Live im Steinbruch

Kraftwerk: Irdisches Treiben der Techno-Aliens

Musik
23.07.2018 12:00

Vier Jahre nach den legendären Auftritten im Wiener Burgtheater machte das „Spacelab“ der deutschen Elektronikpioniere wieder in Österreich Station. Im wundervollen Ambiente des Römersteinbruchs St. Margarethen begeistern Ralf Hütter und Co. mit einer zeitlos-futuristischen Reise durch progressive Klangsphären - da schloss sogar der Himmel seine Schleusen.

(Bild: kmm)

Paul McCartney ist gerade drauf und dran, diesen Dezember insgesamt 30.000 Leute in die Wiener Stadthalle zu locken - für die deutschen Electro-Pioniere Kraftwerk im Steinbruch St. Margarethen haben sich immerhin 4.500 Besucher eingefunden, um - Stoßgebete gen Himmel absetzend - auf eine möglichst trockene Open-Air-Audienz zu hoffen. Insofern ist die 1997 von der „New York Times“ ins Leben gerufene Feststellung, Kraftwerk wären die Beatles der elektronischen Tanzmusik etwas irreführend, doch wie schon die Fab Four aus Liverpool für den Pop, bereiteten die Klangästheten aus Düsseldorf in den 70er-Jahren den Boden für so ziemlich alles, was heute mit Synthesizer, Laptop oder USB-Stick auf der Bühne hampelt.

Architektonischer Sound
Alle heiligen Zeiten schweben Gründungsmitglied und Mastermind Ralf Hütter samt Entourage nach Österreich ein, um den retrofuturistischen Charme und die Zeitlosigkeit ihrer Kompositionen mit ihren Fans zu teilen. 2014 etwa gab es an vier Abenden verteilt gleich acht Auftritte im Wiener Burgtheater, dazwischen bespielte das Quartett mit großer Vorliebe Museen zwischen Bilbao und New York und die absurdesten Open-Air-Bühnen. Hütter ist schließlich studierter Architekt und hat dafür 1970 sogar seine aufstrebende Band auf Eis gelegt. Architektonische Besonderheiten sind auch die Klammer, die eine Kraftwerkshow zusammenhält. Vollkommene Glückseligkeit scheinen Musiker und Besucher dann zu erfahren, wenn Außen- und Innenleben eines Auftritts kongruent interagieren. Fein austarierte Soundkaskaden vermischt mit historischen Gemäuern ist gleich maximales Konzertvergnügen. Die Rechnung ist einfach. Erst Recht, wenn Petrus Gnade walten lässt und seine massiven Regenschauer gütig vor und nach dem Auftritt auf die burgenländische Ebene ergießt.

Der gut zweistündige Auftritt bietet einen bunten Querschnitt aus allen Schaffensphasen der Band. Beeindruckend ist neben den punktgenauen 3D-Projektionen immer noch das prophetische Talent, das Kraftwerk schon vor mehr als 40 Jahren an den Tag legten. Schon im Eröffnungsteil huldigt man den Computern, die Anfang der 80er-Jahre, als Kraftwerk in ihrem legendären Kling-Klang-Studio an den progressiven Klängen schraubte, als elektronische Neugeburt ein Dasein fernab jedweder Massenpopularität fristete. Wie im Song „Computerwelt“ ersichtlich, fand Hütter schon 1981 die Worte der Gegenwart: „Business, Numbers, Money, People“. Ganz der Kapitalist der Neuzeit propagierte das Hirn der Band in Interviews die 168-Stunden-Woche, zeigte niemals Verständnis für die „künstliche Trennung“ von Arbeit und Freizeit. Bundeskanzler Kurz würde feuchte Augen kriegen, wäre er hier statt - wie passend - auf „Freizeitarbeitsreise“ in Kalifornien.

Technoides Spektakel
„Die Mensch-Maschine“ kennt eben keine Gnade und keinen Stopp. Kraftwerk ziehen sämtliche Register ihres Könnens und mäandern wortlos und klangkräftig durch ihre beeindruckende Diskografie. Vier Männer in sonderbaren Anzügen, die auf der Bühne an Reglern drehen und sich am liebsten von all dem bunten Treiben absorbieren würden. Die Unnahbarkeit ist neben der effektreichen Präsentation ein wesentlicher Stützpfeiler für die Magie des technoiden Spektakels. Highlights gibt es sonderzahl. Das pulsierende und hochaktuelle „Radioaktivität“ dringt ebenso markant durch den Körper wie das fast schon analog wirkende „Das Model“ oder die die Kosmos-Hymne „Spacelab“, bei der Hütter nicht wie zweit Tage zuvor in Stuttgart ISS-Astronaut Alexander Gerst zuschaltet, aber dafür eine Skizze des Römersteinbruchs an das Lied-Ende stellt.

Unfreiwillig hat diese Kraftwerk-Show anno 2018 etwas Tröstliches für ihre Heimat. Als zum animierten Video des ersten großen Band-Hits „Autobahn“ ein VW-Käfer und ein alter Mercedes über die Leinwände schlingern, denkt man unbewusst an die Zeiten des deutschen Aufbruchs und der wirtschaftlichen Souveränität - Jahre vor der eher tristen Gegenwart, wo Probleme in der Innen- und Außenpolitik, Abgasskandale und Misserfolge im Fußball eine ganze Nation zu lähmen scheinen. Kraftwerk hingegen betonen - ohne nationalistischen Mief - die progressive Vorherrschaft ihrer einst so kräftigen Heimat. Würde man Deutschland direkt aus dem Klischeebuch heraus beschreiben, wären Kraftwerk dafür die Begriffserklärung im Duden. Nach den zwei Stunden Konzertvergnügen sind nur die irdischen Klänge verhallt, die Maschine wird bis zum Ende weitermachen und zurückkehren. „Music Non Stop“.

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