Frust und Freude

Foodora & Co.: Das große Geschäft mit dem Hunger

Wirtschaft
30.06.2017 12:13

Als Andreas Hartl sich einloggt, dauert es keine 30 Sekunden, bis der erste Auftrag reinkommt. Mehrere Portionen Sushi von einem japanischen Restaurant, 1,6 Kilometer entfernt, in acht Minuten. Der 30-Jährige in leuchtend pinkem Trikot, Helm und großem Rucksack wendet sein Rennrad und tritt in die Pedale. Er wird die Strecke in sechs Minuten schaffen.

Hartl ist in Berlin Auslieferfahrer für Foodora, einer Tochterfirma von Delivery Hero, die auch in Wien Essen bei Restaurants abholen und per Fahrrad zu Kunden nach Hause bringen lässt. Die Fahrer erhalten ihre Aufträge per App auf ihre Handys. Alle Foodora-Fahrer sind angestellt, die meisten als Mini- oder Midijobber, Hartl sogar in Vollzeit. Bezahlt werden sie pro Stunde - allerdings nicht besonders gut. Hartl mag seinen Job. "Es ist so entspannt: Man arbeitet vor sich hin und wenn man fertig ist, fährt man nach Hause."

(Bild: AFP)

Viele Lieferanten sind unzufrieden
Doch nicht alle Fahrer von Foodora sind so zufrieden mit ihrer Arbeit. Erst kürzlich hat die Gewerkschaft FAU einmal mehr gegen die Arbeitsbedingungen bei Foodora und Konkurrent Deliveroo demonstriert. Die Lieferdienste sollen die Kosten für Arbeitsmittel - Fahrräder und Handys - übernehmen. Außerdem gebe es zu wenig Schichten für zu viele Fahrer. Zwar verdienen diese laut Foodora mit neun bis elf Euro etwas mehr als es der gesetzliche Mindestlohn verlangt.

Trotzdem kämen viele im Monat kaum über 500 Euro, entgegnet FAU-Sprecher Clemens Melzer: "Die Fahrer stehen in ständiger Konkurrenz miteinander." Im Hintergrund skandieren rund 50 Demo-Radler: "Foodora and Deliveroo - Shame on you!" ("Foodora und Deliveroo - schämt euch!").

(Bild: AFP)

Börsianer feiern Essenslieferdienst
Zwei Tage später in Frankfurt. Am Freitag versammelt sich wieder eine Menschenmenge, wieder geht es um Delivery Hero. Dieses Mal wird der Essenslieferdienst jedoch nicht öffentlich geächtet, sondern gefeiert. Der Börsengang steht an. Zu dem Zeitpunkt, wo Chef Niklas Östberg die Börsenglocke läutet, wird sein Unternehmen mit mehr als vier Milliarden Euro bewertet.

Der niederländische Konkurrent Takeaway.com hat im September vergangenen Jahres bereits vorgelegt. Nach dem Sprung aufs Amsterdamer Börsenparkett schwankte die Aktie der Lieferando-Mutter zunächst, konnte sich dann aber fangen und bald an Wert zulegen. Heute kostet das Papier etwas unter 40 Euro, die Marktkapitalisierung liegt bei rund 1,6 Milliarden Euro.

Für die Essenszusteller geht es um viel Geld: Einer McKinsey-Studie zufolge setzt die weltweite Branche derzeit mehr als 80 Milliarden Euro im Jahr um - Tendenz eindeutig steigend. Eine Summe, um die sich eine Handvoll internationaler Schwergewichte wie Just Eat aus Großbritannien und Grubhub aus den USA (beide ebenfalls börsennotiert) und eben auch Delivery Hero reißen. In Österreich kommt noch der Player Mjam hinzu.

(Bild: flickr.com/samsaunders)

Auch Uber, Amazon und Facebook interessiert
Mit von der Liefer-Partie wollen auch der Fahrdienstvermittler Uber mit UberEats sowie die Tausendsassa-Konzerne Amazon und Facebook sein. So können Amazon-Prime-Kunden in einigen Städten der USA und in London mittlerweile Pizza und Pasta über das "Restaurants"-Tool bestellen. Bei Facebook nennt sich dieselbe Funktion "Order Food" und wird derzeit in den USA getestet.

Gewinnschwelle wurde noch nicht überschritten
Trotz des Booms hat Delivery Hero die Schwelle zur Profitabilität noch nicht überschritten. Zwar konnte der Bringdienst seinen Umsatz im vergangenen Jahr fast verdoppeln. Unterm Strich stand aber dennoch ein Minus von fast 200 Millionen Euro.

30 Zukäufe in nur zwei Jahren
Der beschwerliche Weg in die schwarzen Zahlen ist vor allem dem enormen Expansionshunger von Delivery Hero geschuldet. Allein zwischen 2014 und 2016 hatte die Gruppe 30 verschiedene Tochtergesellschaften zugekauft. Mit dem frischen Aktionärsgeld soll das Geschäft weiter ausgebaut werden. Nach Auffassung von Tobias Göbbel, Partner bei der Beratungsgesellschaft Roland Berger, bleibt dem Unternehmen derzeit auch gar nichts anderes übrig. "Diesen Trend erleben wir oft in jungen Märkten", erklärt er. "Noch geht es einzig um die Frage, wer am Ende mehr Masse hat." Denn nur mit der Größe, so Göbbel, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, profitabel zu werden.

(Bild: AFP)

Geld verdient man vor allem mit Provisionen
Aus eigener Kraft verdient Delivery Hero sein Geld hauptsächlich über die Provisionen - noch ein heikles Thema für die Branche. Denn in der Gastronomie wird befürchtet, dass die Anbieter ihre Preise für die Bestellungsvermittlung und -lieferung weiter anheben könnten. Zahlen aus den Geschäftsberichten von Lieferando und Delivery Hero zeigen, dass das in der Vergangenheit regelmäßig passiert ist.

Foodora nimmt derzeit um die 30 Prozent pro Bestellung. Das Unternehmen bringe seinen Partnerrestaurants einen zusätzlichen Umsatz zu ihrem Kerngeschäft, erklärt Firmensprecher Vincent Pfeifer. Außerdem würden die Gastronomen an der Umsatzsteuer sparen, die normalerweise bei 19 Prozent liegt. Für Außer-Haus-Lieferungen werden hingegen nur 7 Prozent fällig. Und die Kritik der Fahrer? Man habe inzwischen reagiert und einen Gesprächstermin mit der Gewerkschaft vereinbart, sagt Pfeifer.

"Wenn mehr los ist, gibt's mehr Trinkgeld"
Auslieferfahrer Hartl glaubt nicht, dass der Börsengang für ihn und seine Kollegen mehr Druck bedeutet. Er sieht ihn eher positiv, sagt er, als er vor dem Mietshaus der Sushi-Kundin ankommt: "Wenn mehr los ist, gibt's mehr Trinkgeld." Hartl schließt sein Rad an und drückt die Klingel. Das Haus ist ein Berliner Altbau, fünf Etagen. "Foodora ist da", sagt er in die Gegensprechanlage. "Ganz oben", quäkt es ihm entgegen.

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