Zwangsreform droht

ORF verletzt mit Spaßfernsehen mehrfach Gesetz

Österreich
05.10.2012 13:43
Die unabhängige Medienbehörde KommAustria hat beim ORF mehrere Verletzungen des ORF-Gesetzes festgestellt und schreibt dem Staatsfunk nun erstmals konkrete Prozentanteile für Nachrichten und Kultur vor. Grund: Der ORF hat im Prüfungszeitraum nicht dafür gesorgt, dass in seinen Kanälen Informations- und Kulturinhalte in gerechtem Verhältnis zu Unterhaltung und Sport stehen - ORF eins weist gar einen "Spaßanteil" von fast 80 Prozent auf. Dem ORF droht nun eine erzwungene Programmreform, sollte der Bescheid rechtskräftig werden.

Immerhin: Die von Jänner 2010 bis August 2011 festgestellten Gesetzesverletzungen in Bezug auf den Gesamtanteil von Information, Kultur, Sport und Unterhaltung im Rundfunkangebot des ORF-Fernsehens habe der ORF mit den neuen Spartensendern ORF III und ORF Sport plus mittlerweile abgestellt, merkt die KommAustria in ihrem noch nicht rechtskräftigen Bescheid an.

Aber auf dem Fernseh-Zugpferd ORF eins ist der "Spaßanteil" (im Bild: die Juroren der Abendshow "Die große Chance" sowie li. und re. davon die US-Serien "Mein cooler Onkel Charlie" und "Malcolm mittendrin", von denen der ORF werktags mehrere Folgen ausstrahlt) offenbar nach wie vor zu hoch. Bei Rechtskraft des Bescheids muss der ORF eine Umgestaltung vornehmen und ORF eins im Sinne der KommAustria-Vorgaben zu einem "Vollprogramm" mit einem ausgewogenem Mix an Information, Kultur, Sport und Unterhaltung gemäß dem Programmauftrag machen. Der ORF hat zwei Wochen Zeit für eine Berufung.

Abstimmung in der Infobox: Bietet der ORF zu wenig Qualität?

Zahlenkrieg zwischen ORF und Privatsendern
In dem Verfahren veranstalteten der ORF und der Verband österreichischer Privatsender, der die Beschwerde erhob, eine regelrechte Schlacht um Zahlen- und Vergleichswerte. Laut Berechnungen der Privatsender soll ORF eins von Jänner bis August 2011 einen Unterhaltungsanteil von 79,1 Prozent aufgewiesen haben, bei 11,1 Prozent Sport sowie 2,9 Prozent Information und nur 0,3 Prozent Kultur. Die restlichen 6,6 Prozent fallen unter "Sonstiges" (Werbung, Programmhinweise, "Wetterpanorama"). ORF eins und ORF 2 zusammen hätten einen "Spaßanteil" von 67 Prozent.

Zum Vergleich: Der deutsche Privatsender RTL hat im selben Zeitraum laut den Privatsendern ebenfalls 0,3 Prozent seiner Sendezeit der Kultur gewidmet, der österreichische Sender ATV gar 0,4 Prozent. Puls 4 zeigte keine Kultur, dafür aber 7,9 Prozent Information. Das ZDF in Deutschland hat einen Kulturanteil von fünf Prozent, die ARD sendet zu 35 Prozent Information.

Der ORF entgegnete dem mit seiner eigenen Berechnung, wonach 2010 der Unterhaltungsanteil auf ORF eins und ORF 2 zusammen nur 44 Prozent ausmache. 2011 falle er aufgrund der Spartensender Sport plus und ORF III auf gar nur 36 Prozent. Die KommAustria bestellte daraufhin einen unabhängigen Gutachter, dessen erhobene Zahlen sich, zumindest in Bezug auf ORF eins, mit denen der Privatsender deckten. Der Unterhaltungsanteil auf ORF eins betrug 2010 sowie in den 2011er-Monaten jeweils knapp 80 Prozent.

ORF eins droht erzwungene Programmreform
Nach Auslegung der KommAustria entspricht aufgrund des hohen Unterhaltungsanteils auf ORF eins auch ORF 2 nicht den Vorgaben eines "Vollprogramms". Die Behörde will, dass beide Programme künftig jeweils mindestens drei der vier Kategorien Information, Kultur, Sport und Unterhaltung mit einem Anteil von wenigstens zehn Prozent aufweisen und eine Kategorie nicht mehr als 66 Prozent des Programms ausmacht. Und: Eine in einem Programm fehlende Kategorie muss jedenfalls im anderen Programm vertreten sein.

