Grenzen bleiben offen

Erdogan: EU muss „ihren Teil der Last“ tragen

Ausland
02.03.2020 15:20

Nach der Öffnung der türkischen Grenze für Flüchtlinge hat Präsident Recep Tayyip Erdogan den Druck auf die EU weiter erhöht. Die Grenzen blieben weiterhin offen, sagte Erdogan am Montag. Jetzt sei es an der EU, ihren „Teil der Last“ zu tragen. Kritik an Erdogan kam aus Ägypten, wo die Türkei als „destabilisierender Faktor in der Region“ gesehen werde, wie Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) nach einem Gespräch mit dem ägyptischen Staatschef Abdelfattah Al-Sisi berichtete. Österreichs Staatsoberhaupt Alexander Van der Bellen kommentierte die türkische Flüchtlingspolitik mit folgenden Worten: Es sei ihm „nicht offenkundig, worauf die türkische Regierung hinaus will“. Und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) betonte, die EU dürfe sich „nicht von Erdogan erpressen lassen“.

Infolge der Eskalation des militärischen Konflikts in Nordsyrien hatte die Türkei am Wochenende ihre Grenzen für Flüchtlinge geöffnet, die in die Europäische Union gelangen wollen. Tausende Menschen versuchten daraufhin, über die Grenze nach Griechenland zu gelangen. Die EU fürchtet eine neue Flüchtlingskrise.

Erdogan erklärte am Montag in einer vom Fernsehen übertragenen Ansprache an Parteimitglieder, er habe von europäischer Seite ein Gipfeltreffen von „vier oder fünf“ Ländern angeboten bekommen. Das türkische Staatsoberhaupt wird am Montagabend zudem den bulgarischen Ministerpräsidenten Boiko Borissow empfangen. Bulgarien grenzt an die Türkei und hat nach der Grenzöffnung seine Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. Zudem werde er mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel telefonieren, kündigte Erdogan an.

Merkel: Verhalten der Türkei „inakzeptabel“
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisierte am Montag in Berlin den Umgang der Türkei mit den Flüchtlingen. Sie verstehe zwar, dass die türkische Regierung von Europa mehr Unterstützung erwarte, es sei aber „völlig inakzeptabel“, dass dies „auf dem Rücken der Flüchtlinge“ ausgetragen werde. Die Türkei stehe „vor einer sehr großen Aufgabe“, doch die Regierung in Ankara müsse ihre „Unzufriedenheit“ mit der EU austragen und nicht auf Kosten der Flüchtlinge. 

Van der Bellen: Unklar, was Türkei mit Drohung will
Bundespräsident Alexander Van der Bellen betonte am Montag beim Besuch von Kroatiens Präsident Zoran Milanovic, dass angesichts der Öffnung der türkischen Grenze in Richtung EU für Flüchtlinge, Griechenland und Bulgarien nicht allein gelassen werden dürften. Es sei ihm „nicht offenkundig, worauf die türkische Regierung hinaus will“, sagte Van der Bellen.

Gespräche mit Ankara seien allerdings nötig, um zu klären, ob die Türkei mehr finanzielle Unterstützung oder etwas anderes wolle, denn immerhin beherberge das Land 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge. Vor allem müsse sich aber die Situation in Syrien ändern, forderte der Bundespräsident. Die Situation in Griechenland verdiene schon mehr Aufmerksamkeit, so Van der Bellen weiter. „Ich möchte aber warnen, vorschnell die griechische Regierung zu verurteilen“, sagte das Staatsoberhaupt angesichts des kolportierten Einsatzes von Tränengas an der Grenze.

Kogler: „Nicht von Erdogan erpressen lassen“
Er stimme überein, dass sich die Union „nicht von Erdogan erpressen lassen darf“, stellte indes Vizekanzler Werner Kogler klar. Dieser treibe derzeit „ein böses Spiel, eine völlig bösartige Aktion auf dem Rücken von ohnehin schon sehr armen Menschen“. 

