Prozess geht weiter

Fall Leonie: Vierter Verdächtiger im Zeugenstand

Gericht
30.09.2022 11:05

Im Prozess um die getötete 13-jährige Leonie werden am vierten Tag die ersten Zeugen geladen. Neben der Ersthelferin und Leonies bester Freundin muss auch der ursprünglich verdächtigte vierte Afghane im Zeugenstand Platz nehmen.

Schon während sie versuchte, das Mädchen zu reanimieren, sei der Ersthelferin klar gewesen, dass sie Leonie nicht mehr retten kann. Die Frau war gerade unterwegs zur Arbeit - sie ist Pflegeassistentin -, als sie zwei Männer und ein Mädchen sah. Die 13-Jährige war gegen einen Baum gelehnt. Sie kam zur Hilfe und der Drittangeklagte hielt ihr das Handy entgegen. Er hätte bereits die Rettung verständigt. Danach waren plötzlich beide weg.

„Das heißt, Sie hatten bereits bei der Herzdruckmassage den Eindruck, dass das Mädchen tot ist und nur noch sicherheitshalber reanimiert?“, fragt Verteidiger Thomas Nirk. „Ja, ich bin ja kein Arzt“, sagt die Pflegeassistentin, die aber sehr wohl in Erster Hilfe ausgebildet ist.

Ursprünglich vierter Verdächtiger als Drogendealer
Der zweite Zeuge soll mehr Einblick in die Geschehnisse jener Nacht geben: Der vorgeführte Afghane, er sitzt wegen Drogenhandels für drei Jahre in Strafhaft, wurde anfangs als vierter Verdächtiger geführt. „Die Ermittlungen haben ergeben, dass ich nichts mit dem Mädchen zu tun hatte und dass mein einziges Problem Drogen sind.“ Und genau mit diesen soll er gedealt haben. Er hat dem Erstangeklagten jene Tabletten verkauft, durch die Leonie gestorben ist - und zwar 200 Stück davon!

Zitronensaft als Mittel gegen Überdosis
Er selber konsumiert diverse Suchtmittel, gibt er vor Gericht an. Deswegen soll ihn der Erstangeklagte angerufen haben, als es Leonie schon sehr schlecht ging. Sein Rat: frisch gepresster Zitronensaft. „Ich hab gehört, dass das gegen Alkohol helfen soll. Ich dachte mir auch bei Drogen.“ Vor der Polizei gab der Afghane an, dass der Erstangeklagte ihm gesagt hätte, dass Leonie sechs Ecstasy-Tabletten intus hätte und ihr Herz nicht mehr schlug. 

Weitere Zeugenbefragungen beantragt
Der Viertangeklagte gab weiter an: „Als er mir sagte, dass er dem Mädchen so viele Tabletten gegeben hatte, war mir klar, dass das zu viel ist.“ Vor Richterin Anna Marchart erklärte er aber: „Das habe ich bei der Polizei nicht gesagt.“ Er will außerdem über die Geschehnisse in der Tatnacht nichts gewusst haben - nur, dass Leonie betrunken war. Das polizeiliche Protokoll seiner Vernehmung hat er aber offiziell unterschrieben! Die Staatsanwaltschaft und die Privatbeteiligtenvertreter beantragen deswegen die Ladung der Beamten und der Dolmetscherin.

Altersgutachten gibt Aufschluss
Am vierten Prozesstag kommt auch der letzte Gutachter zu Wort: Er hat sich mit der Altersbestimmung des Drittangeklagten - Leonies angeblichem Freund - auseinandergesetzt. Im Ermittlungsverfahren stand lange im Raum, ob er in der Todesnacht über 18 Jahre alt war oder jünger. Das ist wichtig für die Strafbemessung.

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Er kann nicht jünger gewesen sein als 18,95 Jahre zum Tatzeitpunkt. Wie viel drüber, kann ich nicht sagen …

Sachverständige Ernst Rudolf

War erwachsen zu Tatzeitpunkt
Der Altersgutachter Ernst Rudolf bestätigt vor Gericht: „Er kann nicht jünger gewesen sein als 18,95 Jahre zum Tatzeitpunkt. Wie viel darüber kann ich nicht sagen.“ Das Alter habe der Sachverständige durch Röntgen der Hand, des Schlüsselbeins und der Zähne feststellen können.

„Geburtsurkunde“ aus Afghanistan ungültig
Anwalt Andreas Schweitzer legte in der Verhandlung ein Dokument aus der Heimat seines Mandanten vor. Das soll die „Geburtsurkunde“ des Drittangeklagten sein. Demnach war er zum Tatzeitpunkt erst 16 Jahre alt. Dazu sagt der Sachverständige: „Es gibt zahlreiche Gerichtsurteile dazu. Ein derartiges Dokument kann in Afghanistan jederzeit bestellt werden. Es kann ausgestellt werden, wie man möchte. Dort gibt es kein Meldesystem, wie bei uns. Das, was gesagt wird, wird auch hineingeschrieben.“ Das Dokument habe also keine Aussagekraft.

Nach der Klärung des Alters meldet sich auch der - jetzt bestätigt - 20-Jährige zu Wort. Er fragt: „Sind Sie sich ganz sicher? Meine Mutter weiß besser, wann ich geboren bin!“ Die Altersbestimmung steht mit dem Gutachten aber fest.

Freunde von Leonie kommen zu Wort
„Leonie hat viele Freunde ausländischer Natur“, sagte ein weiterer junger Mann, der sie am Abend vor ihrem Tod von Tulln zum Donaukanal gebracht hat, gegenüber der Polizei aus. „Es war geplant, dass wir zusammen feiern und, dass ich sie wieder mit nach Hause nehme“, gab der 27-Jährige zu Protokoll. Das sei aber nicht gelaufen, wie ausgemacht. Leonie sei mit einer Gruppe Afghanen verschwunden. Ob es die Angeklagten im Wiener Landesgericht waren, konnte der 27-jährige Zeuge vor Gericht nicht mehr sagen. Leonie habe ihm aber versprochen, dass sie in 20 Minuten zurück sei. „Ich war angefressen, weil sie mich einfach stehen gelassen hat“, erinnert er sich. Mitten in der Nacht, ungefähr um zwei Uhr, kam dann ein Anruf: „Ich habe mit ihr telefoniert. Da ging es ihr noch gut.“

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Eigentlich hat mir Leonie alles erzählt. Anscheinend aber nicht.

Beste Freundin von Leonie

Beste Freundin verneint Beziehung
Die beste Freundin von Leonie wird an diesem Prozesstag als letzte Zeugin befragt - in Abwesenheit der Angeklagten. „Eigentlich hat mir Leonie alles erzählt. Anscheinend aber nicht.“ Denn über den Kontakt mit dem Drittangeklagten weiß die 17-Jährige nicht viel. Sie war bei zwei Treffen dabei und hatte dabei immer ein komisches Gefühl. Einmal soll der 20-Jährige den beiden Mädchen Tabletten angeboten haben, die Leonie genommen haben soll. „Können sie sich vorstellen, dass sie mit ihm zusammen war?“, fragt Richterin Anna Marchart. „Nein. Sie hat gesagt, dass sie ihn nicht mag.“ Der junge Mann selbst gab mehrmals an, er wäre mit Leonie in einer Beziehung gewesen.

Nächste Woche wird der Prozess mit weiteren Zeugenbefragungen fortgesetzt. Ein Urteil wird am 6. Oktober erwartet.

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