29.12.2021 04:00 |

Fluch und Segen

Over-the-Air-Updates: Das Auto wird zum Smartphone

Werkstattbesuch war gestern. Heute lassen sich Autos über Mobilfunk aus der Ferne aktualisieren und optimieren. Die sogenannten „Over-the-Air-Updates“ sind nicht nur bei E-Autos zunehmend Standard. Für den Verbraucher hat das Vor- und Nachteile.

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(Bild: kmm)

Bei Handy und Computer sind wir es längst gewohnt: In regelmäßigen Abständen aktualisieren sich die Geräte automatisch und im Hintergrund. Beim nächsten Einschalten gibt es plötzlich neue Funktionen oder eine hübschere Grafik. Im Idealfall. Manchmal fallen auch liebgewonnene Bedien-Routinen weg. Oder die schöne Darstellung beeinträchtigt die Arbeitsgeschwindigkeit des Grafik-Prozessors so stark, dass flüssiges Arbeiten nicht mehr möglich ist.

Beim Auto hat Tesla die Technik populär gemacht. Die computeraffine Community hat die Fernwartung per Funk sofort akzeptiert, jede neue Aktualisierungsrunde freudig begrüßt und aufgeregt nach neuen Funktionen gesucht. Die klassischen Hersteller haben das zunächst eher misstrauisch beäugt: Bringt da jemand ein unfertiges Produkt auf den Markt und verkauft die ständigen Nachbesserungen auch noch als besonderes Event? Schnell machte der Vorwurf die Runde, Unternehmen wie Tesla würden ihre Kunden als sogenannte Beta-Tester missbrauchen. So heißen in der Büro- und Unterhaltungs-Software Nutzer, die die Spiele oder Programme vorab testen und Fehler finden, bevor das Produkt offiziell in den Verkauf geht.

Doch die frühen Vorbehalte haben sich gelegt - nicht zuletzt, weil die Möglichkeit der nachträglichen Software-Änderung Nachbesserungen an Fahrzeugen in Kundenhand einfacher macht. Denn für bestimmte Aktualisierungen und das Aufspielen neuer Funktionen müssen Fahrzeuge nun nicht mehr zwingend in die Werkstatt beordert werden. Sicherheitsrelevante Funktionen sind zwar von der Fernwartung in der Regel ausgeschlossen, Infotainment, allgemeine Bedienung, bestimmte Fahrwerksfunktionen oder Teile des Strom-Ladesystems können aber durchaus aus der Ferne aktualisiert werden. Allerdings hat Tesla auch bereits ein Bremsenproblem beim Model 3 per Update gelöst.

Updates können Probleme verschleiern
Auch der Volkswagen-Konzern setzt aus diesem Grund auf OTA-Updates. Seit dem Herbst sollen etwa bei den ID-Modellen alle zwölf Wochen kostenlos Aktualisierungen per Mobilfunk erfolgen, die neue Funktionen und Feherbehebungen bieten. Zum Start im September gab es unter anderem Verbesserungen bei der Bildverarbeitung der Frontkamera sowie Modifikationen an der Grafik des Bord-Bildschirms. Zudem liefert das Leuchtband unter der Windschutzscheibe nun Hinweise zum energiesparenden Fahren und Informationen in Zusammenhang mit der automatischen Distanzregelung. Ähnliche Angebote gibt es bei VW bereits für den Golf, weitere Modelle werden folgen. Auch Hersteller wie Audi, BMW, Mercedes, Volvo oder Ford haben längst OTA-fähige Fahrzeuge im Programm. Für den Kunden ist dieser Software-Support von Vorteil, hält er doch die Bord-Elektronik auch Jahre nach der Auslieferung auf einem aktuellen Stand. Andererseits befürchten Experten wie der ADAC mangelnde Transparenz bei den Updates. Fehler könnten so etwa heimlich, still und leise behoben werden, ohne dass der Kunde von ihrer Existenz erfahren hat.

OTA als Geldquelle für Hersteller
In absehbarer Zeit wird wohl kein Hersteller mehr auf drahtlose Updates verzichten wollen. Denn an der Technik hängen auch neue Geschäftsmodelle: Neben kostenlosen Updates bieten immer mehr Hersteller auch herunterladbaren Sonderausstattung an. So lässt sich gegen Zahlung einer Gebühr etwa Navigations-Software aufspielen oder sogar besseres Fahrlicht freischalten. Bei Audi etwa zahlt man für die Nutzung der LED-Matrix-Scheinwerfer rund 260 Euro pro Jahr. Auch hierbei setzen die Hersteller auf eine wachsende Kundenakzeptanz solcher Modelle - geschult an Software, Streaming-Diensten und anderen digitalisierten Dienstleistungen.

Taycan an OTA gescheitert
Ganz ausgereift sind die Technik und die daran hängenden Services allerdings bislang noch nicht. Das musste kürzlich beispielweise Porsche erleben. Der Sportwagenhersteller wollte seine E-Limousine Taycan „over the air“ mit neuen Funktionen versorgen, doch die Datenmenge war zu groß für die Luftschnittstelle, sodass die betroffenen Kunden mit ihren hochvernetzten Hightech-Autos doch wieder in die Werkstatt mussten. Im Netz sorgte das für Erheiterung und Spott.

Eine andere Art von Stolperfalle ist bei E-Auto-Bauer Polestar zu sehen. Die Volvo-Tochter bietet ihren Kunden seit Kurzem ein Motorleistungs-Upgrade an: Per Mobilfunk lässt sich eine neue Software aufspielen, die aus dem E-Antrieb 50 kW/68 PS extra herausholt. Kostenpunkt: 1000 Euro. Was Kunden erst im Kleingedruckten sehen: Durch die Mehrleistung verfällt die Betriebserlaubnis des Fahrzeugs. Wer es weiter nutzen will, muss eine Einzelabnahme bei der Landesprüfstelle/MA46 durchführen lassen. Auch die Versicherung muss informiert werden. Keine attraktiven Aussichten für ein paar PS mehr. Das Angebot dürfte sich vor allem an Kunden in anderen, weniger stark regulierten Märkten richten.

Trotz solcher Schwierigkeiten könnten drahtlose Software-Aktualisierungen am Ende Herstellern und Kunden gleichermaßen nutzen. Ob vor allem letztere zu Fans der Technik werden, hängt jedoch auch davon ab, wie gut sie gelingen, wie transparent sie sind und welche Nutzer-Vorteile sie bringen. (SPX)

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(Bild: kmm)