Offizier S. ist Psychologe beim Jagdkommando, der Spezialeinheit des Bundesheeres. Er ist Experte für Extremsituationen, die Elitesoldaten durchlaufen selbst Kurse, bei denen Kriegsgefangenschaft simuliert wird. Mit der „Krone“ sprach er – der Mann will anonym bleiben – über die Belastungen, denen die israelischen Geiseln so lange Zeit über ausgesetzt waren, und was ihr Umfeld nun für sie tun kann.
„Krone“: Herr S., wie stellt sich die mehr als zwei Jahre lang dauernde Geiselhaft der verschleppten Israelis für Sie dar?
Ganz pauschal gesprochen wirken multiple Belastungen auf sie ein: Sie waren zum einen einem „man made Trauma“ ausgesetzt, einer von Mitmenschen herbeigeführten Gewalt, aus heiterem Himmel heraus und vor den Augen der ganzen Welt. Das ist schlimmer als etwa ein Trauma nach einem Unfall. Zum anderen waren sie den Einflüssen repetitiv und lange anhaltend ausgesetzt. Dabei kommt es typischerweise zu starken emotionalen Schwankungen zwischen Hoffnung, Enttäuschung, Zuversicht und Resignation.
Was verändert das bei den Verschleppten?
Der erlittene Kontrollverlust führt irgendwann zur Selbstaufgabe. Nicht selten tritt als Endpunkt einer Entwicklung von Kontrollverlust ein Phänomen namens „Psychogener Tod“ auf, man befindet sich in einem Mittelding zwischen Leben und Tod. Verstärkt werden kann diese Entwicklung durch objektiv absurde, aber subjektiv empfundene Schuldgefühle überlebt zu haben.
Gibt es Überlebensstrategien, wie man da am ehesten durchkommt?
Die Hamas ist – wie alle Terrorgruppen – kein ideologisch homogenes Gebilde, in dem alle auf den gleichen Anführer hören. Nicht alle Mitglieder sind ultragewalttätig, man könnte das für einen Beziehungsaufbau zu den Tätern nutzen, um eventuell Vergünstigungen zu erhalten. Weiter ist wichtig, sich ein Zeitgefühl zu bewahren, eine Basishygiene, so gut es geht, und eine mentale Beschäftigung. Und ganz wichtig ist die Selbstinstruktion: „Bleibe am Leben!“
Wie findet man nach solch einer traumatischen Zeit wieder zurück in die Gesellschaft?
Zunächst einmal müssen die primären Bedürfnisse gedeckt werden, wie etwa medizinische Versorgung und Körperpflege. Bei der Betreuung geht es dann um das Abschirmen von Reizüberflutungen wie Blitzlichtgewitter oder Interviews. Vermeiden von mit dem Trauma assoziierten Aspekten, also etwa engen, dunklen Räumen. Behutsamer, allmählicher Kontakt mit den Angehörigen aufgrund der ungewohnten Nähe.
Was können denn diese Angehörigen beziehungsweise das direkte Umfeld tun, um die Geiseln wiederaufzunehmen?
Man muss Rücksicht nehmen. Die freigelassene Geisel bestimmt alleine Richtung und Tempo. Bei der Freilassung stellt sich ein schwer kontrollierbarer Gefühlstaumel von Euphorie ein, dann Erschöpfung und eine Ambivalenz zwischen Erleichterung, Überlebensschuld und Depression. Diese Gefühle werden verstärkt durch den aktuell schlechten Allgemeinzustand, also etwa durch Mangelernährung. Zuhören, ausreden lassen, Floskeln wie „Das wird schon wieder“ aussparen. Dann geht es an die professionelle medizinische und psychologische Reha, womit Israel große Erfahrungen hat. Man kann den Überlebenden nur die besten Wünsche mitgeben.
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