Spuren des Bösen

Das düstere Familienleben des Grazer Amokfahrers

Österreich
28.06.2015 11:35
Er schoss mit Gewehren aus seinem Haus. Er drohte Nachbarn mit der Strafe Gottes. Er schlug seine Frau. Und dann raste Alen R. mit seinem Geländewagen durch die Grazer Innenstadt. Um so viele Menschen wie möglich zu töten. Er flucht, er schreit. Wirres Zeug. Und dann wird Alen R. wieder völlig ruhig und redet - fast - "normal".

Bei seinen Verhören war das so. Und auch jetzt, in der U–Haft, erklärt er den Wachebeamten, dass er sein Verbrechen nur deshalb begangen habe, weil "Verfolger" ihn sonst umgebracht hätten. Um wenig später in klaren Worten von zahlreichen Ungerechtigkeiten, die ihm in seinem Leben widerfahren wären, zu erzählen.

Zwei Psychiater wurden mittlerweile mit Erstbegutachtungen des 26-Jährigen beauftragt. Während einer von ihnen davon überzeugt ist, der Mann leide an einer schweren Geisteskrankheit, meint der andere, er spiele bloß den Verrückten - und hätte seine Tat generalstabsmäßig geplant.

Warum raste Alen R. am 20. Juni mit seinem grünen Geländewagen durch die Innenstadt von Graz? Warum war es an diesem schwarzen Samstag sein einziges Ziel, so viele Menschen wie möglich zu töten? Warum?

Was ist die Geschichte von Alen R.?
Wer ist Alen R., was ist seine Geschichte? Er wurde 1989 im bosnischen Bihac geboren. 1993, nach Ausbruch des Jugoslawien-Kriegs, flüchteten seine Eltern mit ihm nach Österreich. Die Familie kam rasch in einer Sozialwohnung in Graz unter. Die Mutter fand einen Job als Regalschlichterin, der Vater als Lkw-Fahrer.

Und schon immer galten Fikret und Aleta R. sowie ihr Sohn als auffällig. Das Ehepaar, weil es ständig mit Nachbarn und Kollegen Streit suchte. Der Bub, weil er bereits in der Schule gewaltbereit und lernunwillig war. Bei Aussprachen mit Lehrern sagten die Eltern jedes Mal bloß: "Wir werden schon dafür sorgen, dass er seinen Weg macht."

Pensionisten-Paar aus Haus vertrieben
Vor neun Jahren gelang ihnen der "Coup". Sie erwarben billig ein Haus in Kalsdorf, mit der Auflage, den ehemaligen Besitzern gegen geringe Miete Wohnrecht auf Lebenszeit zu geben. 20.000 Euro verschwanden bei dem Deal, unter mysteriösen Umständen. "Aber erst danach", berichten Johann und Edith P. der "Krone", "begann für uns der wirkliche Albtraum".

Das gesundheitlich stark beeinträchtigte Rentner-Ehepaar sei von den R.s gequält worden: "Es begann damit, dass sie uns die Heizung abdrehten. Es endete damit, dass sie den Eingang zu unserer Wohnung zumauerten." Für Klagen, so die P.s, hätte ihnen die Kraft gefehlt: "Also zogen wir in eine Gemeindewohnung. Und waren nur noch froh, unserem Martyrium entkommen zu sein."

"Niemand nahm unsere Ängste und Warnungen ernst"
"Eine Familie, gegen die wir nie ankamen", sagen nun viele Kalsdorfer: "Seit Jahren machten wir Anzeigen gegen Alen R. und seine Eltern. Aber niemand nahm unsere Ängste und Warnungen ernst."

Vor fünf Jahren gründeten die drei auf ihrem Grundstück einen Autohandel. Wracks wurden beschafft, notdürftig repariert und per Internet verkauft. "Bei den Abholungen", erinnert sich ein Anrainer, "kam es oft zu üblen Zwischenfällen. Weil die Wagen meist nicht funktionierten. Beschwerten sich die Abnehmer, wurden sie beschimpft, bespuckt und geschlagen." Wie jeder, der sich in die Nähe des Hauses der R.s wagte.

