Neues Album

Wiener Indie-Band Zinn besingt das „Chthuluzän“

Musik
11.02.2024 09:00

Auf ihrem Debütalbum regierten vor drei Jahren noch die Gitarren, mittlerweile hat sich bei Zinn nicht nur das musikalische Universum auf den Kopf gestellt: Das Wiener Trio hat für „Chthuluzän“ neben einer ordentlichen Portion Experimentierfreude auch die Ideen der US-Wissenschafterin Donna Haraway mit ins Studio gebracht. Herausgekommen ist Musik, die Kopf wie Bauch anspricht. „Wir wollten etwas Größeres machen“, unterstrich Lilian Kaufmann. Das ist definitiv gelungen.

(Bild: kmm)

Hört man „Chthuluzän“, so gibt es klassische Instrumente ebenso wie die traditionsreiche Punk-Ausstattung aus Gitarre, Bass und Schlagzeug - und vor allem viele Synthies. Es sind im positiven Sinne träge Soundschlieren, die sich beispielsweise im Titelsong und Albumopener über ein gemächlich schepperndes Schlagzeug legen, während Sängerin Margarete Wagenhofer von einer neuen Welt erzählt. Genau um die geht es nämlich, und zwar im Sinne Haraways: das Chthuluzän als Zeitalter der Verschränktheit aller Lebewesen, wenn sich die unterschiedlichsten Fäden zu immer neuen Knotenpunkten verbinden.

Idee zu einem Konzeptwerk
Haraways theoretische Konzepte und Ansichten waren für die Freundinnen - neben Wagenhofer und Kaufmann komplettiert Leonie Schlager die Gruppe - schon länger wichtige Gesprächsthemen. Als sie schließlich intensiver zum Chthuluzän recherchiert habe, „hat sich eine Welt aufgetan“, erinnerte sich Wagenhofer im APA-Gespräch. So wuchs die Idee eines Konzeptalbums. „Als großer Pink-Floyd-Fan, war ich ganz begeistert von der Idee“, schmunzelte Kaufmann. „Es wird vielleicht nicht komplett durchgehalten, aber es gibt definitiv diesen roten Faden.“

Und Fäden sind ein zentrales Element: „Es geht im Chthuluzän um Verbindungen. Darum, alte Konzepte aufzugreifen, diese aber umzuändern“, so Wagenhofer. „Letztlich wird etwas Neues daraus gemacht, was am Ende wieder aufgelöst wird.“ Gerade auch deshalb habe die musikalische Neuausrichtung gut gepasst, sei doch der Synthesizer „nicht zu geradlinig. Sachen werden zusammengebracht, es verändert wieder alles. Man kann urviel drehen und experimentieren.“ Wobei Zinn deshalb keineswegs den Song aus den Augen verlieren, wie etwa das leichtfüßige „Limoncello“ oder die schwelgerische „Dramaturgie eines Nachmittags“ (gemeinsam mit International Music) beweisen.

Größer denken
Dass große Themen nach großen Umsetzungen verlangen, war den drei Musikerinnen jedenfalls schnell klar. „Das braucht einfach eine andere musikalische Herangehensweise“, nickte Kaufmann. „Um diese Dinge emotional rüberzubringen, muss es viel größer gedacht werden. Da geht sich ein Bumm-Tschak-Beat einfach nicht aus“, lachte die Schlagzeugerin, die auch in der Punkband Schapka aktiv ist. Geholfen haben dabei verschiedenste Mitmusikerinnen und Mitmusiker, aber natürlich auch Produzent Wolfgang Möstl. „Er ist immer bereit für Spielereien, deshalb macht es so viel Spaß mit ihm. Es sind einfach gute Bereicherungen.“

Inhaltlich fühlen Zinn eine Verantwortung, über wesentliche Dinge zu sprechen. „Wir können einfach keine Liebeslieder mehr schreiben“, meinte Wagenhofer. „Jetzt gerade sind andere Themen wichtig, was uns ein großes Bedürfnis war: Klimakrise, Kapitalismus, Patriarchat.“ Dem Pessimismus erteilen die Musikerinnen aber eine Absage. „Wir müssen Donna Haraway danken, sie hat uns rausgeholt aus einem nihilistischen und zynischen Weltbild. Man denkt ja: Diese Welt geht den Bach runter, und man kann nichts machen, weil wir auf drei Grad Erderwärmung zusteuern. Sie sagt aber: Nein, genau so soll es nicht sein. Wir sollen den Kopf nicht in den Sand stecken. Wir sind die letzte Generation, die etwas machen kann“, so Wagenhofer. „Also ist es an der Zeit, etwas zu tun und das zu thematisieren.“

Patriarchat und Klimawandel
Gesagt, getan: Mit Songs wie „Stirb Patriarchat Stirb!“ oder dem bitterbösen „Das Kapital“ (mit der genialen Zeile: „Spürst du das Kapital? Es ist überall. Du atmest es ein. Es atmet dich aus“) setzen Zinn das eindrucksvoll um, legen den Finger in die Wunde und wissen mit ihrem speziellen Zugang, neue Facetten zu offenbaren. Alles hängt eben mit allem zusammen, wie Kaufmann betonte. „Diese Verschränktheit ist ein wichtiger Aspekt für mich. Du kannst das eine nicht ohne das andere denken. Oft schaut man die Sachen destilliert an. Das kann natürlich wichtig sein, geht teils aber an der Realität vorbei. Ganz so, als würde man behaupten, das Patriarchat habe nichts mit dem Klimawandel zu tun.“

Zinn hat in den kommenden Wochen jedenfalls genug zu tun. Neben den Konzerten zum neuen Album (Releaseshow ist am 28. März im Wiener Flucc), ist das Trio auch für die Livemusik der Uraufführung „So forsch, so furchtlos“ im Theater Drachengasse verantwortlich. Das Stück nach dem Roman von Andrea Abreu inszeniert Regisseurin Valerie Voigt und feiert am 26. Februar Premiere. Wagenhofer habe sich darin „sehr wiederentdeckt“ und fühlte sich aufgrund des Settings an ihrer Salzburger Heimat erinnert. „Es spielt mit dem extrem Poetischen und extrem Derben, das geht sich aber gut aus“, sagte Kaufmann. „Und: Wir dürfen Hexen spielen! Ich meine, bitteschön“, ergänzte sie lachend.

Live-Termine
Zinn sind mit ihrem neuen Album auch fleißig in Österreich unterwegs. Am 28. März spielen sie im Wiener Flucc, am 4. April im Hildegard in Kirchdorf an der Krems, am 5. April im Kino Ebensee, am 6. April im Röda in Steyr und am 22. Juni beim Sterrn Festival in Premstätten bei Graz.

APA/Christoph Griessner

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