"Krone"-Interview

Warren Haynes: “Gefühl ist wichtiger als Technik”

Musik
12.07.2016 14:27

Warren Haynes kennt man von der Allman Brothers Band, von Gov't Mule, The Dead und nicht zuletzt auch als respektablen Solokünstler. Der 56-jährige Vollblutmusiker landet seit Dekaden regelmäßig in allen Bestenlisten der Blues-Rock-Gitarristen und begeistert mit einer ausgeklügelten Mischung aus nostalgischer Ehrerbietung und moderner Sechssaiter-Kunst. Vor seinem gefeierten Auftritt im Wiener Porgy & Bess, haben wir ihn uns zur Seite geholt, um über den qualitativen Konkurrenzkampf im Blues, seine Liebe zu Wien und seine steten Wunsch nach musikalischer Veränderung zu sprechen.

(Bild: kmm)

"Krone": Warren, du befindest dich derzeit in den letzten Zügen deiner langen Tour zum aktuellen Album "Ashes & Dust". Bist du ein bisschen froh darüber, dass dieses Kapitel jetzt dann abgeschlossen wird?
Warren Haynes: Nein. Ich liebe die Jungs in meiner Band wirklich, wodurch eher etwas Wehmut aufkommt. Ich freue mich schon darauf, wenn wir später mal wieder zusammenspielen werden.

"Krone": Du bist jemand, der sich selbst immer wieder neu erfindet und keine Angst vor dem Betreten neuer Territorien hat. "Ashes & Dust" war eine tiefe Verbeugung vor dem traditionellen Americana-Sound. Warum gerade jetzt?
Haynes: Ich schreibe solche Songs schon mein ganzes Leben und sieben davon sind mehr als 20 Jahre alt. Sieben weitere sind brandneu und zusammengefasst ergeben sie einen schönen Querschnitt. Ich habe schon so viele Nummern in diesem Bereich zusammengesammelt, dass es einfach an der Zeit war, ein Album aufzunehmen.

"Krone": Als Teil der The Allman Brothers Band und The Dead, als Chef von Gov't Mule und auch als Solokünstler hast du in vielen Bereichen einen beachtlichen Bekanntheitsgrad erreicht. Allerdings bist du vorwiegend in den USA berühmt und bekannt, in Europa eher nur ein Held für ein Spartenpublikum…
Haynes: Wir hoffen, dass wir auch in Europa eine größere Nummer werden. Es wird von Mal zu Mal besser und deshalb sind wir mittlerweile auch sehr oft bei euch unterwegs. Viele Bands warten wohl zu lange, um den Markt in Europa zu erforschen - das wollen wir unbedingt verhindern und deshalb sind wir oft hier.

"Krone": Gab es einen bestimmten Moment in dem du bemerkt hast, dass dein Sound auch "Europa-kompatibel" ist?
Haynes: Vor ungefähr zehn Jahren waren wir das erste Mal hier und erst einmal überrascht, dass tatsächlich so wenige Leute kamen. (lacht) Aber die, die da waren, sind voll in unseren Songs aufgegangen und es ist einfach schön zu beobachten, wie sich das Publikum vergrößert und wir auch immer bessere Verbindungen und Bekanntschaften aufbauen. Ich treffe hier immer viele Fans, die säckeweise mit CDs aus all meinen Karrierephasen ankommen - das ist eine große Ehre für mich. Wenn du als Amerikaner hier herkommst, weißr du ja vorher nie, was du zu erwarten hast.

"Krone": Du hast vor kurzem im Wiener Porgy & Bess eine mitreißende Show abgeliefert und bist im Prinzip von den großen Bluesgitarristen der Frühzeit beeinflusst. Hat auch eine klassische Musikstadt wie Wien Auswirkungen auf dein Werk?
Haynes: Es gibt klassische Musik, die ich sehr schätze, aber ich habe mich nie tief in diesen Bereich eingegraben und ich bin weit davon entfernt, ein Experte zu sein. (lacht) Wien ist extrem berühmt für großartige Klassik-Komponisten, aber meine Zuneigung zu dieser Stadt geht darüber hinaus. Mir geht es eher um das große Ganze. Darum, wie sich Kunst, Musik und Architektur die Hand geben. Natürlich mag ich auch das Essen und die gesamte Kultur. Wien ist eine wundervolle europäische Stadt. Als ich das erste Mal hier war, ging ich viel durch die Gegend und war wie weggeblasen von dem, was ich sah. Nur so kannst du auch in eine Welt eintauchen, in der du zu Gast bist.

