„End Of World“

Ikone Johnny Rotten hat mit PiL Zügel losgelassen

Musik
11.08.2023 09:00

Im April hat John Lydon alias Johnny Rotten den Tod seiner Frau betrauert. Nun erscheint ein neues Album seiner Band PiL. „Verwende bloß nicht dieses schreckliche Wort Katharsis!“, warnt der Ex-Sex-Pistols-Sänger im APA-Interview. „Ich hasse es! Da stecken zu viele arses (dt. Ärsche) drinnen!“ Mit der LP „End Of World“ ist der ewige Rebell jedenfalls zufrieden: „Die Freude, dass PiL seit längerem aus gleichen Musikern besteht, hat geholfen. Die Zügel sind losgelassen!“

(Bild: kmm)

Es ist das erste neue Studiowerk der Gruppe seit acht Jahren. Gearbeitet wurde daran mit Unterbrechungen: „Da war dieser lächerliche Gerichtsfall, der uns etwas aufgehalten hat“, spielt Lydon auf den Streit mit seinen früheren Mitstreitern bei den Sex Pistols um die TV-Serie „Pistols“ an. „Dann folgte der Covid-Nonsens. Davor, als wir mit den ersten Aufnahmen begonnen hatten, erkrankte meine Frau Nora. Das hat meine volle Aufmerksamkeit erfordert. Der Mensch geht dem Produkt vor. Jeder hat das verstanden.“

Ewige Liebe
Nora, 40 Jahre an der Seite der britischen Punk-Ikone, litt an Alzheimer. Für sie schrieb Lydon den für PiL ungewöhnlich sanften Song „Hawaii“, Schlusspunkt des Albums. „Sich rund um die Uhr um meine Liebe zu kümmern, war keine Belastung, sondern eine Freude“, betont der in Amerika lebende Rotten beim Gespräch via Zoom. „Das war bloß ein weiterer Teil unserer Beziehung. Ich habe Nora wirklich sehr geliebt, sie war nett, lustig und geistreich bis zum Ende.“

Covid habe die Produktion mehrere Jahre zurückgeworfen, erzählt der Musiker. „Aber was soll‘s, wir sind PiL, keine alberne Popband, die alle drei Wochen eine Hitsingle benötigt. Wir arbeiten nach dem Rhythmus, den uns das Leben vorgibt. Wir müssen nichts übereilen, haben keine Deadline. Keine große Plattenfirma diktiert uns. Diese Freude und diese Freiheit habe ich mein ganzes Leben lang gesucht. Ich arbeite jetzt mit echten Freunden, die mich mögen - hoffe ich. Man weiß nie“, lacht Rotten schallend.

Endlich Stabilität
Mit Lydon, Lu Edmonds (Gitarre), Scott Firth (Bass) und Bruce Smith (Drums) ist es die stabilste Besetzung von PiL bisher, drei Alben hat man seit 2009 zusammen eingespielt. „Wir treiben uns gegenseitig ständig an extreme Grenzen“, schwärmt der Sänger. „Das ist eine großartige Erfahrung für PiL. Und ich bin erst 67 Jahre jung, wer weiß, was die Zukunft für mich bereithält.“

„End Of World“ erscheint auf dem bandeigenen Label. Damit seien Auseinandersetzungen mit Plattenfirmen passé: „Wir stehen nur noch uns selbst in der Verantwortung“, so Rotten. Den größten PiL-Hit in Österreich etwa, „This Is Not A Love Song“ von 1983, wollte Virgin seinerzeit zurückhalten: „Sie mochten ihn überhaupt nicht“, sagt Rotten und verzieht das Gesicht zu einer Grimasse. Große Labels nennt er heute nur noch „Tod durch das Komitee“: „Sie veranstalten diese Vorstandssitzungen, an deren Teilnahme man nicht privilegiert genug ist. Sie bestimmen in diesem Komitee, was Künstler zu tun haben.“

Einzigartige Musik-Melange
„End Of World“ bietet typische aggressive Rotten-Stücke, aber auch düstere Tracks. Rock, Dance, Folk, Pop und Dub führen PiL zu einer einzigartigen Melange zusammen. Der Song „North West Passage“ klingt sogar nach Industrial Metal. „Ich mag die Kraft dieser Art von Musik, aber ich halte das Gegröle der Sänger nicht aus“, grinst Rotten. „Lu spielt darauf einen wunderbaren Gitarrenpart aus einer anderen Welt. Wir versuchen immer noch herauszufinden, was er da getan hat.“

Zu „Car Chase“und „Being Stupid Again“ lässt sich gut tanzen, auch wenn Rotten meint, man brauche dazu drei Beine. Letzteres Lied handelt davon, dass man „den Spaß an der Debatte verloren“ habe. „Es ist lächerlich geworden. Man wird missinterpretiert, Sätze werden aus ihrem Kontext gerissen. Ich habe immer die Debatte gesucht, das begann schon mit den Sex Pistols: Wenn du eine andere Ansicht hast, sei willkommen, belehre mich - aber du kannst durchaus falsch liegen. In der modernen Welt gibt es diesen Zugang nicht.“

Das Leben als Schachspiel
Wild wirkt die Geschichte hinter dem Opener „Penge“, der an ein Seemannslied erinnert. „Es geht um einen Wikingerüberfall. Mit dem Wissen, dass jeder massakriert wird, entscheiden sich die Angegriffenen, dass ein Priester die Kinder zu einem nahen sicheren Hafen bringen soll. Na ja, der Priester entpuppte sich als unanständig“, verdreht Rotten die Augen und zieht an seiner Zigarette. „Nur ich kann wohl so einen Song schreiben! Im Endeffekt handelt das Lied von Entscheidung: Triff die richtige Entscheidung, wenn du mit Gefahr konfrontiert bist. Bedenke deine Schritte. Leben ist wie Schach!“

Zum Abschluss des Termins fallen ein paar Worte über seine Ex-Mitstreiter bei den Sex Pistols, die im Song „L F C F“ Rotten-mäßig beflegelt werden: „Dass sie den Disney-Konzern benutzen, um mich vor Gericht zu bringen, zeigt bloß, wie falsch sie geworden sind.“ Und schließlich verrät Lydon ein kleines Geheimnis: „Es gibt eine Art von Musik, mit der ich nie auf den grünen Zweig gekommen bin: traditioneller Jazz aus New Orleans. Das klingt für mich nach einem Verkehrsstau in Paris.“

APA/Wolfgang Hauptmann

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