Familie R. führte "Schreckensherrschaft"
"Ohne jemals ernsthaft von der Justiz verfolgt zu werden, führte die Familie hier eine Schreckensherrschaft." Der Hund eines Nachbarn sei von den R.s mit Messern attackiert worden, Ziegen und Schweine, die sie auf ihrem Anwesen unter miserablen Bedingungen hielten, öffentlich abgeschlachtet. Alen R. schoss wiederholt mit einem Gewehr aus seinem Haus: "Wir trauten uns deshalb kaum noch in unsere Gärten. Noch weniger, als wir sahen, dass er auf seiner Facebook-Seite Fotos veröffentlichte, auf denen er mit Waffen posierte - und wir bemerkten, dass die R.s auf ihrem Dach Überwachungskameras installierten, mit denen sie uns anvisierten."

Die Situation eskalierte völlig, nachdem Familie R. das Betreiben eines Lokals auf ihrem Anwesen nicht genehmigt wurde - und sie ihre Nachbarn für den Negativ-Bescheid verantwortlich machte. "Ab da", erinnern sich die Kalsdorfer, "nannten uns die R.s nur noch Nazi-Schweine."

"Gott wird euch bald bestrafen"
Im Oktober 2014 stand Alen R. - wieder einmal - wegen einer Gewaltaktion vor Gericht, auch diesmal wurde er lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt. Am Ende der Verhandlung kündigte er seinen Belastungszeugen und der Richterin an: "Ihr werdet keine schönen Weihnachten verbringen. Denn Gott wird euch bald bestrafen." Selbst diese Drohungen blieben ohne Konsequenzen. "An wen hätten wir uns also danach noch wenden sollen", klagen Nachbarn, "wenn Alen R. uns auf der Straße zuschrie, wir sollten aufpassen, dass uns nichts zustoße?"

"Unendliches Mitleid" für Ehefrau
Und plötzlich war er verheiratet. Sie alle, sagen die Kalsdorfer, hätten "unendliches Mitleid für Elena, diese so traurig wirkende junge Frau", empfunden. Vor etwa drei Jahren, wird in der Ortschaft berichtet, sei die Bosnierin, damals knapp 20, plötzlich hier gewesen, in dem Haus der R.s. - nachdem der Sohn für ein paar Wochen verreist gewesen war. Der Mann, der noch nie zuvor eine Freundin gehabt hatte, brüstete sich mit seiner Braut. Schnell bekam sie von ihm zwei Söhne. Nur selten ging sie nach draußen, und wenn doch, dann immer nur in Begleitung ihrer Schwiegereltern oder des Gatten.

In Vernehmungen berichtete die Frau jetzt, dass ihr Mann sie in den vergangenen Monaten dazu zwingen wollte, ein Kopftuch zu tragen. Und, dass er sie wiederholt verprügelt habe, weil sie seine Anweisungen nicht befolgte. Am 28. Mai schritt die Polizei ein - Alen R. wurde aus seinem Elternhaus weggewiesen. Elena kam kurz darauf in einem Frauenhaus unter. Und der 26-Jährige durfte wieder heim.

In den Tagen vor seiner Tat verhielt er sich wie immer. Er saß auf einem Sessel im Freien und beobachtete seine Nachbarn. Er spielte laut Techno-Musik. Er lief, trotz der warmen Jahreszeit mit dicken Pullovern bekleidet, scheinbar ziellos, durch Kalsdorf.

Handys vor Tat zerstört
Wenige Stunden vor seiner Amokfahrt zerstörte er seine Handys, löschte alle seine davor geschriebenen Social-Network-Nachrichten und er gab seinen Tausenden (teilweise als radikale Moslems bekannten) Followern noch eine letzte, seltsame Botschaft: "Hurensöhne, not in my name...", gespickt mit einem Musikvideo - "Beat It." Das Motiv des Täters liegt noch im Dunkeln. Auch Ermittler des Verfassungsschutzes sind mit dem Fall befasst, da ein fundamentalistischer Hintergrund nicht völlig auszuschließen sei.

Den Aussagen von Fikret und Aleta R. zufolge, hätte sich ihr Sohn am späten Vormittag des 20. Juni in Jeans und Ruderleiberl in sein Auto gesetzt, um, wie er ihnen erklärte, "in Graz ein paar kleine Erledigungen zu machen..."

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