„Krone“-Interview

Ben Caplan: „Sagt immer ja zum Hässlichen!“

Musik
11.06.2018 08:25

Bevor Folkmusiker Ben Caplan mit seinen famosen Casual Smokers unlängst die Bühne des ehrwürdigen Porgy & Bess in Wien betrat, wurde der Bandbus aufgebrochen. Der kanadische Rauschebart machte daraus aber das Beste und bot seinen Fans ein famoses, mehr als eineinhalbstündiges Konzert mit allen Hits und improvisierten Schmankerl. Das sagt fast mehr über den hart arbeitenden Musiknerd aus als jedes Interview. Wir haben es trotzdem versucht, und über sein kommendes neues Album „Old Stock“, Humor in ernsten Themen und die aktuelle politische Weltlage gesprochen.

(Bild: kmm)

„Krone“: Ben, alles begann bei dir vor sieben Jahren, als du auf YouTube deinen Song „Down To The River“ hochgeladen hast. Heutet findet man darunter Kommentare wie „come for the beard, stayed for the music“. Wunderst du dich manchmal, wohin dich deine Karriere mit all den Preisen, Alben und vollen Konzertvenues mittlerweile geführt hat?
Ben Caplan:
Es war immer mein Ziel, in Kanada ein paar Konzerte in kleinen Clubs zu geben. Ich habe als Teenager viele Bands gesehen und wollte in ihre Fußstapfen treten. Als ich das erste Mal nach Europa kam, habe ich das nur gemacht, um die kanadischen Booker damit zu beeindrucken, damit sie mich einfach ernst nehmen. (lacht) Seit damals ist aber wirklich viel passiert und die Reise ist ziemlich verrückt.

Dich ab einem gewissen Alter dazu zu entschließen, dass du dich voll und ganz auf die Musik konzentrieren würdest, war ein durchaus mutiger Schritt.
Es war nachdem ich mein Studium mit dem ersten akademischen Grad abschloss, ich war da ungefähr 24 Jahre alt. Davor pendelte ich immer zwischen Theater, einer akademischen Karriere und dem Hobby Musik, das ich aber immer sehr ernst nahm. Im Theater sah ich dann keine Zukunft, die akademischen Wege haben mich eher enttäuscht und sonst wusste ich nicht, was ich machen sollte. Somit habe ich den Fokus exklusiv auf die Musik gelegt. Mehr oder weniger war für mich immer klar, dass ich im künstlerischen Bereich tätig sein werde.

Du gehst musikalisch sehr vielseitig vor. Einerseits spielst du oft Konzerte ganz alleine, andererseits hast du auf einem Album wie „Birds With Broken Wings“ (2015) rund 30 Musiker eingeladen, die mit dir daran arbeiteten. Bist du eher ein Teamplayer oder ein Einzelgänger?
Ich denke, ich bin ein bisschen von beidem. Wenn ich Songs schreibe, oder Visionen meiner Musik kreiere, dann bin ich ziemlich alleine und brauche diese Freiheiten. Sobald ich aber einen Sinn für die Richtung habe, die ich einschlagen will, hole ich mir so viel Hilfe und Leute wie nur möglich. Ich kann nicht immer alles alleine machen und bin froh, wenn ich unterschiedliche Talente mit unterschiedlichen Ansichten um mich herum versammeln kann. Wenn ich eine Idee für einen Drum-Part habe, dann sollte das auch einer machen, der sein Handwerk wirklich gut beherrscht. In der Umsetzung funktioniere ich am besten, wenn ich einen Orbit an Menschen um mich herum habe.

Würdest du dich selbst als Perfektionisten bezeichnen?
Schwierige Frage. Ich glaube aber, der Ausdruck geht etwas zu weit. Ich verlange eine gewisse Attitüde und Ergebenheit von den Menschen um mich herum. Es ist nicht so, dass ich sie drehen will, aber ich habe einen sehr stark ausgeprägten Sinn dafür, etwas so gut wie möglich zu machen. Ich glaube, dass ein Perfektionsgedanke den Output zerstören kann, aber jeder einzelne Beteiligte sich wirklich auf seinen Teil im Projekt fokussiert und das Allerbeste aus sich herausholen will, ohne sich unter Druck gesetzt zu fühlen, dann erreicht man im Ergebnis oft etwas, das sogar über die pure Perfektion hinausgeht.

