Starker Neustart

Smart Hashtag One: Plötzlich erwachsen!

Motor
04.10.2022 01:07

Na das ist mal eine Wandlung! Smart trumpft groß auf, aber die Zeiten der legendären Zweisitzerkugel sind vorbei. Stattdessen gelingt der Neustart in deutsch-chinesischer Coproduktion mit einem blitzsauberen Elektro-SUVchen, dessen Radstand länger ist als der komplette Ur-Smart. Sein Name: #1, ausgesprochen: Hashtag One.

(Bild: kmm)

Das Smart-Elternpaar besteht aus Mercedes-Benz und dem chinesischen Geely-Konzern, die sich zu einem Joint Venture zusammengeschlossen haben. Das Design stammt aus Stuttgart, die Technik im Wesentlichen aus China.

Seit der Weltpremiere des Concept Cars vor einem Jahr auf der IAA in München wurde das Projekt von vielen Branchenvertretern belächelt. „Wer braucht denn noch ein x-beliebiges Kompakt-SUV?“ war oft zu hören. Zumal aus China. Doch nach dem ersten Tag am Steuer des poppigen Flitzers ist klar: Da müssen sich einige Konkurrenten warm anziehen, vom VW ID.3 bis zum Renault Megane E-Tech.

Auffällig wie ein Serienstar
Mit 4,27 Meter Länge, 1,68 Meter Höhe und einem Radstand von 2,75 Meter ist der Smart #1 sehr erwachsen. Allerdings erwachsen auf eine Art wie Jimmy McGill aus „Breaking Bad“ und „Better Call Saul“ mit seinen tadellos geschnittenen, aber sehr bunten Anzügen.

Wahrscheinlich liegt es am Design, dass der Smart #1 kleiner wirkt, als er ist, denn das ist smartig, mit einem Dach wie Lord Helmchen aus Space Balls, optisch auf der C-Säule schwebend und auf Wunsch farblich abgesetzt. Man erkennt auch viel Mercedes, vor allem an Heckleuchten- und Scheinwerferpartie, beide jeweils mit einem Leuchtband verbunden. Ein EQS im Smart-Format gewissermaßen.

Premium-Flair im Innenraum
Viel Mercedes-Schwung auch im aufgeräumten Innenraum mit seiner schalterlosen schwebenden Mittelkonsole, die hinter bündigen Klappen eine Handy-Ladeschale mit zwei USB- und einem 12-Volt-Anschluss sowie zwei Cupholder beherbergt. Unter der Mittelarmlehne befindet sich ein großes, gekühltes Staufach. Unter der Konsole eine Taschenablage, die leider ebenso wenig gummiert oder gepolstert ist wie die Türablagefächer. Harte Gegenstände klappern hier vernehmlich.

Die Materialien wirken zum großen Teil premiummäßig hochwertig, abgesehen von den unteren Bereichen wie etwa in den Türen. Besonderes Lob verdient, dass die Mittelkonsole da, wo das Knie anliegt, ausgeformt und gepolstert ist. Besser geht’s nicht.

(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)

Verspielt und doch informativ
Über allem thront ein mächtiger 12,8-Zoll-Touchscreen mit ein paar im Rahmen platzierten Hardkeys, u.a. für Warnblinkanlage und Fahrmoduswahl. Das sehr querformatige 9,2-Zoll-Tachodisplay ist ins Armaturenbrett integriert. Hat was von Mäusekino, ist aber gerade groß genug. Echte Tasten sitzen am Multifunktionslenkrad. Deren Funktion ist zwar nicht bei jedem Lichteinfall erkennbar, dafür sind sie besser bedienbar als die mittlerweile bei Mercedes üblichen Touchelemente.

Eher hipp statt aufgeräumt ist die Bedienoberfläche am Display gestaltet. Hier hat sich klar die chinesische Seite durchgesetzt, das ist alles etwas wild zusammengestellt und die Darstellung ist etwas blass geraten. Das mag man so im Land der Mitte, hat man mir verraten. Man wird einige Zeit brauchen, um sich an die Menüführung zu gewöhnen. Technisch gesehen ist aber kaum etwas zu bemängeln, so geht Zoomen und Schieben der Navikarte schnell und ruckfrei. Nach dem Start dauerte es allerdings unangenehm lang, bis das System einsatzbereit war. Das mag allerdings am Vorserienstatus der Testwagen liegen, die auch noch nicht über eine Routenplanung mit integrierten Ladestopps verfügten. Bis zum Marktstart soll aber alles tipptopp funktionieren.

