Hahns Arbeit online

Plagiatsjäger legen mit neuer Austro-Wiki einen Gang zu

Österreich
07.03.2011 12:16
Die erst am Sonntag gegründete "Initiative Transparente Wissenschaft" hat einen rasanten Start hingelegt. Sie fordert von Wissenschaftsministerin Beatrix Karl in einem offenen Brief "lückenlose und insbesondere transparente Aufklärung" von etwaigen Plagiatsfällen in Österreich. Karl sagte sogleich ein Treffen zu. Als Erstes wollen die Akademiker offenbar die Plagiats-Schlingen um die Hälse von Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser und EU-Kommissar Johannes Hahn enger ziehen. Die Dissertation von Letzterm sei "inhaltlich gehaltlos" und "stellenweise lächerlich".

"Es geht um den Wert und den Sinn unserer wissenschaftlichen Arbeiten und auch darum, dass akademische Grade nicht allgemein entwertet werden", heißt es in dem offenen Brief, der von heimischen Akademikern per E-Mail unterzeichnet und damit unterstützt werden kann.

In ihrem Wiki zur Initiative rufen die Initiatoren Gerhard Fröhlich vom Institut für Philosophie und Wissenschaftstheorie der Uni Linz, Medienwissenschaftler Stefan Weber und Herbert Hrachovec vom Philosophie-Institut der Uni Wien Karl konkret dazu auf, für eine Überprüfung der wissenschaftlichen Abschlussarbeiten von EU-Kommissar Johannes Hahn und Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser zu sorgen. Auch der Fall der nach Ansicht der Initiatoren "teilplagiierten Habilitationsschrift" von Hubert Biedermann, dem Vizerektor der Montanuniversität Leoben, müsse weitreichender aufgeklärt werden, als das bisher ein universitätsinterner "Weisenrat" hinter verschlossenen Türen nur unzureichend geleistet habe.

Mehr Transparenz von Karl gefordert
Zudem sollen jene Kräfte gebündelt werden, "die für eine ehrliche, transparente Bearbeitung von Anschuldigungen und Verdachtsfällen stehen" und dies auch mit Hilfe von Methoden wie "open review" oder "Plagiarismus-Wikis" tun. Von Karl wird gefordert, die Verfahren und Ergebnisse von Begutachtungsprozessen durch Publikation im Internet transparent zu machen. Die Plattform wolle "die ehrlich arbeitenden österreichischen Studierenden" schützen, der Wert wissenschaftlicher Abschlussarbeiten sei durch die Plagiatsdebatte im Moment gefährdet, warnt die Initiative die Wissenschaftsministerin. Deshalb dürften "keine etwaigen Fälle von Plagiarismus oder Fälschung in der Wissenschaft verharmlost oder gar komplett in Abrede gestellt werden".

Wissenschaftsministerin Beatrix Karl hat als Reaktion auf die aktuelle Plagiatsdebatte am Montag eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Diese soll klären, "wo wir stehen und welche Maßnahmen gesetzt werden, um solche Fälle aufzudecken oder von vornherein zu verhindern", so Karl. Bereits am Nachmittag sollte sie sich "für eine erste Bestandsaufnahme" mit Vertretern von Universitäten, Fachhochschulen, Privatuniversitäten und der Österreichischen Agentur für wissenschaftliche Integrität treffen.

Schluss mit "Doktortitel für Visitenkarte und Türschild"
Die Initiative zielt mit ihrer Aktion allerdings nicht nur auf den "Schutz des Wissenschaftsstandortes Österreich". Sie will auch eine Debatte über die Kriterien für wissenschaftliche Abschlussarbeiten anregen: Diese sollten künftig weniger nach quantitativen Kriterien wie Anzahl der Fußnoten und Literaturtitel, sondern mehr nach qualitativen Kriterien wie Originalität der Fragestellung und eigene Interpretationsarbeit verfasst und beurteilt werden, so die Anregung. Das Doktoratsstudium soll, geht es nach der "Initiative Transparente Wissenschaft", ausschließlich jenen vorbehalten sein, die eine wissenschaftliche Karriere anstreben.

"Eine Doktorarbeit vom bezahlten Ghostwriter oder einen Doktortitel für Visitenkarte und Türschild darf es nicht mehr geben, weder in Österreich noch anderswo." Aber auch Bachelor- und Diplomarbeiten müssen ihren Wert wieder erlangen, der im Moment durch die Plagiatsdebatte gefährdet ist.

Hahns Arbeit "stellenweise lächerlich"
Auf der Internet-Plattform ist neben dem Brief an die Ministerin eine Sammlung von Entscheiden des Verwaltungsgerichtshofs zu akademischen Plagiaten zu finden. Außerdem ist auch ein Schreiben Hrachovec' an das Rektorat veröffentlicht, in dem er diesem mangelnden Willen zur Aufklärung der Vorwürfe gegen Ex-Wissenschaftsminister Hahn vorwirft.