Viele Leute denken sich ob deiner vielen Kooperationen wahrscheinlich, woher du all die Leute kennst. Bist du einfach ein geborener Netzwerker?
Das könnte schon sein, denn in den letzten zehn Jahren habe ich mit mehreren hundert Musikern gearbeitet. Aber wie gesagt, für mich hat jede Person ein einzigartiges Talent, das sehr wichtig für das Projekt ist. Es geht nicht um das Instrument, sondern um den Instrumentalisten. Wenn ich ein Saxofon in einem Song arrangieren möchte, dann weiß ich genau, welchen Instrumentalisten ich dafür brauche. Ich fühle mich sehr stark zu einzelnen Musikern hingezogen, wenn sie ihre Kunst zelebrieren. Ich habe sehr schnell im Kopf, wer wo passend ist.

Du hast in vielen Interviews gesagt, dass die Texte im Endeffekt der wichtigste Teil deiner Musik sind. Ist es nicht manchmal schwierig, eine gute Geschichte zu erzählen, die dich selbst und auch deine Hörer zufriedenstellt und gewissen qualitativen Ansprüchen genügt?
Für mich ist es eher schwierig einen Grund zu finden, in der Stille zu bleiben und mich nicht zu artikulieren. Ich kann nicht wirklich stillhalten und sobald ich einen Song schreibe, singe, spiele oder aufführe, will ich wirklich daran glauben, was ich damit mitteile. Jeder Song soll eine gewisse Relevanz haben und nicht einfach nur so dastehen. Ich bin nicht der Typ, der Freitagabend eine super Nacht hat und daraus einen Song macht, so ticke ich nicht. Diese Musik hat ihren Platz und auch ihren Wert, aber nicht in meiner Welt.

Dein neues Album „Old Stock“ basiert wohl auf dem Theaterstück „Old Stock: A Refugee Love Story“, das du in der Rolle des Hauptdarstellers seit einigen Monaten in den USA und Kanada aufführst.
Die Idee beim Songschreiben war, dass ich für Musik und das Theaterstück gleichermaßen sorgen kann, ich hatte aber schon immer im Sinn, dass die Songs auch abseits davon funktionieren sollten. Mir gefiel der Gedanke, dass die Darsteller die Texte sprechen und gleichermaßen singen könnten. Es ging mir um den emotionalen Subtext und die metaphorische Atmosphäre, die in bestimmten Momenten des Stücks vorkommt. Jetzt kann ich sagen, dass das eine auch abseits vom anderen klappt und das war immer mein größtes Ziel.

Das Stück basiert auf einer wahren und ernsthaften Begebenheit von zwei Menschen, die 1908 von Rumänien nach Kanada geflüchtet sind. Inspiriert wurde das Stück vom Schicksal der Urgroßeltern der Dramatikern Hannah Moscovitch, die am Projekt beteiligt war. War es schwierig, das Stück aufgrund der direkten Verbindung so umzusetzen?
Nicht wirklich. Es gibt natürlich dunkle und ernsthafte Momente, aber auch sehr viel Platz für Humor und Sex-Witze. Der Punkt des Stücks ist nicht, dass wir uns auf die Tragik des menschlichen Lebens konzentrieren, sondern vielmehr an die Menschlichkeit und die Erfolge von Leuten, die zwar einerseits dramatische Erlebnisse mitmachen, andererseits aber auch immer wieder Momente der Freude und des Glücks verspüren.

Der Erfolg war euch damit sicher. Nach umjubelnden Aufführungen in Kanada habt ihr damit auch am New Yorker Broadway reüssiert.
Europa kommt als nächstes. Im Oktober spielen wir damit eine große Tour in Großbritannien und dann in den Niederlanden. Australien ist 2019 dran, Kanada und die USA folgen noch einmal und hoffentlich auch noch der Rest von Europa.

