Hamas-Geisel berichtet

Tal Shoham: „Wollte leben, um Vater zu bleiben“

Außenpolitik
12.10.2025 19:46

Am Samstag sprach Tal Shoham nach 505 Tagen in Gefangenschaft der Hamas vor 400.000 Menschen in Tel Aviv am Platz der Geiseln. Am Montagmorgen sollen die restlichen freikommen. Der Austro-Israeli berichtet von seinen Erlebnissen.

Wenn Tal Shoham spricht, ist seine Stimme ruhig. Fast zu ruhig für einen Mann, der 505 Tage in den Tunneln der Hamas überlebt hat. 505 Tage ohne Sonne, ohne Nachrichten, ohne Gewissheit, ob er seine Familie je wiedersehen würde. Nun sitzt er in einem hellen Raum in Tel Aviv, neben ihm Ilan Gilbao Dalal, Vater der Geisel Guy Gilbao Dalal. Morgen, so hoffen alle, sollen die letzten Verschleppten freikommen.

Das Gespräch mit mehreren internationalen Medien – wie CNN, der „New York Times“ und der „Krone“ – ist kein gewöhnliches Interview. Es ist ein Zeugnis. Shoham spricht offen über das Leben nach der Rückkehr. „Jede Geisel erlebt es anders“, sagt er. „Aber was alle gemeinsam haben, ist, dass der eigentliche Kampf erst beginnt, wenn die Kameras aus sind.“ Viele litten an Schlafstörungen, Flashbacks, Panikattacken. „Man wacht auf und glaubt, man ist wieder im Tunnel“, erzählt er.

Tal Shoham bei seiner Freilassung
Tal Shoham bei seiner Freilassung(Bild: AP/Ohad Zwigenberg)

Er selbst habe Glück gehabt, sagt Shoham. Keine schwere posttraumatische Störung – zumindest nicht so, dass sie ihn lähmt. „Ich habe eine Frau, zwei kleine Kinder. Sie geben mir jeden Tag Kraft, weiterzumachen.“ Er weiß aber auch, wie zerbrechlich diese Rückkehr ins Leben ist. „Wenn man so lange hungert, kann Essen gefährlich werden. Der Körper braucht Wochen, um wieder normal zu funktionieren.“

„Sie stahlen Hilfsgüter – und ließen uns hungern“
Shoham berichtet von seiner Gefangenschaft in den Tunneln unter Gaza. „Ich bekam vielleicht 200, 300 Kalorien am Tag“, sagt er. Er habe mit eigenen Augen gesehen, wie Hamas-Kämpfer Kisten mit humanitärer Hilfe aus Ägypten, der Türkei und den Emiraten stahlen – und die Vorräte horteten.

„Sie sagten uns, sie würden uns hungern lassen, damit wir so leiden wie ihr Volk – obwohl sie die Hilfsgüter selbst gestohlen hatten.“ Der Hunger war Teil der Folter, ein Werkzeug der Kontrolle. Erst nachdem Videos abgemagerter Geiseln veröffentlicht wurden und die Weltöffentlichkeit reagierte, habe sich die Lage leicht gebessert.

Hoffnung, Glaube, Überleben
Was hält einen Menschen in einer solchen Situation am Leben? Shoham antwortet ohne Pathos. „Am Tag meiner Entführung, als sie mich in den Kofferraum warfen, dachte ich, sie würden mich töten. Als ich merkte, dass sie mich lebend mitnehmen, schwor ich mir: Mein Leben ist wertvoll. Ich werde es ehren.“ Nach 50 Tagen erfuhr er, dass seine Familie überlebt hatte. „Ab da hatte ich ein Ziel: Ich wollte leben, um Vater zu bleiben. Für meine Kinder, für meine Frau.“ Er beschreibt, wie er versuchte, trotz allem Mensch zu bleiben. „Ich wollte nicht so werden wie sie. Ich wollte mir selbst beweisen, dass man auch in der Hölle menschlich bleiben kann.“

Die Hamas-Terroristen weigern sich, die Waffen niederzulegen
Die Hamas-Terroristen weigern sich, die Waffen niederzulegen(Bild: AFP/SAID KHATIB)

Keine Rache – aber Sicherheit“
Auf die Frage, ob Hamas ausgelöscht werden müsse, antwortet Shoham vorsichtig: „Ich brauche keine Rache. Aber ich glaube, für Israelis und Palästinenser kann es keine Zukunft geben, solange Hamas die Macht hat.“

Er hoffe, dass Palästinenser eines Tages „ein besseres Leben, ein westliches Leben“ führen könnten – ohne Terrorherrschaft. Nur dann könne Frieden entstehen. Auch die Mutter eines noch gefangenen Sohnes, die mit Shoham sprach, sieht das so: „Hamas hat das Geld nicht für Schulen oder Krankenhäuser genutzt, sondern für Tunnel und Waffen. Die Palästinenser verdienen eine bessere Führung.“

Shoham weiß, was die Familien der noch Gefangenen gerade durchmachen. „Ich habe gelernt, geduldig zu hoffen. Aber auch, dass man nie sicher sein kann.“ Seine eigene Befreiung sei für ihn und seine Angehörigen erst der Anfang eines langen Wegs gewesen. „Selbst nach zwei Jahren kommen die Erinnerungen immer wieder.“ Was er den Geiseln, die morgen freikommen sollen, rät? „Atmet. Es wird schwer, aber ihr seid am Leben. Das ist das Wichtigste.“

Morgen Montag sollen die restlichen Geiseln freikommen
Morgen Montag sollen die restlichen Geiseln freikommen(Bild: AFP/JACK GUEZ)

„Vielleicht werde ich eines Tages vergeben“
Ob er seinen Peinigern vergeben könne? „Noch nicht“, sagt Shoham leise. „Solange Menschen dort unten leiden, kann ich das nicht. Vielleicht irgendwann – nicht für sie, sondern für mich selbst.“

Trotz allem, sagt er, habe die Gefangenschaft seinen Glauben gestärkt. „Ich glaube an das Gute im Menschen. Ich glaube, dass Licht auch in der Dunkelheit möglich ist.“

Montagmorgen sollen laut israelischen Behörden die letzten Hamas-Geiseln freikommen – fast zwei Jahre nach dem Massaker vom 7. Oktober. Tal Shoham will dann am Grenzübergang stehen, um sie zu empfangen. „Wenn sie wieder frei sind“, sagt er, „beginnt für uns alle ein neues Kapitel. Ein Kapitel, das wir hoffentlich in Frieden schreiben können.“

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