"Krone"-Rezension

Noel Gallagher auf der Suche nach dem Oasis-Vibe

Musik
27.02.2015 23:12
Mit "Chasing Yesterday" geht Oasis-Legende Noel Gallagher noch einmal in die Vollen und will den längst im Tiefschlaf liegenden Britpop mit Space-Jazz- und Garage-Rock-Zitaten reanimieren. Dass er sich dabei trotz aller Mühe unweigerlich in der eigenen Vergangenheit verheddert, war absehbar. Und wer weiß - vielleicht stehen Oasis ohnehin schon wieder ante portas...
(Bild: kmm)

Immer ein bisschen älter, aber kein bisschen weiser. Wie es sich für einen echten Gallagher geziemt, teilt die Brüderhälfte Noel auch mit 47 Jahren noch gerne aus – und zwar am liebsten immer, überall und sowieso gegen alles und jeden. In den letzten Wochen und Monaten hat es unter anderem den Deutsch-Rap, Kanye West, Beyoncé, Alex Turner und Ed Sheeran getroffen. Scheinbar angestachelt vom kommenden Blur-Album, hat sich der gute Mann in Gedanken an die immerwährende Britpop-Fehde schlussendlich auch noch dazu hinreißen lassen, für 20 Millionen Pfund eine Oasis-Reunion anzudenken.

Älter und kreativer
Das klingt nicht so ganz unrealistisch, wäre angesichts der letzten Oasis-Studioalben aber wohl auch nicht zwingend notwendig. Zumal der gute Noel im Gegensatz zu Prügel-Bruder Liam auch solo auf einer Erfolgswelle segelt. Während Liams Beady Eye sich nach zwei durchschnittlichen Alben letzten Herbst via Twitter in alle Winde verstreuten, bekam Noel für das 2011er-Debüt "Noel Gallagher's High Flying Birds" Kritikerlob und gute Chart-Platzierungen. Das verwunderte insofern wenig, als dass der Ältere schon immer der musikalisch Wertvollere und Kreativere war.

Vier Jahre später biegt unser Lieblings-Verbalprolet aus Manchester nun mit seinem Zweitwerk "Chasing Yesterday" um die Ecke und schürt bei der nicht gerade kleinen Fanbase große Hoffnungen. Eine Reminiszenz an die Vergangenheit also, wie sie fast alle Künstler im steigenden Alter beherzigen. Während sich aber Typen wie Ex-Deep-Purple-Musiker Glenn Hughes auf ihren Social-Media-Kanälen nur mehr mit hochgeladenen Analog-Fotos vergnügen und in Interviews kaum ein Thema nach 1985 kreuzen, vergisst Gallagher glücklicherweise nicht auf die Wichtigkeit der Gegenwart. Denn obwohl er selbst immer gerne betont, dass in den flippigen 60er-Jahren ohnehin alles besser gewesen sei, umgeht er den Kardinalsfehler, die für ihn so guten alten Zeiten stumpf und schnöde zu kopieren.

Stilistische Ausritte
Seinen persönlichen Lieblingssong, "Riverman", hat Noel gleich ganz an den Anfang des Albums gestellt. Als Space-Jazz bezeichnet der Mastermind die ungewohnte musikalische Ausrichtung, die sich nur am Beginn den gewohnten Britpop-Gefilden anbiedert, im weiteren Verlauf mit einem kruden Saxofon-Solo aber eine deutliche Emanzipation der – und da wären wir wieder beim Grundthema – eigenen Vergangenheit darstellt. Im Oasis-Outfit wäre ein solcher Song niemals möglich gewesen, so viel steht fest. Mit "In The Heat Of The Moment" folgt nicht nur eine bereits bekannte Single, sondern auch der leichtfüßigste Track direkt auf dem Fuß. Ein auf modern getrimmter Dancefloor-Beat, die warmen Vocals von Noel und die primitiv-eingängige Instrumentierung schreien förmlich nach tanzen, schwitzen und feiern.

Daneben schafft es Noel natürlich nicht, den übermächtigen Schatten von Oasis beiseitezuschieben. "The Dying Of The Light" könnte locker als Bonus-Track auf "(What's The Story) Morning Glory?" stehen, das wirklich hervorragende "You Know We Can't Go Back" projiziert die unschuldige, ungestüme Lockerheit des Debütwerks und "Lock All The Doors" hat er gar aus uralten Oasis-Demos aus dem Jahr 1992 geformt. Dass der Korpus des Songs nach 23 Jahren noch immer zeitlos frisch klingt, spricht jedenfalls für die songwriterischen Qualitäten des alten Gallaghers. Warum er bei "50 bis 60 Songs", die er angeblich für das Album geschrieben hat, aber trotzdem auf einen derart alten Schinken zurückgreift, bleibt vorerst unbeantwortet.

Das Beste kommt zum Schluss
Dass die High Flying Birds bei Weitem keine Oasis sind, wird vor allem bei den schwächeren Nummern klar. Zum Durchschnitt zählt etwa das unbedeutend vor sich hin plätschernde "The Right Stuff" oder das völlig inspirationslose "While The Song Remains The Same", bei dem eindeutig klar wird, dass die Gallaghers doch nur im Duett zu großen Geniestreichen fähig sind. Kurioserweise nimmt die Platte gerade gegen Ende hin Fahrt auf. So kann man den ungewohnten Garage Rock von "The Mexican" durchaus als Erfolg verbuchen und das von Noel vollmundig als "einer meiner besten Tracks, die ich je geschrieben habe" angekündigte "Ballad Of The Mighty I" ist zwar kein Jahrhundertsong, versprüht mit den Gitarren-Licks von Smiths-Legende Johnny Marr und dem loungigen Charakter aber zwangloses Hörvergnügen.

Auf "Chasing Yesterday" kann sich Noel Gallagher des Vorwurfs des Plagiats nicht verwehren, zu oft tappt der Rüpel in die Falle der Selbstzitation. Im Vergleich zu den eher lahmen Kompositionen von Bruder Liam hat er die Nase aber mühelos vorne, wenn man auch das Gefühl nicht loswird, dass auf diesem Album weitaus mehr drinnen gewesen wäre. Vielleicht wäre eine finanziell kräftig unterstützte Wiedervereinigung doch nicht das Schlechteste, denn ein gutes Oasis-Album steckt sämtliche Solokompositionen der Gallagher-Brüder locker in die Tasche. Da kann Noel fluchen und wettern, so viel er will.

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