In der Theaterrolle schlüpfst du in den Charakter jemandes anderen, als Sänger geht es darum, auf der Bühne so echt und authentisch wie möglich zu wirken. Fällt dir diese widersprüchliche Art des Performens manchmal schwer?
Ich weiß nicht, ob ich dem so einfach zustimmen kann. Auch wenn ich als Theaterschauspieler auf der Bühne stehe, gibt es viele Momente, die sehr real, authentisch und auch verletzlich sind. Andererseits trägt man natürlich eine Maske, unter der ich mich persönlich etwas von der Realität wegziehe, um das Chaos nach vorne zu kehren. Das gleiche ist aber auch als Musiker der Fall. Ich bin dort nicht immer zu 100 Prozent ich, sondern manchmal auch einfach ein Entertainer, der eine gewisse Rolle einnimmt. Die Grenzen zwischen diesen beiden Welten verschwimmen jedenfalls.

„Old Stock“ ist nicht nur dein drittes Album, sondern auch das erste, wo es durch die Flüchtlingsstory schon eine Vorlage gab, du quasi nicht die komplette kreative Freiheit hattest. Hatte das Auswirkungen auf deine Arbeit?
Dass ich eine gewisse Struktur hatte, der ich meine Aufmerksamkeit widmen musste, hat die Sache wesentlich einfacher gemacht. Limitierungen hast du als Songwriter, wenn du die völlige kreative Freiheit hast, weil du dich sonst einfach in den Themen verrennst. Es war einfach eine wirklich gute Übung und ein für mich anderer, ungewohnter Ansatz.

Wie wichtig war es dir, die Grundgeschichte aus dem Jahr 1908 mit der aktuellen Flüchtlingsthematik zu verknüpfen?
Das war sogar sehr wichtig. Die aktuelle Flüchtlingskrise war sogar die Hauptmotivation für das gesamte Projekt. Mein Ziel war es, die aktuellen Ereignisse als Subtext mit der Geschichte von damals zu verbinden. Ich wollte aber keine Vergleiche stellen, da sie sehr offensichtlich sind. Ich will einfach die Beweggründe und Ziele dieser Menschen hervorkehren, genauso wie die Menschlichkeit, die sie immer wieder beweisen. Ich hoffe, dass die Menschen dadurch einen Bezug zwischen damals und heute herstellen können.

Kanada ist derzeit eines der wenigen, wirklich linksprogressiv geführten Länder in der westlichen Hemisphäre. Wie siehst du als politisch interessierter Mensch die Lage rund um die Flüchtlingsströme?
Die Lage ist auch in Kanada ziemlich heikel. Wir hatten in den letzten Jahren eine gute Regierung, aber populistische Politiker haben wir genauso zuhauf. Es gibt keine Antwort auf diese schlimme Situation, aber wir brauchen vor allem die richtige Balance zwischen den Problemen unserer nationalen Integrität und dem Machthunger vieler Menschen, die anderen Menschen dadurch Angst einimpfen. Gerade in Europa sollte man sich lieber  daran erinnern, dass eine solche Lage schnell dramatisch werden kann. Ich finde es verdammt verstörend, wohin sich die Welt gerade dreht und es sollte sich jeder bewusstmachen, warum und wovor er überhaupt Angst hat bzw. ob diese Angst gerechtfertigt ist. Zu welchem Grad sollten wir den Institutionen unserer Heimat vertrauen, dass sie uns vor gefährlichen Dingen schützen? Es gibt nur einen sehr kleinen Prozentsatz wirklich böser, hinterlistiger Menschen an den Machthebeln und die große Mehrheit ist liberal und sehr moderat eingestellt. Im ersten Song von „Old Stock“, „Traveller’s Curse“, gibt es die Textzeile „who can deny your moral right to prosperity and order, you fell out of your mother on the other side of the border“. Das ist sehr wichtig, denn derzeit sind wir in der Situation des Überflüsses und des Reichtums, aber das kann sich schnell ändern. Wir haben eine große Verantwortung, die Welt nicht zu schief fallen zu lassen. Wir sollen uns so benehmen, wie wir es gerne von unseren Nachbarn hätten. Die Münze im Sinne der Politik und des Klimawandels kann sich schneller drehen, als die meisten von uns glauben.

