Stadt Land Vorarlberg

„Kunst hilft, Distanz zum eigenen Ego zu schaffen“

Vorarlberg
04.07.2022 07:55

Mirjam Steinbock, Geschäftsführerin der IG Kultur, spricht im Interview über die Umbrüche im Kunst- und Kulturbereich, die Folgen der Pandemie und Rolle der Kultur im Allgemeinen.

„Krone“:Bei der Vorbereitung auf unser Gespräch habe ich mich gefragt: Was sind eigentlich Kunst und Kultur? Darf ich die Frage an Sie weitergeben, Frau Steinbock?
Mirjam Steinbock: Sie dürfen, wobei ich womöglich keine befriedigende Antwort darauf habe, denn dafür sollte ich die Begriffe genau erläutern und das würde hier wohl den Rahmen sprengen. Ich versuche es über ein Beispiel: In der Krise wurde ich oft gefragt, wie es den Künstler*innen geht und ich habe mich gewundert, warum niemand die Kulturarbeiter*innen einbezieht. Es stecken ja viel mehr Menschen hinter all den Kunst- und Kultur-Produktionen. Bei der IG Kultur Vorarlberg sprechen wir übrigens immer von Kunst- und Kulturakteur*innen. Das schließt neben den Künstler*innen auch jene Bereiche ein, die den Kulturbetrieb ermöglichen, beispielsweise Veranstaltungsorganisation, Technik oder Kulturvermittlung. Und ja, auch diesen Personen ist es in der Krise schlecht gegangen. Allerdings wurden und werden sie meist nicht genannt und berücksichtigt.

Fakten

Zur Person:
Geboren im Münsterland (D) kam Mirjam Steinbock mit 23 Jahren nach Vorarlberg, arbeitete u.a. als Goldschmiedin und Produktionsleiterin diverser Festivals. Seit 2015 ist sie selbstständig im Bereich Text, PR und Moderation. Seit 2017 ist sie Geschäftsführerin der IG Kultur Vorarlberg und seit 2022 Bundesvorsitzende der IG Kultur Österreich.

„Krone“: „Ohne Kunst wird‘s still“, hieß es während Corona. Ist es tatsächlich still geworden bzw. still geblieben?
Steinbock: Was das analoge, live dargebotene Kulturerleben während der Lockdowns anging, ja. Bis jetzt wirkt die Pandemie nach und sie wird es noch eine ganze Weile tun. So gibt es beispielsweise eine Publikumsschicht, die komplett weggefallen ist - wahrscheinlich, weil der Respekt vor dem Virus zu groß ist oder sich manche im häuslichen Umfeld sicherer fühlen. Das betrifft die Seite der Konsument*innen. Die Akteur*innen waren enorm aktiv während der Krise, haben umorganisiert, verlegt, abgesagt, neu konzipiert. Alles andere als still. Abgesehen davon befindet sich die Szene in einem großen Transformationsprozess. Umbrüche gibt es immer wieder, der jetzige scheint mir aber angesichts der Umstände - die sich verändernden Bedürfnisse, die Angst vor neuen Einschränkungen, die geopolitische Lage - besonders herausfordernd.

„Krone“: Gleichzeitig hat die Corona-Krise gezeigt, dass Kunst und Kultur überall sind.
Steinbock: Genau. Wir sind ständig damit konfrontiert, nutzen und konsumieren Kunst im Grunde täglich und möchten uns ja auch mit schönen, inspirierenden Dingen umgeben. Viele sind sich darüber allerdings gar nicht im Klaren. Ein gutes Beispiel sind Filme oder Serien, die sich während der Lockdowns ja großer Beliebtheit erfreuten. Kein Film kommt ohne Literatur, Bühnenbild, Regie, Schauspiel, Tanz oder Musik aus. Damit nutzen wir viele Kunstsparten in ihrem Zusammenspiel ganz selbstverständlich. Für die Akteur*innen ist wichtig, dass das gesehen und wertgeschätzt wird. Kunst ist eine Profession und die gehört entsprechend honoriert.

„Krone“: Für Letzteres macht sich u. a. die IG Kultur als Interessenvertretung autonomer Kulturinitiativen stark.
Steinbock: Unser Hauptinteresse besteht darin, die Arbeitsbedingungen für emanzipatorische, zeitgemäße Kulturarbeit zu verbessern. Aktuell geht es uns insbesondere um das Thema Fair Pay, also die gerechte, adäquate Bezahlung professioneller Kulturarbeit. Die Stimmung ist vor allem in politischer Hinsicht emotional sehr aufgeladen, denn an den Kulturbudgets wird meist gespart. Es fehlt oft ein klares Bekenntnis für Kunst und Kultur. Bevor ein solches Bekenntnis abgelegt werden kann, bedarf es ein Bewusstsein dafür, wie im Kunst- und Kultursektor gearbeitet wird und in welchen Bereichen die Rahmenbedingungen verbessert gehören. An dieser Stelle kommen wir ins Spiel. Im Sinne unserer 60 Mitglieder in Vorarlberg engagieren wir uns kulturpolitisch, klären auf und verhandeln. Wir informieren, beraten, vernetzen und schauen, was es braucht, um die kulturelle Produktion, aber auch den Zugang zur Kultur zu verbessern. Wichtig ist, dass der Zugang niederschwellig ist, sodass Kulturbeteiligung nicht nur einem bestimmten gesellschaftlichen Milieu vorbehalten bleibt.

„Krone“: Welche Aufgabe haben Kunst und Kultur in der Gesellschaft?
Steinbock: Ich glaube nicht, dass es eine klare definierte Aufgabe gibt, sondern dass das jeder Mensch für sich persönlich erschließen darf. Kunst und Kultur können etwas auslösen und dadurch etwas bewirken - beim Einzelnen wie in der Gesellschaft. Kunst, in meinem Fall vor allem Tanz und Musik, hilft mir, Distanz zum Ego zu schaffen und von einer anderen Warte aus zu reflektieren. Gleichzeitig kann mich diese Reflexion mir selbst und anderen wieder näherbringen. Und das kann jenen Halt geben, den wir in einer kapitalistisch orientierten Welt oft nicht finden. In Zeiten großer Unsicherheit braucht es einen stabilen Boden, eine Basis. Kunst und Kultur tragen maßgeblich dazu bei.

„Krone“: …und die Kultur bringt uns zusammen, ist doch jede Veranstaltung eine Möglichkeit, sich auszutauschen.
Steinbock: Ja, darin liegt eine enorme Kraft und damit diese wirken kann, braucht jede Veranstaltung eine gute Gastgeberschaft. Das vermisse ich leider oft. Es muss nicht alles perfekt sein, aber es gibt gewisse Regeln. Das fängt schon bei der Einladung an: Wenn die klar formuliert ist, dann weiß ich als Gast, in welchem Rahmen ich mich bewegen kann und bekomme Freiheit. Auch der Raum und eine ansprechende Ausstattung sind von großer Bedeutung. Außerdem braucht es eine Mitte, ein Thema, um das sich eine Veranstaltung dreht. Das kann örtlich sein, etwa eine Feuerstelle oder ein Buffet, oder inhaltlich bespielt werden mit Musik, einem Theaterstück, einer Lesung. Wenn Gastgeber es zudem verstehen, präsent zu sein, Verbindungen zu schaffen und die Gäste zu begrüßen und zu verabschieden, dann ist schon ganz viel geglückt, was den Zweck des Zusammenkommens betrifft. Und letztlich wollen wir doch alle eine sinnstiftende Zeit erleben, um uns selbst und andere zu spüren und uns zu entwickeln.

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