(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)

Was tatsächlich fehlt, ist ein Lautstärkeregler, der auch vom Beifahrersitz erreichbar ist. Ich habe nur einen am Lenkrad gefunden.

Richtig viel Platz
Das Platzangebot ist formidabel. Vorne sitzt man sehr entspannt, auch hinten herrschen opulente Platzverhältnisse, auch für groß Gewachsene hinter groß Gewachsenen. Es ist E-Auto-typisch lediglich die Sitzbank etwas kurz und flach ausgefallen, aber Knie-, Kopf- und Fußfreiheit sind vorbildlich. Die Türgriffe sind vorne und hinten so geformt, dass sie an den Beinen nicht für Druckstellen sorgen. Die Rücksitzbank ist geteilt um 13 Zentimeter verschiebbar - serienmäßig.

In den Kofferraum passen je nach Modell 323 oder 313 Liter Gepäck, allerdings ist die Nutzbarkeit etwas eingeschränkt. Der Ladeboden lässt sich zwar herausnehmen, aber nicht auf den unteren Boden drauflegen, sodass man das Gesamtvolumen nicht im Ganzen nutzen kann. Sehr smart (im eigentlichen Wortsinn) ist hingegen der Umklappmechanismus der Rücksitzlehnen. Der wird zwar - wie in der Klasse üblich - durch ein Ziehen an einer Lasche vorn am Sitz entriegelt, aber es ragen zwei weitere Laschen durch die Lehnen in den Kofferraum: Dadurch klappt es auch von hinten aus.

(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)
(Bild: Stephan Schätzl)

Auch unter der Fronthaube (mit Gasdruckdämpfern!) hat der #1 der Konkurrenz etwas voraus: einen 15 Liter großen „Frunk“. Der ist zwar zu klein für das schicke Smart-Ladekabel, ein schmächtigeres dürfte aber hineinpassen. Oder man nutzt zusätzlich vorhandenen Raum, der eigentlich nicht als Stauraum gedacht ist: Man kann das Ladekabel nämlich einfach auf den Frunk-Deckel und die übrige Plastikabdeckung drauflegen und die Haube schließen. Wirklich gut ist die Idee aber nicht, denn die zehn Zentimeter unter der Haube dienen dem Fußgängerschutz. Es bräuchte also einen Mechanismus, der die Haube im Fall eines Aufpralls anhebt - der ist aber nicht vorhanden.

Apropos Ladung: Es ist eine Anhängerkupplung verfügbar, die Anhängelast beträgt starke 1600 kg.

(Bild: Stephan Schätzl)

Sehr starker Antrieb
Der PSM-Motor des Smart #1 sitzt an der Hinterachse und bietet 343 Nm und 200 kW/272 PS. Eine heftige Ansage an die Konkurrenz. Das gilt noch mehr für die maximale Ladeleistung von 150 kW, die eine 10-80%-Ladung in unter einer halben Stunde ermöglicht. An Wechselstrom lädt das Basismodell mit 7,4 kW, die nächste Ausstattungsstufe kann dann schon gleich 22 kW und bringt auch noch eine Wärmepumpe mit.

Die 66 kWh speichernde NCM-Batterie ermöglicht eine WLTP-Reichweite von 440 km (Basismodell: 420 km).

So fährt sich der Smart #1
Einen Startknopf gibt es nicht, Fuß auf der Bremse reicht für die Fahrbereitschaft. Per Lenkstockhebel legt man wie in einem Mercedes die Fahrstufe ein. Der Motor spricht E-typisch sofort an und schiebt nachdrücklich nach vorn. Die Pedalkennlinie lässt sich dreistufig per Fahrmodus anpassen, der auch die verfügbare Motorleistung beeinflusst. Volle Power gibt’s nur auf Sport. Da geht sich der Sprint von 0 auf 100 km/h in dem nach DIN 1,8 Tonnen schweren Kompakt-SUV dann in 6,7 Sekunden aus. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 180 km/h. Mahr, als die Konkurrenz zulässt.

