Zwischen Fjorden und Mitternachtssonne – zwei Frauen, zwei Räder und 4100 Kilometer voller Landschaft, Begegnungen, eigener Grenzen und unvergesslicher Momente, die ein Leben lang bleiben und Spuren hinterlassen.
Zwei Frauen. Über fünfzig. Zwei Räder – und ein Ziel, das Tausende Kilometer entfernt liegt. Für manche klingt das nach Midlife-Crisis. Für uns war es der richtige Moment, das Leben neu zu justieren – und uns Raum für Freiheit zu nehmen. Was wir auf den 4100 Kilometern und 37.000 Höhenmetern durch Norwegen gelernt haben, ist ganz einfach – und zugleich so grundlegend: Es geht ums Durchhalten.
Die Idee kam vor meinem 50. Geburtstag: mit dem Rad vom Nordkap bis nach Sizilien – Etappe für Etappe, quer durch Europa. Doch um aus einer Vision ein konkretes Projekt zu machen, braucht es mehr als Reiselust. Neben der groben Routenführung war die Ausrüstung entscheidend. Wir wählten robuste Gravelbikes mit Lastenträgern vorne und hinten, um rund 20 Kilogramm Gepäck pro Person gleichmäßig zu verteilen.
Das Vier-Jahreszeiten-Zelt hält auch stürmischem Wetter stand – in Norwegen ein Muss. Da wir uns meist selbst versorgen, gehört eine kleine Outdoorküche ebenso zur Standardausstattung wie Wassersack, Wasserfilter, Reparatur-Set und eine Reiseapotheke.
Auch bei der Kleidung lautet das Motto: auf alles vorbereitet sein – nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Der Norden: rau, weit – und unerwartet warm. Nach einer mehrtägigen Anreise erreichten wir die Nordkap-Insel – und wurden gleich mit Sturmböen, Kälte und Dauerregen empfangen. Doch kurz darauf überraschte uns eine stabile Hochdruckphase mit Sonne, angenehmer Wärme und Helligkeit rund um die Uhr. Die Landschaft im Norden ist gewaltig. Wir durchquerten die Tundra mit Moosen, Flechten und niedrigen Sträuchern, später die lichteren Wälder der Taiga, und entlang der Fjorde zeigten sich überraschend grüne, fast liebliche Küstenlandschaften.
Die Vegetation veränderte sich – und wir uns mit ihr. Tagelang durch menschenleere Gegenden zu fahren, ohne Ortschaften, mit nur wenigen Häusern am Weg, hinterlässt Spuren. Eine kleine Tankstelle mit Kaffee-Ecke wurde zum schönsten Ort der Welt. Dort feierten wir meinen 50. Geburtstag. Einfach und doch so besonders. Über die Lofoten – wo wir die Mitternachtssonne erlebten, wie sie das Meer fast berührte und dann wieder aufstieg – erreichten wir schließlich, nach 1300 Kilometern, die Küstenstadt Bodø.
Alles, was wir brauchten, auf zwei Rädern
Reduzieren bedeutet nicht verzichten, sondern bewusster leben. Wir hatten alles dabei, was wir brauchten. Ein erstaunliches Gefühl, wenn plötzlich klar wird: Alles, was zum Leben nötig ist, passt auf ein Fahrrad. Der Kleiderschrank. Die Küche. Das Schlafzimmer. Wir freuten uns, wenn wir einen ebenen Zeltplatz in der Nähe eines Flusses oder Sees fanden.
Weitere Infos: Visit Norway, offizielle Tourismusplattform des Landes, https://www.visitnorway.de/ – Norwegian Trekking Association (DNT), für Wandern, Hütten, Outdoor-Regeln https://www.dnt.no/english
ANREISE: klimafreundlich nach Norwegen – mit Rad, Zug, Bus und Fähre
Je weniger wir dabeihatten, desto mehr schätzten wir, was da war: trockene Wäsche, ein warmer Schlafsack, ein dichtes Zelt, ein einfaches Abendessen. Ein Campingplatz wurde zum Luxus. Die meisten Plätze in Norwegen sind schlicht ausgestattet: kleine Küchen, einfache Sanitäranlagen, kein unnötiger Komfort. Und doch hatten wir dort immer alles, was wir brauchten.
Küstenkilometer, Fährfahrten & viel Regen
Durchhalten – wenn der Weg nicht leicht ist. Der mittlere Teil unserer Norwegenreise – von Bodø bis nach Bergen – war landschaftlich eindrucksvoll, aber körperlich und mental besonders fordernd. Manche Tage waren geprägt von Dauerregen, der stundenlang, manchmal tagelang anhielt. Die Regenkleidung wurde zum ständigen Begleiter, Geduld und Ausdauer zur Grundvoraussetzung. Die Strecke führte entlang der zerklüfteten Westküste, mit zahlreichen Fährüberfahrten – die in Norwegen für Radfahrer übrigens kostenlos sind.
An Tagen mit stabilem Wetter nutzten wir die Gelegenheit, anspruchsvolle Bergetappen zu bewältigen – etwa den Anstieg vom Geirangerfjord hinauf zum Geiranger Skywalk oder einen Abstecher zu einem der rund 2500 Gletscher Norwegens. Nicht nur Wetter und Höhenmeter forderten uns – auch Verkehr, Wind und Mücken waren regelmäßige Begleiter.
Es gab viele Momente, die uns an unsere Grenzen brachten. Aber nach jedem Regen kam wieder Sonne. Nach jedem langen Anstieg eine atemberaubende Abfahrt. Und auch hier lernten wir dazu: Auf das unvermeidliche „bad weather“ angesprochen, antworteten Norweger meist nur mit einem gelassenen Lächeln: „That’s Norway.“
Der Süden: Hochebenen, Menschenmengen und Meer. Der dritte Abschnitt, von Bergen bis Kristiansand, führte uns über 1000 Kilometer durchs Landesinnere bis an die Südküste. Wir besuchten Orte wie Trolltunga und Preikestolen – beeindruckende Ziele, aber überlaufen und ein deutlicher Kontrast zu den einsamen Abschnitten zuvor. Doch nur wenige Kilometer abseits der Hotspots waren wir wieder allein – auf Hochebenen, entlang von Seen, durch karge, ruhige Landschaft. Ein besonderes Erlebnis war der Rallarvegen, eine der schönsten Radstrecken Norwegens. Erst an der Küste änderte sich das Bild: Sandstrände, warme Temperaturen, Campingplätze voller Familien – eine völlig andere Seite Norwegens.
Gemeinsam unterwegs – Tritt für Tritt ans Ziel. Die Wochen in Norwegen haben viel in Bewegung gebracht – körperlich, aber auch in unserem Denken. Über uns selbst, über Tempo, Ressourcen und das, was wirklich zählt. Und was wir auf diesem Weg gefunden haben, ist weit mehr als eine Strecke. Norwegen hat uns mit seiner landschaftlichen Vielfalt und den Begegnungen unterwegs geprägt – von der Kargheit des Nordens bis zur Lebendigkeit des Südens.
Wir haben Erlebnisse gesammelt, Kraft gespürt, Vertrauen gewonnen – in uns selbst, in den Weg und in das, was noch vor uns liegt. Unser Ziel ist Sizilien im Jahr 2028. Es klingt weit entfernt, fühlt sich aber nah an, wenn wir die nächsten Etappen vor uns sehen: die Britischen Inseln, dann Frankreich, zuletzt Italien. Wir wollen Europa nicht abhaken – wir wollen es im wahrsten Sinne des Wortes erfahren. Mit dem Rad, mit wenig Gepäck und mit allem, was uns wirklich wichtig ist.
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