"Krone"-Reportage

Einem “Kapitän” auf Schiene über die Schulter geschaut

Steiermark
22.08.2010 14:06
Der Schaffner von früher heißt heute Zug-Chef - er ist Kommandant an Bord, trägt viel Verantwortung, ist aber zugleich auch das "Mädchen für alles". "Steirerkrone"-Redakteur Werner Kopacka hat einem von ihnen beim Job über die Schulter geschaut.

Schaffner gibt's keinen mehr! Nach ersten Umbenennungsversuchen wie Reisebetreuer oder Zugbegleiter hat man sich nun auf Zug-Chef als Berufsbezeichnung geeinigt. Der alte Zwicker heißt jetzt Prägezange und statt der Box mit den Pappendeckel-Karten trägt der Chef nun ein elektronisches Kastl mit sich herum, das den hochtrabenden Namen Multifunktionaler Fahrschein-Terminal - kurz MFT - trägt.

Ein Prellbock für die Launen grantiger Reisender ist er aber nach wie vor. Zusätzlich zu den traditionellen Beschwerdeformularen wird, für Schaffner-Beschimpfungen, heute vermehrt die Internetplattform Facebook benutzt. "Scheiß ÖBB" heißt das Forum, in das der 39-jährige Zug-Chef Georg Ködel (im Bild) dem wir bei seiner Arbeit über die Schulter geschaut haben, nur mit Grausen hineinschaut. "Da ist so viel Unfaires und Untergriffiges dabei", sagt der Grazer über die Verbalattacken auf seinen Job, "und man kann sich nicht einmal wehren."

Kindheitstraum erfüllt
Dabei ist er einer der Sonnigsten dieses Berufsstandes. "Ich freu' mich, ohne Schmäh, jedes Mal auf die Arbeit. Weil jeder Tag verschieden ist, weil man dabei neuen Menschen begegnet und mit anderen Herausforderungen konfrontiert ist." Grantscherm ist Georg Ködel wahrlich keiner, auch nach 19 Dienstjahren nicht. Die haben ihn nur noch neugieriger auf jeden Arbeitstag gemacht. "Ich wollt' schon als Bub Lokführer oder Schaffner werden." Jetzt hat er ihn - den Traumberuf.

Heute hat er für ihn um 4.15 Uhr begonnen. "Ich stell' stets zwei Wecker, damit ich nicht verschlafe. Das ist mir zum Glück nur einmal passiert. Als die ÖBB-Dame angerufen hat, war's schon zu spät für den Zug, für den ich eingeteilt war. Es ist ein anderer eingesprungen und ich habe eine spätere Garnitur übernommen. Peinlich war's aber schon." Um 5.30 Uhr beginnt die Vorbereitung im Büro. "Da erkundige ich mich über Streckenunterbrechungen oder Baustellen, die für Verspätungen sorgen könnten und schau was im Postkastl liegt. Etwa die Nachricht, dass ein Rollstuhlfahrer an Bord kommt, oder eine große Reisegruppe. Danach drucke ich die Wagenliste aus, in der steht, wie viele Waggons der Zug hat, wie schwer er ist oder welche Bremskraft vonnöten ist."

30 Minuten vor der Abfahrt - in unserem Fall geht's um 6.26 Uhr nach Wien - beginnt der Zug-Check. "Es ist ein bissl wie das, was ein Pilot vor dem Start seines Flugzeuges tut." Und er ist ja auch so was Ähnliches - ein "Kapitän" auf Schiene. "Da kontrolliere ich draußen die Kupplungen und Bremsen, schalte drinnen Lichter, Heizung und Lüftung ein, schau ob genug Wasser für die Toiletten getankt wurde, überzeuge mich, dass die Abteile sauber sind, kontrolliere die Funktion der Türen und lege die Fahrpläne auf die Sitze." Wenn Zeit bleibt, stellt er sich noch als Helfer auf den Bahnsteig. "Obwohl's groß draufsteht, wollen die Leut oft wissen, ob das auch wirklich der richtige Zug ist. Sicher ist eben sicher. Bei schweren Koffern packe ich natürlich auch helfend an."

Zuletzt geht er zum Lokführer und übergibt ihm eine Kopie der Wagenliste. Der meldet dem Fahrdienstleiter dann, dass die Garnitur fertig ist. Los geht's aber erst, wenn der Chef die Kelle hebt und ins Pfeiferl bläst. Danach wird er zum Moderator. Wie im Flugzeug werden die Gäste via Lautsprecher begrüßt. "Dann verteile ich Zeitungen in der Ersten und der Business-Klasse." Business-Klasse? Wieder was aus der Flug-Branche. "Das ist die teuerste Kategorie, die Passagiere kriegen hier auch Gratis-Drinks." Um zu lernen, wie man das im Stil eines echten Stewards tut, hat man ihn sogar zwecks Einschulung zur AUA nach Wien geschickt.

Fahrscheinkontrolle das Reizvollste am Job
Jetzt darf er endlich das tun, was alle für seinen Haupt-Job halten. "Die Fahrscheinkontrolle ist für mich das Reizvollste am Job. Da trifft man auf so viele verschiedene Menschen, manche klagen einem ihr Leid und man muss zum Seelendoktor werden, andere packen alle Arten von Schmähs aus, weil sie kein Ticket haben - jede Situation erfordert da die richtige Reaktion. Das macht den Beruf für mich ja so spannend." Aber Hauptjob? Wir nutzen die zehn Minuten, die er zwischen Graz und Wien zum Verschnaufen zur Verfügung hat, um alle seine Tätigkeiten aufzulisten.

"Ich bin Putzfrau, Kellner, Kontrollor und Reiseberater, in kleinen Bahnhöfen bin ich auch Verschieber und Wagenmeister, dazu Sanitäter und Security-Mann, wenn's - wie oft bei Fußballfans -Wirbel gibt. Einmal bin ich von einem Mann, der partout kein Ticket kaufen wollte, mit dem Messer bedroht worden. Da hab' ich aufs Kassieren verzichtet - mein Leben ist mehr wert als der Preis für ein Ticket." Ach ja - eine Art Polizist ist er auch. Für Verfehlungen der Fahrgäste darf er Strafen einheben. Wer das Rauchverbot verletzt, zahlt 40 Euro, Schwarzfahrer berappen bei Barzahlung 65, per Erlagschein 95 Euro, Schmutznigel blechen bis zu 70 Euro Reinigungsgebühr, wer ohne Grund die Notbremse zieht, wird mit 73 Euro zur Kasse gebeten und für Lärmbelästigung setzt es ebenso 40 Euro wie für das unerlaubte Belegen mehrerer Sitzplätze.

"Ich kassiere aber nur, wenn es wirklich nicht anders geht", sagt Georg Ködel, "wenn beide Seiten vernünftig sind und die Nerven nicht verlieren, ist alles verbal zu lösen." Stimmt, ein Psychologe ist er ja auch, der "Kapitän" auf Schiene. Manchmal, bei internationalen Wirblern, tut er's sogar auf Englisch. Denn das beherrscht der Zug-Chef natürlich auch.

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