Hrachovec hat bereits vor Längerem die ersten 100 Seiten von Hahns Dissertation untersucht und seine Analyse im Internet veröffentlicht. Sein Urteil fiel vernichtend aus, die Arbeit sei "nicht nur inhaltlich gehaltlos (und stellenweise lächerlich)", sondern genüge "darüber hinaus nicht wissenschaftlichen Minimalstandards". Die Analyse samt der in den meisten Bibliotheken vergriffenen Arbeit Hahns in digitaler Form ist auch unter de.plagipedi.wikia.com abrufbar, einer Website, auf der kollektiv nach abgeschriebenen Stellen in wissenschaftlichen Arbeiten von Prominenten gesucht wird und deren Recherche-Ergebnisse maßgeblich am Rücktritt des deutschen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg beteiligt waren.

Hahn weist Plagiatsvorwürfe zurück
EU-Kommissar Hahn selbst weist den Plagiatsverdacht in Bezug auf seine Dissertation "mit aller Entschiedenheit zurück" und schreibt in einer Stellungnahme: "Bereits 2007 wurde in einem Gutachten der Universität Zürich festgestellt, dass in Bezug auf meine Arbeit nicht von Plagiat gesprochen werden kann. In der Einleitung meiner Arbeit wird explizit auf den bewusst gewählten essayistischen Stil der Arbeit hingewiesen. Ich habe meine Dissertation vor 25 Jahren mit aller gebotenen Sorgfalt verfasst".

Im Gutachten der Universität Zürich werde unter anderem festgehalten, "dass Hahn nirgendwo verschleiern wollte, dass er über Kohr spricht; auch ist für den Leser immer klar, dass Hahn von Kohr spricht und wo er Kohrs Wortlaut finden kann", hieß es in der Stellungnahme weiter.

Neuer Uni-Rektor: Keine konkrete Anzeige gegen Hahn
Der designierte Rektor der Universität Wien, Heinz Engl, wollte am Montag zum erneuten Plagiatsvorwurf gegen Hahn vorerst nichts sagen. Als das Thema erstmals behandelt worden sei, sei er noch nicht an der Uni Wien gewesen, so Engl. "Außer öffentlichen Darstellungen gibt es derzeit keine konkrete Anzeige", meinte Engl. Sollten aber neue Fakten auftauchen, werde die Arbeit "wie bei jedem anderen auch" vom zuständigen Organ, in diesem Fall der Studienpräses, ordentlich geprüft.

"Es geht nicht darum, ob die Dissertation Hahns eine besonders gute, mittelmäßige oder schlechte war", betonte Engl. Das könne er inhaltlich auch gar nicht beurteilen. "Es geht nur darum, ob der Plagiatsvorwurf richtig ist." Bei der erstmaligen Diskussion vor vier Jahren sei "die besondere Schwierigkeit gewesen, dass Hahn gleichzeitig auch Aufsichtsbehörde der Uni Wien war". Deshalb habe man die Überprüfung der Arbeit an die Uni Zürich ausgelagert, diese habe keine Hinweise auf ein mögliches Fehlverhalten gefunden. Die Mitglieder der neuen Plagiats-Plattform weisen allerdings darauf hin, dass der Uni Zürich offenbar nur korrekt wirkende Passagen zur Prüfung übersandt worden seien.

100 Plagiatsfälle in den letzten drei Jahren
An der Uni Wien werden derzeit alle neuen Diplomarbeiten und Dissertationen mittels Prüfungssoftware auf mögliche Plagiate untersucht, so Engl. In den vergangenen zwei bis drei Jahren habe es rund 100 Fälle gegeben, bei denen die Software eine "rote Flagge" gezeigt habe. In diesen Fällen hätten die Kandidaten bestimmte Stellen ersetzen müssen, in vier Fällen sei die Dissertation komplett abgelehnt worden. Senatsvorsitzender Helmut Fuchs brachte die Betreuungsrelationen (Studenten pro Professor, Anm.) in Verbindung mit der Aufdeckung wissenschaftlichen Fehlverhaltens: Würden sich die Betreuungsverhältnisse bessern, sei es durchaus möglich, dass die Lehrenden auf bestimmte Sachen eher draufkommen. Die Frage sei außerdem, ob man nicht auch mehr Sanktionsmöglichkeiten schaffen solle: "Derzeit gibt es ja nur die Aberkennung des akademischen Grades." Als Problem sieht er vor allem den "hemmungslosen" Einsatz von Ghostwritern.

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