"Krone": Du wirst in den verschiedensten Listen der besten Gitarristen aller Zeiten immer sehr hoch gewertet - wie wichtig ist dir so ein Ranking? Was bedeuten dir diese Klassifizierungen?
Haynes: Normalerweise lege ich nicht sonderlich viel Aufmerksamkeit auf solche Dinge und versuche nicht daran zu denken. Im Prinzip fußen solche Listen ja nur auf persönlichen Meinungen. Meine Liste ist sicher anders als deine und deine anders als die vom "Rolling Stone". Aber natürlich ist es sehr nett, wenn man bemerkt wird und für mich ist das eine große Ehre, wenn ich in solchen Bestenlisten vorkomme. Allerdings würde ich diese Listen meist ganz anders aufstellen. (lacht) Musik ist nicht wie Sport. Es geht nicht um einen Sieger, sondern um ein richtiges Gefühl. In der Musik kannst du keinem sagen, dass er etwas mögen oder nicht mögen soll. Musik ist extrem persönlich und mir ist es egal, ob jemand dasselbe mag wie ich oder nicht. Zum Glück obliegt diese Entscheidung jedem selbst.

"Krone": Du bist zwar alles andere als ein Celebrity, aber doch jemand, den man gerade in den USA gut kennt und auch erkennt. Ist das für dich, der du doch eher ein schüchternerer Zeitgenosse bist, ein Problem?
Haynes: Ich werde oft erkannt, aber die Leute sind im Normalfall extrem freundlich und respektvoll. Ich sehe das überhaupt nicht als Problem, sondern freue mich, wenn die Menschen sich einen Moment Zeit nehmen, um mir zu sagen, wie sehr sie meine Musik mögen. Ich möchte auf keinen Fall eine Art Popstar sein, der nicht einmal an die frische Luft gehen kann, aber in meiner Welt ist das alles sehr distanziert und angenehm.

"Krone": Du wurdest oft als bester Blues-Gitarrist bezeichnet - mit Joe Bonamassa gibt es auch aktuell jemanden, der dir da doch eine starke Konkurrenz ist. Ärgern dich solche Vergleiche?
Haynes: Es ist einfach nicht richtig, jemanden als besser als einen anderen zu bezeichnen, das geht in der Kunst nicht. Ob du jetzt Vanille-, Schoko- oder Erdbeereis am besten findest ist unerheblich, denn es kann alles die Wahrheit sein - aber eben deine subjektive. Mich ärgert so etwas nur, wenn jemand unverdient auf so einer Liste ist, aber das passiert zum Glück so gut wie nie. Die beste Musik wird oft nicht einmal von den besten Musikern gemacht, sondern von extrem kreativen Menschen, die das richtige Momentum erwischen. Da geht es auch nicht immer um gute technische Fertigkeiten, sondern um das richtige Gefühl.

"Krone": Gibt es da manchmal einen Wettbewerbsgedanken? Wenn etwa Bonamassa ein richtig starkes Album veröffentlicht, dass du dir sagst, du möchtest das mit deinem nächsten toppen?
Haynes: Bonamassa ist jetzt ein sehr seltsamer Vergleich, weil ich Joe seit seinem 16. Lebensjahr kenne, wir seit Ewigkeiten gute Freunde sind und ich das allererste Album, auf dem er je spielte, koproduzierte. (lacht) Aber natürlich kann ein berechtigter Erfolg eines anderen eine Inspiration dafür sein, selbst härter zu arbeiten. Ich mache bereits seit langer Zeit Musik und mein größtes Verlangen ist es immer, etwas Neues zu machen, mich nicht zu wiederholen.

