„Humble As The Sun“

Grime-Durchstarter Bob Vylan attackieren England

Musik
15.04.2024 09:00

Nein, mit Bob Dylan hat das ruppige Duo aus dem Herzen Englands nichts am Hut. Auf ihrem dritten Album „Humble As The Sun“ gießen Bob Vylan Grime, Punk und 90er-Alternative-Rock mit gesellschafts- und sozialkritischen zu einem Gebräu, das einer Jugend ohne Zukunft Grund zur Revolution gibt. Selbst agieren sie trotz aller Aggressivität aber nach dem Prinzip der Liebe.

(Bild: kmm)

Wer sich beim Happel-Stadion-Konzert der Toten Hosen im Juli 2022 früh ins Oval bemühte, wurde Zeuge einer ganz besonderen Vorband, die zu dieser Zeit in ihrer Heimat England gerade durch die Decke ging. Zwei sympathische Burschen mit Rastamatte und einer schier unfassbaren Energie, die ein noch überschaubares Publikum mit politischem Liedgut irgendwo zwischen Punk, Grime und frühen 90er-Alternative-Rock begeisterte. Ein Jahr später spielten die beiden Herren Bobby und Bobbie Vylan beim Nova Rock auf dem Red Bull Brandwagen und brachten es zustande, der brutal aufs Feld heizenden Sonne noch ein bisschen Extrahitze hinzuzufügen. Oberkörperfrei, Adidas-Trainingshose oder Arsenal-Dress – das ist die Standardbühnenausstattung des Duos, das sich 2017 in einer Bar in London kennengelernt hat und kurioserweise dort mit dem Alkoholtrinken aufgehört hat.

Sozialkritik mit Humor
Dafür machen Bob Vylan, wie sie sich für einige sicher gotteslästerlich benannt haben, musikalisch keine Gefangenen. Eine bewusste musikalische Ausrichtung gab es nie, die Einflüsse und Vorlieben von Rapper Bobby und Drummer Bobbie wurden einfach zusammengemischt. „Wir wollten einen Stil finden, den es so noch nie gab“, erzählen sie im „Krone“-Gespräch, „etwas, das die Leute hören wollen und das einen besonderen Charakter hat. Da wir beide einen sehr breiten Musikgeschmack haben, war relativ schnell klar, dass es ausufern kann und darf.“ Ihr Debütalbum „We Live Here“ sorgte 2020 in Undergroundkreisen für Aufmerksamkeit, mit dem Nachfolger „Bob Vylan Presents The Price Of Life“ (2022) schaffte das Duo es auf den sensationellen 18. Platz der britischen Albumcharts. Mit der Textzeile „The album went to 18 but they know I’m No. 1“ auf ihrem brandneuen Album „Humble As The Sun“ beweisen sie einmal mehr eindrucksvoll, wie viel Humor und Vielschichtigkeit in den polit- und sozialkritischen Texten verpackt wird.

Musikalisch ist das Drittwerk ein relevanter Schritt nach vorne. Die Punk-Zitate wirken noch dreckiger, der UK-Grime nimmt an Kompromisslosigkeit zu und die Gitarren braten so schön ruppig, wie man es von Alice in Chains oder Rage Against The Machine in den 90er-Jahren gewohnt war. „Wir gehören zu den wenigen Bands, die man nicht schnell in ein Genre einordnen kann, was ein großer Vorteil ist. Wenn wir einen Reggae-Song schreiben, fühlt sich das für unsere Hörer nicht seltsam an, weil sie es irgendwie erwartet haben.“ Während vor allem Frontmann Bobby auf der Bühne das innere Tier freilässt, wirken die beiden im Gespräch ruhig, besonnen und durchdacht. Bei Bob Vylan ist strenggenommen alles ein Statement – auch die eigene Existenz. Man weiß von beiden nicht, wie sie im realen Leben heißen, wie alt sie sind und wo sie wohnen. Dies wird als Zeichen gegen die Dauerüberwachung Londons eingesetzt, wo mittlerweile gefühlt jeder Quadratzentimeter von Kameras aufgezeichnet wird.

