Stadthalle live

Die Toten Hosen: Noch kein Ende in Sicht

Musik
23.12.2017 12:03

Einmal ging's noch - eineinhalb Tage vor dem großen Weihnachtsfest luden die Toten Hosen in die Wiener Stadthalle. Das "Ausverkauft"-Schild durfte schon Wochen davor angebracht werden und die Düsseldorfer lieferten wie gewohnt. Rund zweieinhalb Stunden lang begeisterten Campino und Co. mit alten Hits, großen Klassikern, neuen Songs und vielen Geschichten. Auch wenn nicht alles Golden war, was zu glänzen schien.

(Bild: kmm)

"Es ist eines dieser Lieder, die sich irgendwann verselbstständigen und die man nicht mehr unter Kontrolle hat. Das hält uns aber nicht davon ab, es hier und heute für euch aus vollem Herzen zu singen" - als Campino nach beinahe zweieinhalb Stunden Vollgas-Geturne im allerletzten Konzertdrittel die Bandhymne "Tage wie diese" anstimmt, kocht die Stimmung in der seit Wochen restlos ausverkauften Wiener Stadthalle noch ein letztes Mal so richtig auf. Die Toten Hosen sind ein Phänomen, das rational nicht zu erklären ist. Keine Liveband erfreut sich dermaßen großer Beliebtheit, bei keiner anderen Band tobt die Halle hierzulande derart inbrünstig. Außerdem gibt es in der Musikhistorie nur wenige, wenn nicht vielleicht sogar keine Beispiele einer Combo, die ihren allergrößten Hit ganze 30 Jahre nach Bandgründung fabriziert haben.

Ausnahmezustand
In Österreich fühlen sich die Hosen heimisch. Wenn man das Wohnzimmerkonzert vergangenen April am Wiener Alsergrund mitzählt, ist die Weihnachtsshow der sechste Live-Besuch in diesem Jahr. Viel öfter sind die heimischen Durchstarter Bilderbuch dann auch nicht aufgetreten. Vorweihnachtlicher Ausnahmezustand herrscht nicht nur in, sondern auch außerhalb der Halle. Das übermäßige Polizeiaufgebot und temporär aufgestellte Poller sollen einer sorglosen Party dienlich sein. Drinnen gibt es derweil den "Urknall" und das Quintett lädt zum österreichischen Abschlusskapitel der - eher semikreativ benannten - "Laune der Natour".

Zum 34. Mal stünde die Band in Wien auf den Brettern, die die Welt bedeuten, skandiert Zeremonienmeister und Statistikfan Campino in den Saal. Es ist ein weiteres Exklusiv-Phänomen der Toten Hosen, dass eine derart dienstalte Band in den vorderen Wavebreaker-Reihen immer noch auf Teenager und Debütanten zählen darf, die einen Pogo nach dem anderen anheizen und sich sogar der Polonaise hingeben. Die Stimmbänder der textsicheren Spätpubertierenden werden in wohlige Mitleidenschaft gezogen. Im schlimmsten Fall erklingen die Weihnachtslieder am Heiligen Abend halt so schief wie Kuddel im grottigen "Still, Still, Still".

Unnötige Ausstaffierung
"Wir müssen die Lieder ja bei euch üben, damit wir zuhause nicht außer Form sind", kommentiert Campino den inflationären Einsatz der wenig besinnlichen Songs. Derer gibt es viele - viel zu viele. Auf den "Weihnachtsmann vom Dach" hätte man genauso gut verzichten können wie auf den "Little Drummer Boy". Schlimmer ist nur der unkaputtbare Zeltfest-Rausschmeißer "10 kleine Jägermeister", den die Hosen auf dieser Tour öfters ausließen, nur leider nicht in Wien. Doch all diese Anlehnungen, Scherze und anarchischen Setlist-Zusammenstellungen gehören genauso zur Band, wie Campinos ausufernde, mit persönlichen Erinnerungen geschmückte Monologe.

Egal, ob er vor dem ruppigen Mozart-Cover "Eine kleine Nachtmusik" humorig bemerkt, dass ebenjener als Erfinder der Bosna gilt, sich an alte Würstelbudenbesuche erinnert, immer wieder Spitzen gegen die Seelenlosigkeit Berlins austeilt ("Wannsee") oder den auf den Tag genau vor 15 Jahren verstorbenen The-Clash-Musiker Joe Strummer mit "Should I Stay Or Should I Go" ehrt - Campi ist der geborene Entertainer. Meistens auch mit Message, doch eine zuvor erwartete Brandrede gegen die neue österreichische Regierung fällt aus. Stattdessen appelliert er vor der Gemeinschaftshymne "Europa" an die Menschlichkeit und macht darauf aufmerksam, dass heuer weit mehr Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken wären als noch 2015, das Thema aber längst als Alltagsübel beiseitegeschoben wird.

In die Menge
Von einem "Auswärtsspiel" kann keine Rede sein, wenn die Band Hits wie "Bonnie & Clyde", "Altes Fieber", "Unter den Wolken" oder "Pushed Again" in die Menge wirft. Auch nach 35 Jahren schaffen es die Hosen immer noch, die eine oder andere Überraschung einzustreuen. Etwa in Form der rührigen Ballade "Nur zu Besuch", dem immer wieder eingestreuten Einsatz von extra für diese Tour engagierten Streichern oder dem unangekündigten Stagedive von Bassist Andi Meurer während "Schönen Gruß, auf Wiederseh'n". Ein echter Punkrocker ist eben auch mit 55 noch lange nicht zu alt, um das innere Kind rauszulassen.

Die Toten Hosen sind längst eine pathosgeschwängerte Band voller memorabler Mitsinghits, deren Punk-Attitüde so weit von ihren Shows entfernt ist, wie die dahinsiechende Rockmusik von der Rückeroberung der Musikwelt. Die ewige Diskussion um Status und Bedeutung der Düsseldorfer für eine bestimmte Genre-Klassifizierung ist aber seit jeher müßig, denn die Hosen selbst sehen sich als Botschafter des Solidarischen und appellieren unentwegt an das Gute in uns allen. Musikalische Hymnen sonder Zahl schallen im mühsam-stumpfen Soundkorsett durch die Halle und verlangen den rund 15.000 Fans vor dem Gabentisch noch einmal alles ab.

Einmal geht's noch
Als Unterstützung für diese letzte große Musikmesse des Jahres reichen die beneidenswerte Athletik des 55-Jährigen Campino und die pure Spielfreude. Wie schon immer verzichten die Hosen auf technisches Brimborium oder Effekthascherei und bauen lieber auf die Interaktion mit dem Publikum. Feuer oder Lasereffekte sind auch anno 2017 kein zwingender Bestandteil einer großen Arenashow - diese Erkenntnis hat in Zeiten des optischen Showbombasts durchaus etwas Tröstliches an sich. "Tage wie diese" feiert man gerne - das nächste Mal beim Nova Rock 2018. Einmal geht noch, denn danach steht, ganz nach dem gewohnten Hosen-System, ohnehin wieder eine längere Pause an. Eine Publikumssättigung ist ohnehin nicht zu erkennen.

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