Die Lenkung ist direkt und durchaus gefühlvoll, der Lenkwiderstand lässt sich dreistufig verstellen. Vor allem in der schwersten Stellung wird der Smart #1 zum spaßigen Kurvenräuber. Er liegt gut, ist weder schwammig noch unkomfortabel. Das Heck neigt etwas dazu, leicht zu werden. Und wenn man das ESP im Touchscreen-Menü schärft, bringt man es auch durchaus zum Ausschwenken. Ein Auto für Spaßfahrer.

Auf der Autobahn schwingt er ein bisschen auf langen Bodenwellen. Dafür halten sich die Windgeräusche sehr in Grenzen. Es geht leise zu.

Gespart haben sie bei den Rekuperationsstufen. Es gibt nur zwei, also stark und sehr stark rekuperieren. Kein Segelmodus. Das Wechseln der beiden Modi ist auch nur mühsam über den Touchscreen möglich. Wünschenswert wären mehrere über Lenkradpaddles anwählbare Stufen. Top ist dagegen die Bremse, deren Pedal sich nicht (wie bei Mercedes) zurückzieht, wenn man den Fuß vom Strompedal nimmt. Übrigens: Scheibenbremsen rundum, keine Trommeln.

Topversion mit 428 PS und Allradantrieb
Wer es noch sportlicher will, der kann sich das Topmodell des Smart #1 ansehen: den Brabus. Der hat an der Vorderachse einen weiteren PSM-Motor, der 115 kW leistet. Insgesamt stehen 315 kW/428 PS und 543 Nm sowie Allradantrieb zur Verfügung, der Sprintwert wird mit 3,9 Sekunden angegeben. Das Höchsttempo liegt auch hier bei 180 km/h, die WLTP-Reichweite bei 400 Kilometer.

Dezidiert sportlich ist der Brabus-Smart aber nicht ausgelegt. Zwar gibt es einen zusätzlichen Brabus-Fahrmodus, aber das Fahrwerk entspricht effektiv der schwächeren Version. Es wurde lediglich an der Vorderachse auf das wegen des Extra-Motors höhere Gewicht angepasst.

Ausstattung macht den Smart #1 günstig
Der Einstiegspreis für den Smart #1 beträgt 42.400 Euro. Dafür bekommt man das Modell Pro+ (der Pure wird vorerst nicht angeboten), das schon ziemlich stark ausgestattet ist. So ist bereits das komplette Assistenzpaket samt Autobahnpilot, automatischem Parkassistenten, Parksensoren, scharfer 360-Grad-Kamera mit vielen Einstellungen, sowie Glaspanoramadach, elektrische Heckklappe, 19-Zoll-Felgen, Sitzheizung, adaptives Fernlicht oder Zweizonen-Klimaanlage an Bord.

Das Modell Premium kostet 45.900 Euro und bringt u.a. 22-kW-Ladegerät, Wärmepumpe, Beats-Soundsystem, ein echtes Head-up-Display oder Teilledersitze dabei. Darüber gibt es noch die limitierte Launch Edition (47.200 Euro) sowie den Brabus um 49.900 Euro. Einzelne Ausstattungsdetails abgesehen von Karosserie-/Dachfarben sowie der Anhängerkupplung sind nicht bestellbar.

Ab Dezember kann der Smart #1 bestellt werden, die Markteinführung ist für Mai 2023 vorgesehen.

Fahrzit
Der Smart #1 ist ein sehr gelungenes kompaktes Elektroauto, sehr durchdacht und bis ins Detail hochwertig. Das fertige Serienmodell muss noch zeigen, dass auch die Software den guten Eindruck komplett bestätigen kann. Wem die Optik zusagt, der kann hier absolut zugreifen. Und im Gegensatz zu Jimmy McGill sind hier keine faulen Tricks zu erwarten.

Warum?
Top ausgestattet
Starker Antrieb
Feines Fahrverhalten

Warum nicht?
Die Optik wird polarisieren.

Oder vielleicht …
… VW ID.3, Cupra Born, Renault Megane E-Tech, Hyundai Ioniq 5, Nissan Ariya

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(Bild: kmm)



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