Gefängnis für „Opfer“?

„Alles erfunden“: Halbes Jahr unschuldig in U-Haft

Gericht
02.05.2025 14:00

Monatelang waren die Polizei und die Staatsanwaltschaft mit dem Fall beschäftigt. Zwei junge Tschetschenen saßen derweil in Untersuchungshaft – denn die Vorwürfe haben sich gewaschen. Nur, damit das Opfer nun im Wiener Landl sagt: „Das stimmt alles gar nicht.“

Mit Handschellen und begleitet von fünf Justizwachbeamten werden zwei jungte Männer zum Verhandlungssaal 101 gebracht. Hört man den Anklagevortrag der Staatsanwaltschaft, könnte man das durchaus als angebracht empfinden. Der 30- und der 23-Jährige sollen einen Geschäftsmann am 13. September 2024 in seinem Büro in Wiener Neustadt (NÖ) überfallen haben. Einer hätte dem Opfer eine Pistole in den Mund gesteckt, der andere ein Messer an den Hals gehalten. Gefordert hätten sie 150.000 Euro.

Opfer in die Wiener Lobau verschleppt
Im Büro habe der 39-Jährige aber kein Bargeld oder Wertgegenstände gehabt. „Um doch noch etwas zu bekommen, haben sie ihn ins Auto gesetzt“, klagt der Staatsanwalt auch Freiheitsentziehung an. Nach einigen Stunden und einem Abstecher in die Wiener Lobau, wo sie gedroht hätten, das Opfer umzubringen, hätten sie es schließlich gehen lassen.

„Erstunken und erlogen“
Das Motiv: Der Türke hätte Schulden beim verstorbenen Vater der jungen Männer gehabt – die beiden machten Geschäfte zusammen. Das bestätigen auch die angeklagten Brüder. Mehr aber auch nicht. Sie hätten nie Probleme mit dem Opfer gehabt und auch an einer Entführung oder Erpressung seien sie nicht beteiligt gewesen. Fotos und Videos vom Tattag belegen das. Verteidiger Nikolaus Rast hat eine Theorie: „Wahrscheinlich dachte das Opfer, denen schulde ich 150.000 Euro und das will ich nicht zurückzahlen, also bring’ ich sie ins Gefängnis. Es ist erstunken und erlogen, was dieser Mensch gesagt hat.“

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Ich hab‘ mit den zwei Personen keine Probleme. Es tut mir leid, aber das stimmt alles nicht. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt so einen Stress mit meinem Chef.

Der eigentliche Belastungszeuge im Wiener Landl

Und damit liegt er gar nicht so falsch: Als Zeuge betritt der 39-Jährige den Verhandlungssaal, wird belehrt, dass er nicht lügen darf. Sein erster Satz: „Ich hab‘ mit den zwei Personen keine Probleme. Es tut mir leid, aber das stimmt alles nicht. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt so einen Stress mit meinem Chef.“ Dabei ginge es um einen Firmenwagen. „Das haben Sie alles erfunden?“, fragt der Richter fassungslos. Als der Zeuge das bejaht, bricht der 30-Jährige auf der Anklagebank in Tränen aus.

„Opfer“ drohen bis zu fünf Jahre Haft
Immerhin sitzen die jungen Männer seit sechs Monaten in Untersuchungshaft. Und das unschuldig, wie sich herausstellt. „Wenn die zwei Angeklagten jetzt wegen Ihrer Verleumdung im Gefängnis gesessen sind, dann droht Ihnen ordentlich was“, mahnt der Staatsanwalt den Türken. Um genauer zu sein, bis zu fünf Jahre Haft. Mit den Worten „Es tut mir leid für den Aufwand“ verlässt er wieder den Gerichtssaal.

Anwalt Nikolaus Rast hofft nun auf das Ergebnis eines DNA-Tests.
Anwalt Nikolaus Rast hofft nun auf das Ergebnis eines DNA-Tests.(Bild: Klemens Groh)

Der restliche Prozess geht damit schnell über die Bühne. Sogar der Ankläger sagt am Ende: „Es wird meiner Meinung nach kein Schuldspruch erfolgen.“ Und so ist es. Nach einer Schöffenberatung in Rekordzeit – es dauert keine zwei Minuten – ergeht der nicht rechtskräftige Freispruch für beide Tschetschenen. 

Ehemaliger Verteidiger mit dubiosen Machenschaften
„Das ist ein Ermittlungsverfahren, das ich so in meiner langjährigen Erfahrung noch nie gesehen habe“, merkt der Richter noch an. Denn auch im Vorfeld der Hauptverhandlung trugen sich dubiose Dinge zu: Der ehemalige Verteidiger der Brüder versuchte, als Vertrauensperson mit dem vermeintlichen Opfer zur Polizei zu gehen. Eine Mitarbeiterin des Anwalts nahm heimlich ein Telefonat mit dem 39-Jährigen auf. Er verlor nicht nur das Mandat, sondern es wird nun auch ein Disziplinarverfahren gegen den Wiener Strafverteidiger geben. „Man muss hinterfragen, für wen der Kollege und die Mitarbeiterin tätig waren“, wirft der aktuelle Verteidiger Nikolaus Rast in den Raum – seine Mandanten können jedenfalls nach Hause gehen.

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