JA Innsbruck

Abgeordnete durften nun doch hinter Gitter

Tirol
09.11.2019 10:28

Beim zweiten Anlauf hat es nun doch geklappt: Nachdem Ende September ein überparteilich geplanter Besuch von Abgeordneten des Tiroler Landtags im „Ziegelstadl“ nicht genehmigt wurde (die „Krone“ berichtete), pilgerten die Politiker gestern durch die kühlen Gänge des Gefängnisses. Viele haben dabei „völlig neue Erkenntnisse“ gewonnen. Selma Yildirim, Justizsprecherin der SPÖ im Nationalrat, bilanztierte: „Ich habe nun eine deutlich bessere Vorstellung davon, wo die Probleme liegen.“ Teilweise brachte der Rundgang auch Erschreckendes ans Tageslicht! 

Ein verregneter und kalter Vormittag, dicke Regentropfen prasseln vom Eingangsdach der Justizanstalt Innsbruck herab, ein ungemütliches Gefühl macht sich breit. Dieses Gefühl legt sich auch beim Betreten des Gefängnisses nicht – im Gegenteil: Frisch und trostlos ist es in den Gängen der jeweiligen Ebenen, die in aller Ruhe besichtigt werden.

„Wir haben derzeit 140 Vollzeitkräfte“
Teils mit großen, neugierigen Augen schaut die Delegation umher, in den oft ratlosen Gesichtern kann man erkennen, dass sich Fragen auftun – auf die Anstaltsleiter Reinhard Potocnik natürlich Antworten hat. Der Dauerbrenner Personalnot wird gleich zu Beginn thematisiert. „Wir haben 162 Planstellen, davon sind 140 Vollzeitkräfte. Würden wir mehr Personal erhalten, wären wir nicht abgeneigt“, verdeutlicht Potocnik.

„Manche Beamte arbeiten 20 Tage am Stück durch“
Eine Spur detaillierter drückt sich Gewerkschafter Oliver Wille aus: „Wir haben zwar 140 Beamte auf dem Papier, jedoch müssen wir Krankenstände und Urlaube mit einberechnen. Dann kommen wir auf 100 bis 120 Beamte. Im Schnitt leistet jeder von ihnen 200 Stunden pro Monat. Einen freien Tag zu bekommen, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Es kommt sogar vor, dass Beamte 20 Tage am Stück durcharbeiten.“

Regelmäßig Prügeleien
Auch die Gewaltbereitschaft ist von Interesse. „Derzeit ist der Spazierhof Hotspot für Gewalttaten. Mindestens zweimal in der Woche haben wir es etwa mit Schlägereien zu tun“, sagt Potocnik. Die Zahl der Gewaltdelikte dürfte aber deutlich höher sein. „Immer wieder kommen Insassen ,zu Fall’, doch selten wollen sie die Übeltäter ankreiden“, verrät der Anstaltsleiter.

Handys werden regelmäßig in die Anstalt geschmuggelt
Auch das Schmuggeln von Mobiltelefonen, die in winzigen Größen voll funktionsfähig erhältlich sind, sowie von diversen Drogen wurde diskutiert. Wie die „Krone“ seit Jahren berichtet, werden die Arbeitsbedingungen für die Beamten schwieriger. Darauf verweisen einmal mehr die Gewerkschafter: „Die Politik ist gefordert!“

Justizsprecherin der SPÖ im Nationalrat: „Der Besuch hat mir geholfen“
Selma Yildirim ist Justizsprecherin der SPÖ im Nationalrat. Auch sie war beim Rundgang dabei. Es war bereits ihr zweiter Besuch in der Justizanstalt Innsbruck, dennoch war die Betroffenheit bei Yildirim sichtbar: „Vor allem die Personalsituation hat mich getroffen. Ich habe schon von den Problemen gehört, aber ich konnte mir nur schwer etwas Konkretes darunter vorstellen.“

Man höre zwar immer von gewissen Schlagwörtern, doch es fehle einem an der Vorstellungskraft. „Wenn man vor Ort ist und sich alle Seiten anhört, wird das Bild klarer. Mir hat der Besuch die Augen geöffnet und geholfen. Ich bitte die Personalvertretung, mir ihre Verbesserungsvorschläge mitzuteilen. Wir sind in der Verantwortung, zu handeln. Ich würde sehr gerne mein Augenmerk darauf richten“, verspricht Yildirim.

Kritik an den bisherigen Justizministern gibt es von FP-LA Christofer Ranzmaier: „Die Justizwache-Beamten wurden jahrelang im Stich gelassen. Das muss sich dringend ändern.“

Erschreckend! 
Ein Bericht der Bundesvolksanwaltschaft, in dem Empfehlungen für die Justizanstalt Innsbruck ausgesprochen wurden, hat die Politiker sämtlicher Parteien des Tiroler Landtags dazu animiert, sich selbst ein Bild von der Lage hinter Gittern zu machen. Ein Vorhaben, das wichtig ist, um vor allem auch den laut um Hilfe schreienden Justizwache-Beamten das Gefühl zu geben, dass man sich für sie interessiere. Erschreckend an dieser Sache ist jedoch, wie wenig viele Abgeordnete vom (Arbeits)leben hinter den Mauern des „Ziegelstadls“ wissen, wie folgende Fragen zeigen: Wann bekommen die Inhaftierten warme Mahlzeiten? Warum gibt es keine Duschen in den Zellen? Wie lange bleiben die Insassen in Innsbruck? Wo kommen sie dann hin? Und was muss sich ein Beamter eigentlich alles gefallen lassen? Wenn derart grundlegende Sachen nicht bekannt sind, wie soll man dann jemals die Leiden der Justizwache-Beamten verstehen können?

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