"Krone": Was du seit jeher mit all deinen Projekten erfolgreich hinkriegst. Ich finde es auch interessant, dass dir die deine Fans immer treu bleiben. Egal, wo oder woran du gerade experimentierst. Dieses Glück ist auch nicht jedem Musiker beschieden.
Haynes: Darüber bin ich froh, aber das liegt auch daran, dass wir immer ehrlich zu uns und allen anderen sind. Ich mache Musik, die ich liebe und das ist essenziell. Sobald ich an andere denke und es jemandem Recht machen will, wird man spüren, dass es nicht echt und ehrlich ist. Selbst wenn wir oft herumexperimentieren, bleiben die Leute bei uns, weil sie auch wissen und spüren, das uns das in unserer künstlerischen Entfaltung wichtig ist.

"Krone": Gibt es einen bestimmten musikalischen Stil, den du in näherer Zukunft unbedingt austesten möchtest?
Haynes: Ich habe noch nie ein traditionelles Blues-Album gemacht. Auch ein instrumentales Jazz-Album fehlt mir noch in meiner Vita, obwohl wir bei Gov't Mule mit dem Album, das wir mit John Scofield einspielten, bereits nah dran waren, aber das war live. Es gibt genaugenommen keinen Bereich mehr, in dem ich mich zumindest nicht schon versuchte. Der Anspruch ist vielmehr, Alben aufzunehmen, die sich von meinen anderen total unterscheiden. Mit viel Glück gelingt mir da auch etwas, dass überhaupt recht neu klingt, aber ich will mich in ersterer als das Aufnehmen von Studioalben. Seit wir so oft auf Tour sind, fehlt uns natürlich die Zeit, um richtige Alben aufzunehmen, aber gut, das habe ich mir selbst so ausgesucht. Würde ich vor die Wahl gestellt, würde ich immer das Livespielen bevorzugen, weil dort mein Herz liegt.

"Krone": Worauf legst du deinen Fokus bei den vielen Projekten? Gibt es zum Beispiel mal ein halbes Jahr Gov't Mule, dann ein halbes Jahr solo?
Haynes: Manchmal funktioniert das genau so, manchmal springe ich da aber auch einfach hin und her. Unlängst habe ich die symphonischen Orchester-Tribute-Konzerte für die The Grateful-Dead Legende Jerry Garcia gespielt, schon bin ich hier in Europa und spiele die "Ashes & Dust"-Tour, bevor es in den USA mit Gov't Mule weitergeht. Es ist immer wieder eine schmale Gratwanderung und gerade heuer bin ich übermäßig ausgelastet. Manchmal endet eine Sache am einen Tag und beginnt die andere am nächsten. Das ganze Team und Management muss sehr viel Einsatz zeigen und flexibel sein. Für mich ist das wohl normaler, weil ich es nicht anders kenne. Die anderen müssen sich daran gewöhnen.

"Krone": Bist du einmal auf die Bühne gehst und bei einer Solo-Show plötzlich Allman-Brothers-Band-Songs spielst.
Haynes: (lacht) Irgendwas in mir hat mir bislang noch immer den richtigen Weg geleitet, aber ganz gefeit wäre ich wohl nicht vor so einem Fehler.

"Krone": Bei Gov't Mule bist du der Chef und gibst die Richtung vor, hast totale künstlerische Freiheit. Ist das dort für dich vielleicht auch deshalb so wichtig, weil du dich damals in der Allman Brothers Band gängigen Prinzipien unterwerfen musstest?
Haynes: Wir hatten auch dort künstlerische Freiheit, aber nicht viel aufgenommen, es gab kaum neue Songs. Wenn wir neue Songs schrieben, dann musste natürlich das Feeling der kultigen Allman Brothers vorhanden sein. Speziell seit dem Zeitpunkt, wo mit mir Nicht-Originalmitglieder in das Gefüge stießen war es wichtig, den originalen Sound aufleben zu lassen. Er war magisch und die Chemie einzigartig, es wäre ein Frevel, würden wir daran etwas verändern wollen. Ich bin ja selbst der größte Fan und Bewunderer der Band. Selbst in der Improvisation achten wir darauf, das Original nicht zu weit zu verlassen. Bei Gov't Mule beschreiten wir mit jedem Album komplett neue Wege, aber das ist dort auch okay, weil es unsere Band ist und wir die Richtung vorgeben können.

