das ist fast schoin Mercedes-typisch) und hin und wieder kann es passieren, dass es ein paar Sekunden dauert, bis sich das Gestänge sortiert hat.

Wohlfühlen großgeschrieben
Das Fahren an sich ist was zum Wohlfühlen. Es ist leise im Innenraum, man sitzt gut, das Auto ist übersichtlicher als früher und das Fahrwerk findet einen angenehmen Kompromiss zwischen komfortabel und trotzdem nicht weich, die Lenkung gibt genug Feedback, ohne dass man sich auch nur im Mindesten gestresst fühlen kann. Man steigt auch nach langen Strecken völlig entspannt aus, auch wenn man nicht die optionale Energizing-Funktion aktiviert hat. Mit ihr aber wahrscheinlich besonders, weil da der Sitz immer wieder leicht die Position ändert, sodass man im Rücken flexibel bleibt.

Assistenten, die nicht unterstützen...
Assistenten sind hier überhaupt einige im Angebot, Mittlerweile werden auch schon Leute, die am Zebrastreifen stehen, erkannt. So weit, so modern, aber der GLA unterstützt wieder mal meine Skepsis gegenüber Autonomlenkassistenten. Das System bei Mercedes ist besonders lästig, weil man das Lenkrad dauernd bewegen muss. Es reicht nicht, die Hand dran zu haben. Aber auch sonst funktioniert das Ganze nicht gerade großartig. In leichten Autobahnkurven neigt der Testwagen zum Geradeausfahren und mit der Orientierung in der Spurmitte hat er‘s auch nicht so. Und wenn man den Blinker setzt und die Spur wechselt, lenkt er leicht dagegen, also zurück auf die Spur, die man gerade verlassen will.

Zu den weitreichenden Assistenzfähigkeiten des GLA gehört, dass er Tempolimits erkennt und auch direkt in den Tempomaten übernehmen kann. Wobei man sagen muss „erkennen soll“, denn tatsächlich ist diese Funktion eine dauernde Quelle für Ärgernis, weil die Erkennung schlichtweg unzuverlässig ist (wie bei allen anderen Herstellern auch). Ein Beispiel: Auf der A3 gilt Tempo 80 nachts für Lkws. Der GLA glaubt aber, es gilt für ihn und bremst entsprechend runter. Klar kann man die Funktion abschalten, aber wenn sie nicht zuverlässig funktioniert, braucht man sie eigentlich gar nicht anzubieten. Ist die Übernahme deaktiviert, wird immer noch das falsche Tempolimit angezeigt, aber wenigstens bremst das Auto nicht mehr unnötigerweise.

Widescreen-Display ist eine Augenweide
Der GLA hat prinzipiell das MBUX-Bediensystem an Bord, zu dem auf jeden Fall zwei Displays gehören, die zu einem großen verschmelzen und Tacho- sowie Zentraldisplay bilden. In der besten Ausbaustufe sind sie jeweils 10,25 Zoll groß. Die Darstellung ist gestochen scharf und wirkt so klar., dass man das Gefühl hat, die Augen könnten sich daran entspannen. Bedient werden die Bildschirme über Touchflächen am Lenkrad, fürs Zentraldisplay gibt es auch noch echte Tasten und eine Touchfläche auf der Mittelkonsole.

Leider ordnet sich die Funktion der Optik unter, denn das Lenkrad versperrt den Blick auf den linken Teil des Mitteldisplays. Das ist dann z.B. dann besonders unpraktisch, wenn man sich beim Navigieren Wegweiser im Live-Bild anzeigen lässt, weil dann ausgerechnet die Karte nicht zu sehen ist. Live-Wegweiser sind allerdings ohnehin nur eine Spielerei ohne echten Nutzen, weil sie viel zu spät eingeblendet werden.

Die Crux mit dem Ambiente-Licht
Die Ambientebeleuchtung trägt sehr zum hochwertigen Eindruck bei, den der Innenraum des GLA vermittelt. Aber, Frage an Mercedes: Ist niemandem aufgefallen, dass man nachts nichts im Außenspiegel erkennt, wenn die Ambientebeleuchtung aufgedreht ist? Das Licht der Lüftungsdüse spiegelt sich in der Seitenscheibe exakt vor dem Spiegel, man erkennt also - nichts. Wenigstens kann man die Beleuchtung der Lüftungsdüsen gesondert dimmen, aber das hätte man durchaus anders konstruieren müssen.

Unterm Strich
Bis auf die genannten Details ist der Mercedes GLA 200d 4matic tatsächlich ein Auto zum Wohlfühlen. Aber bei einem Testwagenpreis von 66.000 Euro darf man ein wenig kritisch sein und vor allem die modernen Errungenschaften, auf die der Hersteller so stolz ist, so darstellen, wie sie wirklich sind. Der Einstiegspreis liegt übrigens bei gut 40.000 Euro für den Basis-Benziner.

Das klingt teuer und es ist auch viel Geld für etwas, das offiziell nur ein Kompakt-SUV ist. Aber der GLA hat mit der A-Klasse zwar einen Teil des Namens gemeinsam, ist atmosphärisch und von der Größe her aber eine Nummer größer. Und fühlt sich an, wie sich ein Mercedes anfühlen muss. Und dazu gehört wohl auch teuer.

Warum?
In zweiter Generation endlich ein vollwertiges SUV
Cooler als die B-Klasse

Warum nicht?
Über manch hakendes Detail muss man hinwegsehen können, sonst nervt‘s.

Oder vielleicht ...
... BMW X1, Audi Q3, Volvo XC40, Range Rover Evoque

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(Bild: kmm)



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