Live in der Simm City

Matthias Strolz lud zur Elektro-Lebensberatung

Musik
01.12.2023 00:37

Nachdem die restlichen Tourtermine mangels ausreichendem Kartenverkauf abgesagt werden mussten, feierten Matthias Strolz und Kurt Razelli Donnerstagabend in einer sehr gut gefüllten Wiener Simm City ihr zweites Album „Back To Earth“. Ein Abend, der mit einem Konzerterlebnis an sich wenig gemein hatte und ein bisschen wie ein bunter Fiebertraum wirkte.

(Bild: kmm)

Es gibt Menschen mit viel Energie und dann wieder welche, die eine ganze Wagenladung Hummeln im Hintern haben. Ex-Politiker, Unternehmer, Lebensratgeber und Musiker Matthias Strolz ist so einer, dessen mediale Omnipräsenz sich aus einer Vielzahl unterschiedlicher Projekte und Eigen-PR-Maßnahmen zusammensetzt. Unlängst liebäugelte der einstige NEOS-Parteichef mit einem Comeback auf dem politischen Parkett, vor einem Jahr erschien sein Buch „Gespräche mit einem Baum“ und parallel arbeitete er mit dem hierzulande erfolgreichen und beliebten Elektro-Politansprachen-Verdreher Kurt Razelli an einem neuen Album. Mit dem Debüt „Lost In Space“ konzertierten die beiden vor fünf Jahren im Wiener Flex, zum neuen Werk „Back To Earth“ war eine Österreich-Tour geplant. Mangels Kartenverkäufe blieben schlussendlich nur Innsbruck und die Wiener Simm City übrig, die an diesem regnerisch-kalten Donnerstagabend aber sehr gut gefüllt ist.

Kein gewöhnliches Konzert
Dies allerdings auch durch eine üppige Gästeliste. Unter anderem waren Philipp Hochmair, Paulus Manker, Erich Fenninger und Niko Alm zugegen. Eine Anwesenheitsliste, so bunt wie das Leben des Hauptprotagonisten. Für seine konzeptionelle Mär von der Rückkehr auf die Erde wählt Strolz mit Razelli ein ganz spezielles Outfit. Schwarze Ganzkörperanzüge, leuchtend graue Sneakers und Helme in bester Daft-Punk-Manier, auf denen bunte Herzen ins Publikum erstrahlen. Das Bühnendesign besteht aus fünf kreisrunden Planeten mit Videoeffekten und einem Keyboard-Turm für Razelli. Strolz präsentiert einen Koffer mit diversen Utensilien, die er im Verlauf des Abends zur schauspielerischen Inhaltsverstärkung einsetzen wird. Dass die Kombination aus den beiden sehr unterschiedlichen Charakteren kein gewöhnliches Konzert zeitigen wird, ist schon nach dem langen Intro klar.

„Ich kann Bühne, aber das ist hier ist auch für mich schwer“, stellt der euphorisierte Strolz früh im Set fest, „es ist wie eine Mischung aus Erstkommunion, Hochzeitsansprache und der ersten Rede im Parlament.“ Früh gibt er zu bedenken, dass er eigentlich gar nicht singen kann und das auch nicht vorhätte. Tatsächlich kommt ein Gros der Stimme während des Sets vom Band, Strolz lauscht auf einem schwarzen Ledersessel gerne andächtig sich selbst, nur um kurz darauf wie ein Derwisch über die Bühne zu fegen, um seine Botschaften in den Songs gestikulierend zu verstärken. Während Razelli nach drei Liedern zum klassischen Outfit (Schwarzenegger-Maske und Jogginghose) wechselt, nützt Strolz die Bühne als Umkleidekabine. Er trägt eine Guy-Fawkes-Maske zu „Brothers Of Regression“, lässt beim umstrittenen und martialischen „Ich muss siegen“ zwei Generäle aufmarschieren oder wechselt bei „Hotti Lottie At The Pool“ zwischen blonder Perücke und prolligem Outfit Marke „toxische Männlichkeit“.

Liebe und Krieg
Während Razelli im Hintergrund an Beats und Melodiebögen schraubt, nützt Strolz die Bühne für seine wahre Stärke: das Storytelling. Er erzählt von der Sprachlosigkeit, die der russische Angriffskrieg bei ihm auslöste. Von seinem lebensverändernden und hauptsächlich das Album inspirierendem Time-Out in Indien, von der gewaltfreien Wehrhaftigkeit des Mahatma Gandhi und wie just am Veröffentlichungstag des Albums der beiden die Hamas zum bestialischen Mordangriff bliesen. Immer wieder propagiert er den Weg zur Liebe. Einen Abend, der das „Abenteuer Menschsein“ feiern und ins Zentrum stellen soll, doch die harsche Realität im Mikro- und Makrokosmos seines Daseins grätscht immer wieder dazwischen und lässt die Botschaft von Gemeinschaft und Zusammenhalt eine Zeit lang nach hinten rücken.

Bei den vielen markigen Erzählungen werden die Songs oft zum Beiwerk degradiert, Razelli ist die meiste Zeit über arbeitslos und animiert die Fans anonymisiert mit Gesten. Strolz geht in seiner Profession als Lebensberater auf und erzählt, wie er seinen Frust während einer depressiven Phase in der indischen Mango Tree Bar mit Bier runterspülte und Razelli an besagtem Abend eine Sprachnachricht schickte. Der Mashup-Profi übernahm eins zu eins und wob einen industriellen Soundteppich dazu. Gerade diese fühlbare Distanz zwischen beiden macht das Projekt auch im Livekontext spannend. Natürlich agieren sie auf der Bühne möglichst gemeinschaftlich, aber es lässt sich nicht verhehlen, dass es den nötigen Abstand und das gegenseitige Vertrauen in die jeweiligen Stärken braucht, um dieses Projekt nach einer mehrjährigen Flaute wieder so auf die Bahn bringen zu können.

Politiker mit Einhorn
Das Kostümbrimborium, die gesellschaftspolitischen Erzählkapitel und das mit wilden Lichteffekten verstärkte Bühnentreiben können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Spaß an der Sache nicht gleichzeitig hohe Qualität bedeutet. Der Persönlichkeit von Strolz zum Trotz wären mehr Musik und dichtere Intervalle zwischen den Songs angebracht gewesen, auch das ständige Abspielen von Sprechgesang und Klängen vom Band sind live verbesserungswürdig. Als humoriges und sozialkritisches Mischkulturelement ist ein solcher Abend jedenfalls passend und der Start zu einer großen Stadthallen-Karriere war sowieso nie im Businessplan der beiden konträren Charaktere. Losgelöst von derartigen Ansprüchen war das Stelldichein von Strolz und Razelli vor allem ungezwungen und locker. Und wann sonst sieht man schon Wiens Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr im Publikum ein Plüsch-Einhorn herumwerfen?

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