Welle der Empörung

Günter Grass rechnet in Gedicht mit Israel ab

Ausland
04.04.2012 17:08
Mit heftiger Kritik an Israels Atompolitik hat sich der deutsche Literaturnobelpreisträger Günter Grass öffentlich zu Wort gemeldet und damit eine Welle der Empörung in seiner Heimat und auch in Israel ausgelöst. "Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden", schrieb der Schriftsteller in dem Prosagedicht "Was gesagt werden muss" (siehe Infobox).

Der Text des Nobelpreisträgers erschein am Mittwoch in der "Süddeutschen Zeitung" (Bild) und anderen internationalen Blättern. Grass fragt sich darin, warum er es sich bisher untersagt habe, "jenes andere Land" beim Namen zu nennen, in dem seit Jahren - wenn auch geheim gehalten - ein wachsend nukleares Potential verfügbar, aber wegen fehlender Prüfung außer Kontrolle sei.

Er sei der "Heuchelei des Westens" überdrüssig und hoffe, dass sich viele von dem Schweigen befreien. In seinem Prosagedicht kritisiert der 84-Jährige auch die geplante Lieferung eines weiteren U-Boots "aus meinem Land" nach Israel. Gleichzeitig bekundet er seine Verbundenheit zum jüdischen Staat.

Publizist: "Anschlag auf Israels Existenz"
Politiker, jüdische Organisationen und Intellektuelle reagierten empört auf das Gedicht und warfen Grass vor, die Verhältnisse auf den Kopf zu stellen. Nicht Israel, sondern das iranische Mullah-Regime bedrohe den Weltfrieden. Der Zentralrat der Juden in Deutschland nannte den Text "ein aggressives Pamphlet der Agitation".

Der Publizist Ralph Giordano nannte das Gedicht einen "Anschlag auf Israels Existenz". Sein Kollege Henryk M. Broder bezeichnete Grass als den "Prototypen des gepflegten Antisemiten". Israels Botschaft in Deutschland stellte das Gedicht gar in eine Linie mit antisemitischen Ritualen, wie sie bis weit ins 19. Jahrhundert kurz vor dem Pessach-Fest inszeniert wurden.

Deutsche Politiker irritiert und entsetzt
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles empfinde das Gedicht angesichts der Lage im Nahen Osten als "irritierend und unangemessen". Auch CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe äußerte sich über Tonlage und Ausrichtung des Gedichts entsetzt. Die Linke hingegen stellte sich hinter den Schriftsteller. Grass habe den Mut auszusprechen, was weithin verschwiegen worden sei, erklärte Linken-Vorstandsmitglied Wolfgang Gehrcke.

Die deutsche Regierung äußerte sich hingegen zurückhaltend zu dem Text. "Es gilt in Deutschland die Freiheit der Kunst", erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert. "Und es gibt glücklicherweise auch die Freiheit der Bundesregierung, sich nicht zu jeder künstlerischen Hervorbringung äußern zu müssen."

SS-Zugehörigkeit jahrzehntelang verschwiegen
Im Spiel ist bei der Aufregung um das Gedicht auch Grass' Vergangenheit. Jahrzehntelang hatte er der Öffentlichkeit vorenthalten, dass er kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs als 17-Jähriger in die Waffen-SS einberufen worden war. Erst 2006 offenbarte er sich in seinen Memoiren "Beim Häuten der Zwiebel". Seine moralische Autorität nahm damit schweren Schaden.

Den Streit hatte der Schriftsteller immer wieder gesucht. Wie viele Intellektuelle seiner Generation hat er sich zu großen Themen geäußert: Wiederbewaffnung, Atompolitik, die deutsche Einheit. In seinen Werken, von der "Blechtrommel" bis zu seinen Erinnerungen, schrieb er über deutsche Schuld und gegen das Vergessen.

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