Die Lage an der türkisch-griechischen Grenze sei Erdogan geschuldet. Die Grünen seien dafür, das Migrationsabkommen der EU mit der Türkei fortzusetzen. „Aber die Einhaltung des Pakts bedeutet auch, dass Erdogan mit der Desinformationspolitik aufhören muss“ und Migranten nicht weiter unter „Vorspielung falscher Tatsachen an die griechische Grenze schicken“ soll.

Ägyptens Präsident irritiert über Erdogans Alleingänge
Irritiert über die Alleingänge seines türkischen Amtskollegen - und mindestens ebenso darüber, dass sich bisher niemand finde, der Erdogan „seine Grenzen aufzeigt“, ist Ägyptens Präsident Abdelfattah Al-Sisi. Das berichtete Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka am Montag nach einem Gespräch mit Sisi in Kairo vor österreichischen Journalisten.

„Die Türkei ist ein destabilisierender Faktor in der Region“, zitierte Sobotka den ägyptischen Präsidenten und seine harsche Bewertung der Aktionen Erdogans in Syrien und Libyen. Sisi wundere sich darüber, „dass alle zusehen und keiner ein klares Wort findet“. Dass das Verdienst Ägyptens, in einer mehr als instabilen geopolitischen Umgebung einen Garanten für Frieden und Stabilität darzustellen, in Europa wenig gewürdigt werde, während an den türkischen Staatschef offensichtlich andere Maßstäbe angelegt würden, sorgt in Ägypten für Verwunderung …

„Wir erpressen niemanden“, habe etwa Parlamentspräsident Mustafa Madbouly ungewöhnlich deutlich auf die ständigen Drohungen Erdogans mit einer Öffnung der Grenzen für syrische Flüchtlinge Bezug genommen, so Sobotka. Und auch die Eingriffe in Syrien und Libyen sehe man in Kairo - auch im historischen Kontext der jahrhundertelangen osmanischen Herrschaft über das Land am Nil - als bedrohliche Großreich-Ambitionen.

Erdogan und Putin beraten über Syrien-Konflikt
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Spannungen im Syrien-Konflikt will Erdogan indessen am Donnerstag auch den russischen Staatschef Wladimir Putin in Russland treffen. Das bestätigten beide Seiten am Montag. Erdogan sagte, er hoffe, dass bei den Gesprächen mit Putin am Donnerstag eine Feuerpause erreicht werden könne. Er hoffe, dass Putin „die notwendigen Maßnahmen, wie eine Feuerpause, ergreifen wird, und wir eine Lösung in dieser Sache finden werden“.

Der Kreml erklärte indes, die Zusammenarbeit mit der Türkei vor dem Hintergrund des Syrien-Konflikts habe hohe Priorität. Russland sei „die Zusammenarbeit mit unseren türkischen Partnern äußerst wichtig“, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.

Kämpfe um letzte Milizenhochburg Idlib zuletzt verschärft
Die Kämpfe um die letzte syrische Milizenhochburg Idlib hatten sich zuletzt verschärft. Dabei wurden bei einem Damaskus zugeschriebenen Luftangriff auch 34 türkische Soldaten getötet. Die Türkei startete daraufhin eine Militäroffensive gegen die syrische Armee. Am Sonntag tötete die türkische Armee bei Drohnenangriffen 19 syrische Soldaten und schoss zwei syrische Kampfjets ab.

Russland unterstützt in dem militärischen Konflikt die syrische Regierung. Direkte Auseinandersetzungen mit Russland will die Türkei aber vermeiden. Ankara und Moskau unterhalten bedeutende Beziehungen in den Bereichen Verteidigung und Handel. Obwohl sie im Syrien-Konflikt auf unterschiedlichen Seiten stehen, haben sich die Türkei und Russland in der Vergangenheit eng abgestimmt.

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