Abstand vom Piano

Keane im krone.at-Interview

Musik
25.10.2008 19:51
Mit ihrem Debüt-Album "Hopes & Fears" eroberten Keane vor wenigen Jahren auf Anhieb die Welt. "Somewhere Only We Know" hieß der Riesenhit, der dem Trio in der ganz und gar unüblichen Besetzung Sänger-Multiinstrumentalist-Drummer den Durchbruch bescherte. Mit dem darauf folgenden "Under The Iron Sea" konnten sie an den Erfolg anschließen. Keane gehörten plötzlich zu den ganz Großen im Biz, was zwischenzeitlich an Sänger Tom Chaplin nicht ganz spurlos vorüberging. Dieses Tal überwanden sie, mit "Perfect Symmetry" gibt es nun ein Wiederhören und einen musikalischen Neuanfang. krone.at traf Band-Mastermind Tim Rice-Oxley zum Interview.
(Bild: kmm)

Dass Tom Chaplin vor zwei Jahren in einen Drogensumpf abstürzte, darüber redet sein Kollege Rice-Oxley heute nicht mehr bzw. lässt er sich nicht drauf ansprechen. Der charismatische Sänger mit dem jugendlichen Gesicht schaffte den Entzug, die Band konnte die Arbeit wieder aufnehmen - basta. Der Rest ist Schweigen.

Die mit Sicherheit schwierige Zeit schlug sich dennoch im neuen Album nieder, dessen Titel nicht unbedingt das meint, wonach es zunächst aussehen könnte. Man ging neue Wege, produzierte die Platte selbst, der Sound wurde teils drastisch verändert - plötzlich finden sich Gitarren in der bis dato strikt Klavier-orientierten Band! Keane wollten „das Alte“ hinter sich bringen, was ihnen auch gelungen ist. Und es sieht so aus, als hätten auch die Fans nichts gegen den Neuanfang, auch wenn der neue Abstand zum Klavier kein leichter ist. Hier unser Gespräch mit Songwriter und Multiinstrumentalist Tim Rice-Oxley...

Was meint ihr mit „The Perfect Symmetry“?

Tim Rice-Oxley:
Mmh, das Album ist sehr philosophisch angehaucht. Wir machen uns darüber Gedanken, wie man ein besserer Mensch werden kann, wie die Menschen besser werden können. Der Titel soll uns daran erinnern, wie sehr wie uns von unseren Wünschen für eine bessere Zukunft unterscheiden. Also geht es eigentlich nicht um die „perfekte Symmetrie“, sondern darum, dass wir sie nie erreichen.

Ihr habt eure erste Single „Spiralling“ per Gratisdownload verschenkt. Warum gerade diesen Song, der so gar nicht nach Keane klingt?

Tim: Wir arbeiteten zu dieser Zeit noch voll am Album und wollten mit dem Song wissen, was die Leute über den neuen Sound denken. Ich glaube, wir haben sie ganz ordentlich verwirrt, aber das Feedback war sensationell, und die Aktion schlug mit über einer Million Downloads ganz gut ein. „Spiralling“ offenbart unsere Arbeitsweise. Wir nahmen gerne fremden Rat an, blickten nicht zurück auf die letzten beiden Platten und probierten so viel Neues aus, dass wir mit der Zeit vergaßen, wie wir vorher geklungen hatten.

„Perfect Symmetry“ wurde von euch Dreien produziert, mehrheitlich natürlich von dir. Wie sah euer typischer Arbeitstag aus?

Tim: Mann, es war ziemlich chaotisch! Wir hatten nie vor, alles selbst zu machen. Aber irgendwie passte uns kein Produzent auch nur ansatzweise ins Konzept - zumal wir nicht wirklich ein Konzept hatten. (lacht) Aber alle Produzenten, die wir für einige Tage bei uns hatten, sagten dasselbe: Probiert neue Dinge aus, experimentiert, seid mal richtig dreist, macht euch selbst Freude. Das beeinflusste unserer Arbeit dann doch enorm. Die meisten Songs hatte ich schon vor dem Gang ins Studio geschrieben, wir konnten uns also voll und ganz auf die Musik konzentrieren. Wenn jemand eine Idee hatte - und klang sie auch noch so dämlich -, sagten wir uns: Pfeif drauf, tun wir‘s und sehen, was dabei rauskommt. Wenn du mal diese Einstellung verinnerlicht hast, kommst du nicht nur vom Hundertsten ins Tausendste, sondern probierst Dinge aus, die du davor nicht einmal angedacht hättest.

Mich hat am meisten überrascht, dass ihr elektrische Gitarren benutzt. Ist das nicht der größtmögliche Bruch mit dem Piano-lastigen Sound von Keane?