Nicht lange herumschweifen
Bob Vylan sehen sich als Band für die Working Class und stoßen ihre Finger tief in die offenen Wunden der Gesellschaft. „Dream Big“ handelt davon, unter ärmlichen Verhältnissen und von strukturellem Rassismus begleitet aufzuwachsen, das flotte „Hunger Games“ ist ein Kampfruf für all jene, die täglich mit finanziellen Problemen zu kämpfen haben und dabei an Selbstwert verlieren, obwohl das nicht notwendig ist. „Makes Me Violent“ beschreibt die negativen Gefühle Bobby Vylans gegenüber dem Ist-Zustand seiner Heimat Großbritannien, „He’s A Man“ geht mit doppelbödigem Sarkasmus und Zynismus streng mit der toxischen Männlichkeit ins Gericht und auf „Right Here“ haben die beiden ein Sample von Fatboy Slim als Grundstock für ihre offensive Gesellschaftskritik herangezogen. Frontmann Bobby scheut auch nicht davor zurück, offen für Palästina einzutreten und kritisiert Grime- oder Postpunk-Kollegen wie die Idles oder die Sleaford Mods dafür, sich nicht klarer zu positionieren.

„Wir können es ohnehin nicht ändern, wenn sich die Menschen mit falschen Nachrichten oder engstirniger Propaganda volllaufen lassen. Sie müssen selbst wissen, was sie tun, woran sie glauben und wie sie ihr Leben verbringen möchten. Uns ist es wichtig, über Dinge zu schreiben, die wir selbst erleben und die uns beschäftigen.“ „Humble As The Sun“ bezeichnet Bobby folgerichtig als Album, das man vor allem für sich selbst geschrieben hätte. Mit der immanenten Systemkritik und den messerscharfen und kritischen Analysen, dem grassierenden Neoliberalismus und der humanen Ungerechtigkeiten gegenüber, treffen Bob Vylan ohnehin in die Herzen und Seelen der gemeinen Bevölkerung. „Alles, was inhaltlich und musikalisch aus dieser Band strömt, hat als Unterlage die Liebe. Die Leute glauben immer, unsere Songs würden aus Wut entstehen, dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Wir lieben die Gesellschaft und singen lieber darüber, was wir besser machen und wo wir hingehen können. Es geht darum, voranzukommen und nicht blind negativen Gefühlen zu folgen.“

Mit Schmäh durch das Höllentor
Der ausufernde Energieausstoß auf der Bühne ist für das Vermitteln der Inhalte essenziell. „Die Art, wie wir mit unseren karibischen Wurzeln auf der Bühne miteinander kommunizieren, ist sehr intensiv und wirkt auf manche vielleicht aggressiv“, lachen beide unisono, „wir tanzen und bewegen uns gerne. Wir singen und sind laut. All das steckt in unserer DNA und kann missverstanden werden. Prinzipiell witzeln wir bei unseren Konzerten gerne herum, aber manchmal öffnen wir auch die Höllenpforten.“ Trotz all der aktivistischen Inhalte ist Bob Vylan die Musik noch immer wichtiger als die bloße Message. „Man darf seine Zehen ja gerne in den Aktivismus stecken, aber wir geben lieber dort 100 Prozent, wo wir zu Hause sind – in der Musik. Wir kennen uns und wissen, wo unsere Grenzen sind. Wir beteiligen uns gerne an Revolutionen und der Veränderung, aber es gibt weitaus bessere Denker, Idealisten und Lehrer als uns. Wir widmen der Band unser ganzes Leben und gehen immer All-In.“ Hoffentlich auch bei einem weiteren Österreich-Livetermin. Noch ist dahingehend alles offen.

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