"Krone"-Interview

“Fukushima ist Debakel für die Atomkraft”

Oberösterreich
25.03.2011 09:18
Vom Landes-Anti-Atombeauftragten ist er zum "Berater" herabgestuft worden, bald ist Radko Pavlovec auch diesen Titel los. Weil er – nicht zuletzt bei Bundes-ÖVP und -SPÖ – zu sehr angeeckt hat? Im großen "Krone"-Interview nimmt der 48-jährige gebürtige Tscheche dazu ebenso Stellung wie zu Bestechungsversuchen in seiner alten Heimat, zur verfehlten Anti-Atompolitik der Bundesregierung genauso wie zu seinen Erfolgen und Misserfolgen rund um Temelín. Und wie er weiterkämpfen will.

"Krone": Herr Pavlovec – das, was sich gerade im Atomkraftwerk Fukushima in Japan tut: Ist das nun ein GAU oder doch ein Super-GAU?
Radko Pavlovec: Wir befinden uns in einem mehrfachen Super-GAU! Und das, wo bis vor zwei Wochen niemand gedacht hätte, dass es eine Steigerung von Tschernobyl überhaupt geben kann. Ein GAU – das ist ein Unfall, der von der Anlage noch beherrscht werden kann. Das ist in Fukushima längst nicht mehr der Fall.

"Krone": Und doch werden die Vorgänge in Japan von manchen Atomkraft-Freunden auch hier in Österreich fast zur Rechtfertigung der Atomkraft umgedrechselt.
Pavlovec: Genau, gerade in den letzten Tagen kamen solche Meldungen. Dabei sehe ich glatt die gegenteilige Entwicklung. Allein wie die ZAMG (Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien; Anm.) diese Woche festgestellt hat, wurde schon in den ersten vier Tagen in Fukushima bei Cäsium die Hälfte der Tschernobyl-Menge an die Umwelt abgegeben. Es ist ein Debakel für die Atomkraft!

"Krone": Gibt es sichere Atomkraft?
Pavlovec: Auch wenn die neuere Reaktoren-Generation etwas sicherer ist: Sicherheit bei Atomkraft bleibt Illusion!

"Krone": Und doch kann die Welt nicht von heute auf morgen aus der Kernkraft aussteigen.
Pavlovec: Das nicht – aber es ginge sehr schnell. Man muss das so sehen: Von der Gesamtenergie macht Kernkraft doch nur drei bis vier Prozent weltweit aus, bei elektrischer Energie sind es auch nur 13 bis 14 Prozent. Natürlich ist es von Land zu Land unterschiedlich. Aber selbst Frankreich als Extremfall könnte in zehn bis 15 Jahren aussteigen.

"Krone": Aber der Wille fehlt...
Pavlovec: Wir sind jetzt erst in der Fukushima-Anfangsphase. Sie werden sehen: Es wird zu einer massiven Verschiebung der öffentlichen Meinung weltweit kommen.

"Krone": In Österreich haben Sie immer wieder die Bundesregierung für ihre verfehlte Anti-Atompolitik gegeißelt.
Pavlovec: Was ich weiter mache. Auch wenn's dort nun einen Wettlauf darum gibt, wer der bessere Atomgegner ist: In den letzten Jahren wurde das Thema klar herabgestuft.

"Krone": Also eher Lippenbekenntnisse der Bundesregierung?
Pavlovec:
Tarnen und Täuschen! Ich möchte zwar niemandem unterstellen, dass er wieder AKWs in Österreich bauen möchte. Aber kritische Erklärungen und Meinungen wurden unter den Tisch gekehrt. Ich selbst wurde in den Gremien massiv behindert und gemobbt.

"Krone": Sie waren seit 1998 Anti-Atom-Beauftragter des Landes, jetzt sind Sie nur noch Berater – und das bloß bis Mitte des Jahres. Ihr Auftrag läuft aus, während sich weltweit ein dramatischer Wandel abzeichnet.
Pavlovec: Ich habe keine wirkliche Möglichkeit mehr gesehen, unabhängig und weisungsfrei zu arbeiten. Die Behinderung von Bundesseite hat auf die Landesebene übergegriffen, nachdem ich bei ÖVP-Schüssel und SPÖ-Gusenbauer angeeckt habe.

"Krone": Bewerben Sie sich noch einmal für den Job des Anti-Atomkraftbeauftragten?
Pavlovec: Das werde ich sicher nicht tun, ich habe mehrmals deponiert: Nur bei garantierter Weisungsfreiheit kann man ordentliche Anti-Atompolitik machen.

"Krone": Was motiviert Sie persönlich zu Ihrer Tätigkeit?
Pavlovec: Das liegt sicher auch in meinem Lebenslauf begründet. Mein Vater war in der CSSR aus politischen Gründen acht Jahre eingesperrt, eingesetzt wurde er vorwiegend zur Zwangsarbeit im Uran-Bergwerk.

"Krone": Hat er diese schlimme Zeit wenigstens körperlich unbeschadet überstanden?
Pavlovec: Leider nein. Er ist als Spätfolge an Lungenkrebs gestorben. Das hat mich schon sehr geprägt.

"Krone": Der Kampf gegen Temelín gilt – bisher – als verloren. Was steht dabei für Sie persönlich auf der Habenseite?
Pavlovec: Der größte Erfolg ist sicher die Aufdeckung des Problems mit dem nuklearen Brennstoff – das hat den Betreiber Hunderte Millionen Euro gekostet. Aber insgesamt ist Temelín eine große Enttäuschung. Bei der EU-Erweiterung ist es gelungen, acht alte AKWs zu schließen. Bei Temelín waren wir auch schon knapp dran - bis dann Kanzler Schüssel mit dem Melker Abkommen kam.

"Krone": Das nichts gebracht hat.
Pavlovec: Gar nichts! Aus damaliger Sicht hat Schüssels Verhalten vielleicht bloß ungeschickt ausgesehen. Aus heutiger könnte man aber auch auf andere Gedanken kommen.

"Krone": Ihr Engagement hat Ihnen in Ihrem Heimatland Tschechien nicht nur Freunde gemacht. Wurden Sie auch bedroht?
Pavlovec: Einschüchterungsversuche hat's schon gegeben. Und auch gewisse Angebote, die wahrscheinlich Bestechung sein sollten. Temelín bleibt gefährlich. Weil es in diesen Sowjet-Reaktoren einen Konstruktionsfehler gibt!

"Krone": Und wenn etwas passiert?
Pavlovec: Schauen Sie sich die Entfernung an: Bei einem Unfall liegen wir in Oberösterreich in der Kernzone!

"Krone": Sie werden dennoch nicht mehr als Landes-Beauftragter dagegen kämpfen.
Pavlovec: Aber als unabhängiger Berater und Konsulent.

"Krone": Und wann werden Sie mit Ihrer Arbeit zufrieden sein?
Pavlovec:
Ich habe mir vorgenommen, zehn Reaktoren zu stoppen. Bisher sind es acht.

Kronen Zeitung

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