Tim: Ja, das stimmt. Andererseits hatten wir nie geplant, eine „piano only“-Band zu sein. Wir begannen sogar als Gitarrenband, doch irgendwie kamen uns die Typen mit den Gitarren abhanden. (lacht) Als wir da so herumexperimentierten, war es dann nur eine Frage der Zeit, bis Tom zur Axt (E-Gitarre, Anmk.) griff. Aber es ist ja nicht nur das - auf dem Album hört man von der afrikanischen Percussion über massive Backing-Chöre bis zur „singenden Säge“ (Fuchsschwanz mit Geigenbogen, Anmk.) praktisch alles, was wir während der Aufnahmen in die Hände bekommen hatten.

Als ich euren Hit „Somewhere Only We Know“ zum ersten Mal hörte, dachte ich mir, die werden nie und nimmer zu dritt bleiben. Ist es nicht fast zu viel der Schufterei, wenn man Live-Konzerte mit nur drei Musikern auf der Bühne spielen muss? Ihr benützt Samples, müsst euch genau an deren Vorgaben halten...

Tim: Ja, das ist manchmal einschränkend und ziemlich kompliziert. Aber der Grund dafür liegt einmal mehr beim Ausstieg unseres Gitarristen. Wir waren damals total frustriert, der Sound war ja praktisch weg. Bei den Proben kam ich dann auf die Idee, meine Bassparts aufzunehmen und vom Band abzuspielen. So konnten wir wieder kreativ arbeiten. Es war auch okay, vor 20 Leuten in einem Club mit dem Bass aus der Dose zu spielen - dass das später auch vor 20.000 Leuten in der O2-Arena in London so geschehen würde, daran hatte damals ja niemand gedacht. (lacht) Auf „Perfect Symmetry“ spielt aber einer unserer Musikerfreunde den Bass, das hat uns bei den Aufnahmen mehr Freiraum gegeben. Jesse (der Bassist, Anmk.) wird uns jetzt auch live begleiten.

Oh, das heißt: Keane ab sofort mit anderen Musikern auf der Bühne?

Tim: Ja, zumindest einmal Jesse. Wir haben uns vorgenommen, so vieles wie möglich live zu spielen. „Perfect Symmetry“ ist zu dritt ja kaum aufzuführen. Wir werden sehen...

Keane ging ab dem ersten Album praktisch hoch wie eine Rakete. Vor allem in eurer Heimat, Großbritannien. Die DVD mit dem Konzert in der O2-Arena, die ihr letztes Jahr herausgebracht habt, beweist das eindrucksvoll. Machst du dir oft Gedanken, wie es dazu überhaupt kam?

Tim: Au ja, die Show in der O2 war einzigartig. Das hätten wir auch ohne die DVD nie vergessen. Davor war nicht alles rosig, die Aufnahmen zu „Under The Iron Sea“ waren viel nervenaufreibender als beim neuen Album, das Tourleben brachte Stress dazu. Bei diesem Konzert - es war das letzte der Tour - bröselte das alles in einer Nacht von uns ab.

Englands derzeit liebstes Kultobjekt, Amy Winehouse, ist vor kurzem 25 geworden und hat zu ihrem Geburtstag wohl mehr Genesungs- als Glückwünsche bekommen. Denkst du, es ist einfacher, ein Leben im Rampenlicht zu leben, wenn man Teil einer Band ist und immer jemanden auf Augenhöhe hat, der im Notfall „Stopp!“ sagt?

Tim: Ja, absolut. Alleine bist du praktisch aufgeschmissen. Ich erinnere mich da immer an ein Interview von Paul McCartney. Er sagte, dass er sich völlig einsam fühlte, als sich die Beatles auflösten. Er hatte mit einem Schlag seine Familie verloren, die drei Leute, die ihm einen Teil der Bürde abnahmen. Bei Keane wäre das nicht anders. Wenn wir in der Tinte sitzen, sitzen wir zu dritt da drin. Und wenn du noch zwei andere Gefährten hast, ist es viel leichter, da wieder herauszukommen.

Wie viele Tage im Jahr verbringt ihr gemeinsam?

Tim: Ich kann sie jetzt nicht abzählen, aber es wird wohl der Großteil des Jahres sein. Wir sind nicht nur auf Tour und im Studio zusammen, sondern verbringen auch privat viel Zeit miteinander. Wir sind miteinander aufgewachsen, kennen uns schon seit fast 30 Jahren. Ich glaube wir sind jetzt auch an einem Punkt angelangt, an dem wir uns genügend Respekt entgegenbringen können. Auf „Perfect Symmetry“ hört man, dass drei verschiedene Menschen, drei verschiedene Persönlichkeiten an einer Sache arbeiten und vom jeweils anderen das Beste herausholen.

Von Christoph Andert

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