55 Fälle in 8 Jahren

Und plötzlich steht das Wirtshaus im Dorf leer

Tirol
06.02.2022 16:00

In einem Zeitraum von acht Jahren haben in Tirol exakt 55 Wirtshäuser ihre Tore für immer geschlossen. Die Uni Innsbruck erforschte die Ursachen dafür - und liefert Gegenstrategien. Auch Wirtesprecher Alois Rainer nimmt Stellung zum Wirtshaussterben in Tirol.

Ein Schild mit der Aufschrift „vorübergehend geschlossen“ hängt an der Hauswand. Der Blick durch das Fenster daneben zeigt Tische mit daraufgestellten Stühlen, einen Bartresen, auf dem sich der Staub sammelt und in der Ecke übereinandergestapelte Bierkisten mit leeren Flaschen. Nur wenige Tage später wird das Schild mit „zu vermieten“ oder „dauerhaft geschlossen“ ersetzt. Den Passanten ist schnell klar: Ein weiteres Wirtshaus ist für immer Geschichte!

Dieses Bild gab es in den Jahren 2012 bis 2020 in Tirol exakt 55 Mal. So viele Wirtshäuser haben in diesem Zeitraum ihre Tore für immer geschlossen. Ein Rückgang um 13,29 Prozent, wie eine aktuell veröffentlichte Studie der Universität Innsbruck zeigt.

Besonders traditionelle Wirtshäuser sind bedroht
Zwei Jahre lang hat sich Alexander Plaikner vom Forschungszentrum Tourismus und Freizeit mit dem Wirtshaussterben in Tirol beschäftigt. Mitgewirkt haben die Standortagentur Tirol, die Tirol Werbung und das Land Tirol. „In insgesamt vier Teilstudien haben wir 32 ausführliche Interviews mit Vertretern aus der Gastronomiebranche geführt“, erläutert der Wissenschaftler die Vorgehensweise seiner Arbeit, die mehr als 40 Seiten umfasst.

Das grobe Fazit lautet: Besonders traditionelle und regionale Wirtshäuser sind vom Aussterben bedroht. Und: „Einfach nur Gasthaus zu sein, das reicht heute nicht mehr aus.“

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Die Gasthäuser müssen ihre Angebote an neue Zielgruppen anpassen und beispielsweise Takeaway- oder Lieferservices anbieten.

Alexander Plaikner vom Forschungszentrum Tourismus und Freizeit der Universität in Innsbruck

Fachkräftemangel und veränderte Anforderungen
Die Herausforderungen, mit denen sich die Betriebe konfrontiert sehen, sind laut Plaikner wie folgt: Fachkräftemangel, demografischer Wandel, sich verändernde Gästeanforderungen, eine fehlende Differenzierung von der Konkurrenz und Probleme bei der Übernahme. Doch wie sehen die Lösungen aus? Auch diese hat der Experte zusammen mit den Studierenden Barbara und Katharina Weiskopf in der Studie erarbeitet.

„Die Gasthäuser müssen ihre Angebote an neue Zielgruppen anpassen und beispielsweise Takeaway- oder Lieferservices anbieten“, so der Vorschlag.

Neue Konzepte, um das Aussterben zu verhindern
Doch welche neuen Angebote könnten das sein? Auch dazu liefern Plaikner und die Studierenden Ideen. „Eine besteht darin, dass das Gasthaus Kindergärten, Schulen und Altersheime bekocht und beliefert.“ Eine weitere Möglichkeit wäre, wieder vermehrt Veranstaltungen im Wirtshaus abzuhalten. „Eine andere Konzeptidee für Gasthäuser liegt in der Umsetzung einer Art Hofladen, ähnlich wie bei Bauernhöfen. Ein Gastwirt hat das Recht, jedes seiner verarbeiteten Lebensmittel zu verkaufen.“

Wiederum ein anderer Vorschlag sieht vor, dass einer oder mehrere Räume untertags als Büro vermietet und abends für Veranstaltungen genutzt werden.

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Die Befragten waren der Meinung, dass gerade Initiativen wie beispielsweise "Tirol zualosn" helfen.

Alexander Plaikner

Auch die Politik im Land ist bei Lösung gefordert
Freilich braucht es darüber hinaus auch Hilfe von der Politik. Dabei spielen zwar auch finanzielle Hilfen eine Rolle, „die Befragten waren jedoch der Meinung, dass gerade Initiativen wie beispielsweise ,Tirol zualosn‘ helfen“, sagt Plaikner. Abschließend betont der Experte, dass es mit der Studie noch nicht getan ist.

„Uns interessiert in Zukunft noch etwa, welche Rolle Gasthäuser für die Dorfgemeinschaft haben, wie man durch gutes Immobilien- und Raumplanungsmanagement dem Gasthaussterben entgegenwirken kann oder wie durch die Etablierung einer starken Arbeitgebermarke ein guter Personalstamm aufgebaut werden kann.“

„Wirtshaus im Dorf ist das Wohnzimmer“
Tirols Wirtesprecher Alois Rainer nimmt im „Krone“-Interview Stellung zum Wirtshaussterben in Tirol.

Krone: Welche Regionen sind vom Wirtshaussterben betroffen?
Alois Rainer: Das lässt sich nicht auf einzelne Regionen herunterbrechen. Klar ist, dass Gemeinden abseits touristischer Ströme und mit wenig gewerblichen Betrieben deutlich stärker betroffen sind.

Hat die Pandemie das Aussterben verstärkt?
Sie hat eine Übernahmeskepsis begünstigt. Der unklare Zukunftsblick schreckt viele potenzielle Übernehmer leider ab.

Wie kann die Politik - zusätzlich zu finanziellen Hilfen - dem Wirtshaussterben entgegenwirken?
Viele Maßnahmen wie Investitions- und Beratungsförderungen gibt es bereits. Diese müssen fortgesetzt und, wo nötig, ausgebaut werden.

Was geht verloren, wenn ein Wirtshaus im Dorf für immer zusperrt?
Das Wirtshaus ist meist das Wohnzimmer des Dorfes. Hier trifft sich Jung und Alt, es wird gelacht, gefeiert und auch getrauert. Das Wirtshaus ist das soziale Kernstück einer jeden Dorfgemeinschaft.

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