Live in der Stadthalle

Michael Bublé: Gentleman mit Wiener Urinal-Fetisch

Musik
07.02.2023 23:50

Dienstagabend gab es für rund 8000 Anwesende Platz für große Gefühle, galantes Entertainment und viel Humor, der auch mal unter die Gürtellinie geht. Kanadas Chef-Crooner Michael Bublé machte der Wiener Stadthalle seine Aufwartung und konnte den monströsen Eintrittspreisen qualitativ gerecht werden.

(Bild: kmm)

Galant im Auftreten, rustikal im Schmäh. So kann man das Wirken des kanadischen Top-Entertainers Michael Bublé auf der Bühne am besten zusammenfassen. Der 47-Jährige wählt für sein erstes Wien-Konzert nach dreieinhalb Jahren ein Urinal als narrative Klammer. Schon nach dem zweiten Song „Haven’t Met You Yet“ steigt er vom Bühnensteg, um mit seinen Anhängern auf Tuchfühlung zu gehen. Die Umarmung mit einem großgewachsenen Fan löst in Bublé sofort einen Napoleon-Komplex aus. Er fühlt sich viel zu klein im „Land der Riesen“ Österreich und erzählt launig, dass ihm das Hotel-Pissoir nach dem mittäglichen Restaurantbesuch bis zur Brust ging, was ein normales Blasenentleeren verunmöglichte. Nur durch die Liebe und Zuneigung seiner Fans kann er schrittweise wachsen, um sich auch einmal richtig groß zu fühlen - wie es eben die Österreicher seiner Meinung nach sind.

Durch die Hölle gegangen
Wie keinem Zweiten gelingt es dem Crooner mit beneidenswerter Lockerheit, gürteltiefen Klamauk mit gesanglicher Qualität und passend eingestreuter Melancholie zu vermischen. Wo Robbie Williams in seinen Swing-Shows den britischen Midlands-Proleten nicht verleugnen kann, gelingt Bublé zur rechten Zeit der Schwung zur feinen Klinge, wodurch er seine spitzbübische Art niemals rechtfertigen muss. Zwei Jahre Pandemie kosteten ihm nur ein Lächeln, schließlich galt es zuvor im Familienkreis einen tückischen Leberkrebs bei seinem Sohn zu überstehen. „Ich ging durch die Hölle“, diktierte er vor knapp fünf Jahren auch der „Krone“ im Gespräch, doch die Pforten zum Fegefeuer haben sich geschlossen, der Bub ist gesund und Bublé erkannte den Wert von Liebe und Familie danach so richtig.

Dass sein aktuelles Album „Higher“, rein kommerziell bei weitem nicht so erfolgreich wie die meisten Vorgänger, erst vor zwei Tagen den Grammy für das „Best Traditional Pop Vocal Album“ bekam, merkt er in einer ruhigen Minute stolz an, aber trotz all der fröhlichen Party-Hits und der guten Laune ist es vor allem eine Form von Erleichterung und innerer Ruhe, die er nach den tragischen Privatereignissen ausstrahlt. Rund 8000 Fans ließen sich von den - zugegeben - astronomischen Preisen in Wien nicht abschrecken und bereiten ihrem Helden in der bestuhlten Stadthalle einen warmen Empfang. Der lässt sich nicht lumpen und exerziert eine beneidenswerte Hit-Revue zwischen Eigenkompositionen („Home“, „Everything“, „Hold On“) und Klassikern aus dem großen Songbuch der alten Tage („Feeling Good“, „L-O-V-E“, „To Love Somebody“).

Zwischen Exposition und Einkehr
Ganz in schwarz gewandet und mit glänzenden Lackschuhen behuft, tänzelt er locker über die Bühne, wischt sich ein ums andere Mal den tropfenden Schweiß vom Gesicht und wünscht sich augenzwinkernd eine Klimaanlage, für die er auch gerne einen Teil der stattlichen Eintrittsgelder seines Konzerts abgeben möchte. Bublé blieb auch in seinen erfolgreichsten Jahren bodenständig und zugänglich. Immer wieder scherzt er mit den Zusehern, umarmt sie, reicht ihnen die Hände, küsst sie auf die Wange oder setzt sich einfach singend an die Balustrade, um seinen Fans näherzukommen. Sehr lockere Momente, wie die Selbstironie bei der Betrachtung, er wäre nicht der „Christmas Boy“ für den ihn alle immer halten oder die klare Ansage, man würde keinem Konzert, sondern vielmehr einer Party oder Fiesta beiwohnen, folgen Momente der inneren Einkehr und familiären Reflektion.

Vor dem ergreifendsten Moment des Abends, einer nur von einem Piano begleiteten Version des Charlie-Chaplin-Klassikers „Smile“, erinnert sich der Star an seinen Großvater, der sein Geld als Klempner verdiente und den Junior im frühen Teenager-Alter in die Bars mitnahm, wo er vom Musikvirus infiziert wurde. Er denkt daran, wie ihn Priscilla Presley fragte, ob er ein posthumes Duett mit dem „King“ zu „Fever“ singen würde, das natürlich zum Welterfolg wurde und er berichtet stolz davon, wie sein Sohn beim Haarewaschen die Grundmelodie der Single „Higher“ anstimmte und den Herrn Papa damit zur weiteren Ausarbeitung inspirierte. Doch kurz bevor es im ganzen Saal zu Tränen kommt, kratzt er wieder rechtzeitig die Kurve und bedankt sich für das Glück des Lebens, seine große Leidenschaft zum Beruf gemacht zu haben und bläst zum Angriff.

Abzüge in der B-Note
Musikalisch lebt die Show durch ihre fantastische Bläser-Sektion und so manch markantem Trompeten-Solo. Die zart eingefügten Streicher hat sich Bublé für sein Stelldichein direkt aus Wien ausgeborgt, doch das gesamte Ensemble harmoniert wunderbar miteinander. Aber gerade bei den neueren Songs fehlt es doch an Durchschlagskraft. Seine unbändige Freude darüber, den Song „I’ll Never Not Love You“ endlich live spielen zu können, bleibt ziemlich einseitig. Der Sound knarzt in der Stadthalle zumindest in den vorderen Reihen und klingt oft allzu breiig. Die knappe bemessene Spielzeit von rund 105 Minuten ist für die gehobene Preisklasse wohl auch Mindestleistung, aber dem Charme und stimmlichen Qualitäten des sympathischen Kanadiers kann man sich trotz der Schwächen in der B-Note nicht entziehen.

Da verzeiht man ihm auch seine etwas cringe TikTok-Sucht. Spätes Highlight: eine fidele Burgenländerin lässt sich den Arm für eine spätere Tätowierung unterschreiben - direkt neben der Signatur von OneRepublics Ryan Tedder, den sie sich wohl zuletzt geschnappt hat. Liebe geht manchmal eben tief unter die Haut und auch diese Form der Zuneigung und Ehrerbietung passt perfekt zum breit angelegten Familienkosmos des Michael Bublé. Seine neuen Songs mögen nicht mehr die Durchschlagskraft und Ohrwurmtauglichkeit von früher besitzen, doch mit seiner Lebensgeschichte, seinem Humor und seiner nicht aufgesetzten Zugänglichkeit gehört er im Livesegment längst zu den Größten. Zum Direktvergleich kommt in einem guten Monat Robbie Williams bei uns vorbei.

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