"Krone": Dieses Jahr war für die Rock- und Popwelt ein bislang extrem tragisches, weil wir sehr viele unserer großen Helden und Idole verloren haben. Halten solche Ereignisse auch dir die Endlichkeit des Lebens vor Augen?
Haynes: Absolut, ja. Ich habe viele meiner Freunde verloren und natürlich auch musikalische Helden. Diese Menschen haben Musik geprägt wie niemand anderer und man denkt dann automatisch über sich selbst nach. Dieses Jahr ist gerade mal zur Hälfte beendet und die Todesfälle scheinen gar nicht aufzuhören.

"Krone": Auf der anderen Seite scheint auch die Rockmusik zu stagnieren. Neue Bands sorgen kaum mehr für Aufmerksamkeit, bei den alten Hasen muss man sich langsam aber sicher auf immerwährende Abschiede vorbereiten, in den Charts dominieren Hip-Hop, EDM und R&B. Wie soll das weitergehen?
Haynes: Das Problem ist, dass der Blues Rock oder Classic Rock heute schon verdammt gut sein muss, um Aufmerksamkeit zu lukrieren. Wenn die Songs nicht außerordentlich stark sind, was in den 90er-Jahren etwa den Black Crowes gelang, dann interessiert sich leider niemand dafür. Es liegt an den jungen Bands, dass sie diese Richtung nicht aussterben lassen, aber ich sehe dem positiv entgehen. Gerade jetzt bemerke ich einen Aufschwung, wenn es um Musik mit viel Seele geht. Ein Problem ist auch, dass es für den Rock keinen Platz im Mainstream-Radio gibt. Es gibt ein paar Klassiker und Evergreens, die dauernd gespielt werden, aber das war es. Interessant ist auch, dass sich Konzerte von Rockbands nach wie vor gut verkaufen und hervorragend besucht werden, im Radio führen sie aber ein kaum merkbares Nischendasein. Das Radio an sich ist auch am Sterben und ich habe keine Ahnung, was die Zukunft bringt. Die Mainstream-Popmusik von heute reißt mich nicht mit, das funktioniert nicht. Was ich aber sehr positiv sehe ist die Tatsache, dass 14- oder 15-Jährige zu Gov't Mule-Shows kommen und unsere Musik für sich entdecken und begeistert sind. Sie hören dann auch Pink Floyd, Led Zeppelin oder Jimi Hendrix und bemerken, dass in diesen Songs viel mehr drinsteckt als in den hochpolierten, modernen Nummern ihrer eigenen Generation.

"Krone": Welcher von all deinen eigenen Songs würde dich und deine Karriere am besten beschreiben?
Haynes: Das ist schwer zu sagen. Es scheint, dass "Soulshine" der Song ist, den die Leute am Öftesten verlangen. Als ich ihn schrieb, hatte ich nicht damit gerechnet, weil er auf mich sehr simpel wirkt. Als ich ihn komplexer gestalten wollte, wurde er schlecht, also nahm ich die simple Variante auf, was schlussendlich wohl sinnvoll war. Ich habe so viele Songs aus verschiedenen Aspekten und Gesichtsweisen geschrieben, das ist nicht leicht zu beantworten. Auf "Ashes & Dust" sind sehr viele wichtige Songs für mich oben. "New Year's Eve", "Is It Me Or You" oder "Company Man", der sich um meinen Vater dreht. Auch bei Gov't Mule gibt es viele wichtige Lieder und ich bin einfach glücklich, dass die Leute unsere Musik und die Songs mögen. Bei sogenannten "Jam-Bands" ist es oft sehr leicht, dass man die Songs an sich vergisst, weil es um die Improvisation und das Spontane geht.

"Krone": Wenn du die Möglichkeit hättest, bei einer bestimmten Band mitzuspielen oder auf Tour zu gehen, welche würdest du wählen?
Haynes: Schwer zu sagen. Nicht für eine bestimmte Zeitspanne. Als ich 1989 der Allman Brothers Band beitrat, dachte ich, es wäre genau für ein Jahr für die Reunion. Dann wurden zwei, drei, zehn und am Ende 25 Jahre daraus. (lacht) Ich glaube nicht, dass ich das noch einmal so machen würde, aber es gäbe natürlich Bands, bei denen ich für eine Tour gerne einsteigen würde.

"Krone": Welche zum Beispiel?
Haynes: Ich weiß nicht, ob ich da Namen nennen sollte. (lacht)

"Krone": Zumindest eine.
Haynes: Ok, wenn Free etwas machen würden, wäre ich sofort an Bord.

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