Wird der Bescheid der KommAustria also rechtskräftig, "wird der ORF seine Programmgestaltung sowohl im Hinblick auf die Ausgewogenheit des Gesamtprogramms als auch insbesondere hinsichtlich der inhaltlichen Vielfalt seiner Hauptprogramme überprüfen und gegebenenfalls anpassen müssen", so die Medienbehörde. Konkret heißt das, dass der Unterhaltungsanteil auf ORF eins auf höchstens 66 Prozent reduziert werden muss.

Wrabetz zitiert die Menschenrechtskonvention
ORF-Chef Alexander Wrabetz zeigte sich am Freitag in einer ersten Reaktion "bestürzt über einen unfassbaren Bescheid". Die Entscheidung sei ein "Eingriff in die Unabhängigkeit", der ORF werde "mit allen rechtlichen Mitteln" gegen den Spruch der Medienbehörde vorgehen. "Der ORF erfüllt wie kaum ein anderer europäischer öffentlich-rechtlicher Sender seinen umfassenden Informations-, Kultur- und Unterhaltungsauftrag", meinte Wrabetz.

"Vollkommen inakzeptabel" sei aber die bescheidmäßige Festschreibung von fixen Prozentanteilen, die der ORF aus den Bereichen Information, Kultur, Sport und Unterhaltung zu senden habe. Kritik kommt auch am "extrem engen Kulturbegriff" der Medienbehörde. Die Behörde wolle ein Quotenfernsehen, das nicht in Ansätzen den Wünschen und Konsumgewohnheiten der Gebührenzahler entspricht.

Das Gutachten, auf das sich die Behörde stützt, sei "wissenschaftlich fragwürdig, methodisch verfehlt und inhaltlich falsch", so Wrabetz. Es sei zudem von einem Sachverständigen verfasst, der in einem Naheverhältnis zu deutschen privaten Mitbewerbern stehe. Der ORF sieht in dem "behördlichen Eingriff in die Programmautonomie" auch einen "klaren Verstoß" gegen die verfassungsgesetzlich gewährleistete und in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Meinungsäußerungs- und Rundfunkfreiheit sowie gegen die Unabhängigkeit des ORF gegenüber staatlichen Behörden.

Privatsender jubeln über Bescheid
Ganz anders die Sicht bei den heimischen Privatsendern: "Das ist die wichtigste Bestätigung der VÖP-Positionen seit Bestehen des privaten Rundfunks. Diese Entscheidung der KommAustria ist richtungsweisend für die österreichische Medienpolitik", erklärte Klaus Schweighofer, VÖP-Vorstandsvorsitzender. "Sie unterstreicht unsere fortwährende Kritik: Das Programm des ORF ist zu kommerziell ausgerichtet. Der Unterhaltungsanteil überwiegt deutlich. Die tragenden Säulen öffentlich-rechtlichen Programms - Information und Kultur - werden vernachlässigt", so Schweighofer.

Der VÖP hatte in seiner Beschwerde auch auf eine Feststellung gedrängt, wonach der ORF sich wie ein Privatsender verhalte und dadurch mit einem Privatsender verwechselbar sei. Diese Beschwerde wies die KommAustria jedoch als unzulässig zurück. Für die Privatsender ist aber der größte Erfolg ohnehin, dass der ORF mit der Festlegung von Kriterien für die "Vollprogramme", nicht mehr "wenig quotenstarke Inhalte" auf die Spartenprogramme ORF III und ORF Sport plus "auslagern" könne.

Bei Rechtskraft muss ORF auf allen Kanälen Urteil senden
Wird der Bescheid rechtskräftig, muss der ORF binnen sechs Wochen folgende Botschaft an zwei Tagen hintereinander auf ORF eins, ORF III und ORF Sport plus vor dem Hauptabendprogramm sowie auf ORF 2 unmittelbar vor Beginn der "Zeit im Bild" senden:

"Die KommAustria hat aufgrund einer Beschwerde mehrerer Mitbewerber Folgendes festgestellt: Der Österreichische Rundfunk hat vom 01.01.2010 bis zum 31.08.2011 kein differenziertes Gesamtprogramm von Information, Kultur, Unterhaltung und Sport für alle angeboten, weil kein angemessenes Verhältnis der Kategorien Information, Kultur, Unterhaltung und Sport zueinander bestanden hat. Zudem hat der Österreichische Rundfunk in diesem Zeitraum keine zwei Vollprogramme mit den Kategorien Information, Kultur, Unterhaltung und Sport veranstaltet. Dadurch wurde das ORF-Gesetz im Hinblick auf den öffentlich-rechtlichen Auftrag verletzt."

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