Willst du mit dem Album eine Botschaft von Trost oder Hoffnung vermitteln?
Das Album endet eher mit einer Frage als Antworten, aber das Theaterstück bezieht sich am Ende auf die Generationen, die nach dem aus dem gewalttätigen Rumänien flüchtenden Paar entstehen. Es geht quasi um die Realität, die Familie, die heute als Nachkommen existieren - bis hin zum Ur-Urenkel, das letztes Jahr geboren wurde. Am Album selbst war es bestimmt nicht mein Ziel, am Ende eine hoffnungsfrohe, schwungvolle Botschaft zu vermitteln, sondern es geht eher um die Frage, welche Möglichkeiten zur Hoffnung und Verbesserung der Lage wir haben oder einsetzen können.

Wenn man sich die Geschichte von „Old Stock“ ansieht und mit der Gegenwart vergleicht wird einem schnell gewahr, dass sich gewisse Dinge auch nach 100 Jahren nicht verändert haben.
Und das ist ziemlich traurig. Ich glaube nicht an Magie oder eine Art von Zauberei, die alle Probleme der Welt wie von selbst wegwischt. Wir müssen uns einfach verantwortungsvoll verhalten und uns dafür engagieren, dass die Menschlichkeit überhandnimmt. Es geht darum, die Welt mit so viel Licht wie möglich zu bescheinen.

Kann ein Künstler wie du mit einem Album wie diesem die Welt in gewisser Weise zu einem besseren Ort machen, oder ist dieser Gedanke viel zu naiv?
Das ist nicht mein Ziel. Ich will die Welt nicht besser machen, sondern einfach nur eines der Lichter sein, die für Menschlichkeit brennen. Ein großartiger Rabbi sagte einmal, dass jeder Mensch eine Kerze in sich brennen hat und diese Kerze einzigartig ist. Es ist unsere Aufgabe, diese Kerze immer am Brennen zu halten und das Licht so hell wie möglich in die Welt erstrahlen zu lassen. Nur so können wir andere dazu ermutigen. Wenn mein Licht sich also auf andere überträgt, dann habe ich mein Ziel erreicht.

Du bist auch ein großer Fan von Zynismus - vor allem in deiner Musik. War bei so einem ernsten Thema wie dem auf „Old Stock“ aber Platz dafür?
Darauf kannst du wetten. (lacht) Die zweite Single „Plough The Shit“ steckt voller Zynismus. Da ist sogar so viel Zynismus drin, dass es mir fast schon zu viel war. Furchtbares Benehmen wird in diesem Song bekräftigt und verstärkt und es gibt wenige Grenzen. Es gibt Ähnlichkeiten zu meinem Song „Stranger“, wo es um eine Weltsicht geht, die ich in der Realität hoffentlich nie erfahren werde. Andererseits artikuliere ich sehr gerne Meinungen, die ich hässlich oder abstoßend finde. Ich will mich nicht davon abdrehen, sondern diese Hässlichkeit mit mir konfrontieren und etwas daraus kreieren. Wenn es Leute gibt, die einen Text von mir hören oder lesen und ihn unfassbar abstoßend finden, dann habe ich vielleicht ein Stück meines Ziels erreicht.

Unvergessen bleibt auch dein Auftritt beim Summerville Festival in Wiesen 2016, wo du den abgesagten Pete Doherty spontan als Headliner ersetzt hast, nachdem du schon die reguläre Nachmittagsshow gespielt hast. Ein Ereignis, das sich für immer in deinen Kopf gebrannt hat?
Es geht immer darum, ja zu sagen. Das ist meine Philosophie, meine Weltsicht. Ich sage ja zum Schönen, ja zum Hässlichen und ja zum Ungeplanten. Natürlich wäre es leicht gewesen zu sagen, dass wir nicht bereit wären, der Soundcheck ausfällt, wir nachmittags schon Songs spielten oder wir schon zu betrunken waren. Aber das wäre zu einfach gewesen, da fehlt mir das Abenteuerliche. Da aber nichts geplant war, war es umso schöner. Es war wahrscheinlich meine beste Show in Österreich und eines der absoluten erinnerungswürdigsten Ereignisse meines Lebens. (lacht)

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