Die Obersteirerin Herta Nägele war sechs Tage alt, als sie zur Adoption „abgegeben“ wurde - die Frage nach dem Warum quälte sie immer. Die Antwort - und ihre Mutter und Geschwister - fand sie in Kanada.
„Ich muss Ihnen gleich sagen: So wie im Fernsehen war unser Wiedersehen nicht: Wo sich alle in die Arme fallen, alle weinen, es nicht fassen können“, stellt die sympathische und fröhliche Herta Nägele bei unserem Treffen sofort klar. Aber: „Für mich war es wahnsinnig wichtig. Es war ein Abschluss - und Neubeginn.“
Aber fangen wir am Anfang an. Sechs Tage alt war das Neugeborene, als es im Jahr 1952 von der Mutter fortgegeben wurde. „Ich sollte adoptiert werden, aber das hat dann nicht geklappt.“ Also wuchs Herta in einer Pflegefamilie auf, „meine Pflegemutter war lieb und bemüht. Insgesamt hat sie 25 Kinder aufgezogen.“ Seit sie sich erinnern kann, sagt Frau Nägele, hatte sie gewusst, dass die leibliche Mutter sie hergegeben hat. „Ich bin damit aufgewachsen.“ Freilich, die Frage nach dem Warum, die hätte sie schon beschäftigt. Aber darunter gelitten?
„Natürlich leidet man“
„Sie ist immer so eine starke Frau, sie würde das ja nie zugeben“, sagt Christine Friedl, ihre beste Freundin seit vielen Jahren. „Aber natürlich beschäftigt einen die Frage, warum die Mutter einen nicht wollte, ein Leben lang. Natürlich leidet man! Das hat einen ein Leben lang im Griff, formt einen.“
Und verfolgte die Steirerin auch: „Ich hab mit 18 geheiratet, und da gab es dann Probleme wegen der fehlenden Adoptionspapiere.“ Bei der Hochzeit gab es Schriftverkehr von der Behörde mit der Mutter, „also hab ich gewusst, dass sie lebt“. Dass die Mutter dennoch keinen Kontakt mit der Tochter gesucht hätte - da muss selbst die starke Herta Nägele heute noch ein paar Tränen unauffällig wegwischen.
Gesucht habe sie nie nach ihr. Bis vor zwei Jahren bei einem Klassentreffen Freundinnen, die so gerne diese Zusammenführungsshows im Fernsehen anschauen, sie auf die Idee gebracht haben.
Den Bruder in Kanada einfach angerufen
Dann ging alles ganz schnell. In modernen Zeiten des Internets fand sie erst heraus, dass sie einen älteren Bruder hat! „Der lebt auch in Kanada. Ich habe ihn einfach angerufen.“ „Einfach“ ist gut - „ich muss zugeben, dass ich sehr aufgeregt war. Erklär einmal einem Fremden, dass man die Schwester ist!“ Der Bruder, der das nicht wusste, fiel aus allen Wolken, stellte aber den Kontakt zu den weiteren drei Geschwistern her. Und schlussendlich zur Mutter.
„Es stellte sich heraus, dass sie nie etwas von mir erzählt hatte. Sie hat mich abgegeben und damit komplett ,gelöscht‘.“ Eine höchst bittere Erkenntnis. „Man muss aber das Umfeld mit einbeziehen. Ich bin aus einer Vergewaltigung heraus entstanden, war das zweite ledige Kind der alleinerziehenden Mutter. Sie hat keinen Ausweg gesehen, sie wollte, dass es mir besser geht.“ Mit dem späteren Ehemann wanderte die heute 88-Jährige nach Kanada aus, bekam noch drei Kinder. Und die luden Herta jetzt ein!
Treffen war zunächst kühl
„Es war schon sehr aufregend, das erste Mal die Mutter zu sehen“, erzählt Herta, jetzt wieder zu Hause in Judenburg. „Das Treffen war zunächst auch eher kühl, von beiden Seiten.“ Aber am letzten Tag der Rundreise, die Herta mit Christine durch Kanada gemacht hat, verlangte die Mutter sie noch einmal zu sehen. „Da hat sie mich umarmt, geweint und gesagt: ,Ein Loch in meinem Herzen wurde geschlossen.‘“
Noch einmal werden sich Mutter und Tochter vermutlich nicht sehen, „aber wir telefonieren jetzt manchmal“. Hertas Resümee: „Ich bin froh, dass wir das gemacht haben. Es wird keine große Mutter-Tochter-Liebe mehr werden, dafür ist zu viel passiert. Aber bei mir ist die Unsicherheit weg. Ich hab‘ Klarheit. Ich kann abschließen. Dafür bin ich dankbar.“
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