Vor drei Jahrzehnten herrschte quasi vor der Haustüre vieler Steirer und Kärntner Krieg: Als erste Teilrepublik löste sich Slowenien blutig von Jugoslawien. Drei „Krone“-Leser erinnern sich noch genau an jene unsicheren Tage im Juni 1991 - und erzählen, was sie erlebt haben. Auch „Krone“-Redakteur Martin Radinger hat sich der „10-Tage-Krieg“ ins Gedächtnis eingebrannt.
Es gibt Erlebnisse, die prägen sich so tief ins Gedächtnis ein, dass sie noch Jahrzehnte später detailliert und bildlich präsent sind: Am 28. Juni erhielten wir in der Redaktion die Information, dass es in Grablach zu militärischen Auseinandersetzungen kommen könnte. Mit unserem erfahrenen Fotografen Klaus Kreuzer, der leider im Juni 2015 im Alter von nur 54 Jahren viel zu früh verstorben ist, machte ich mich auf den Weg nach Südkärnten. Ein sonniger, angenehm warmer Frühsommertag. „Reporter-Routine“, dachte ich.
Vor Ort: ein entspanntes „Familientreffen“. Etliche bekannte Kolleginnen und Kollegen, Fotografen, Kamerateams, einige Gendarmen. Ich plauderte mit meinem Freund Arno Wiedergut, APA-Chef in Kärnten, der auf der Rückbank eines Autos saß, wenige Meter vom Grenzbalken entfernt. Ich stand bei der offenen Beifahrertür, wir genossen Milchkaffee, den uns eine Bäuerin aus dem Ort gebracht hatte.
Die Idylle wurde jäh unterbrochen: Eine Gruppe von Journalisten, die auf slowenischer Seite recherchieren wollte, rannte zurück nach Österreich: „Die Slowenen haben gesagt, wir sollen verschwinden.“ Und sie rannten um ihr Leben.
„Kugeln pfiffen uns um die Ohren“
Augenblicke später brach das Inferno los. Gewehrfeuer, Geknatter von Maschinengewehren, Artillerie-Geschosse, Granaten schlugen in die slowenische Grenzstation ein. Kugeln pfiffen uns buchstäblich um die Ohren, über uns, links, rechts - Wiedergut hatte sich flach auf die Pkw-Rückbank gelegt, ich kauerte mich hinter dem Heck des Wagens auf den Boden, den Becher mit warmem Kaffee noch in der Hand. Ich war völlig geschockt: „Warum schießen die auf uns? Was ist, wenn das Auto getroffen wird und explodiert?“
Grenzstation in Brand
Kugeln schlugen auf dem Asphalt der Straße auf, trafen Bäume, zischten durch deren Laub. Dazwischen gab es kurze Feuerpausen. Sanitäter transportierten die Verwundeten ab. Junge slowenische Soldaten hatten sich - 100 Meter von uns entfernt - unter einer Böschung verschanzt. Einige wurden getroffen. Jugoslawen feuerten aus einem Wäldchen auf einem Hügel links oberhalb der Grenzstation - die in Brand geschossen wurde. Plötzlich lief ein verängstigter Schäferhund aus dem brennenden Haus. Wir lockten ihn durch Rufe an. Klaus gelang es, den dramatischen Augenblick festzuhalten.
Eine junge Reporterin eines deutschen TV-Teams, die hinter einer Mauer Schutz gesucht hatte, zitterte am ganzen Körper, weinte bitterlich, ein veritabler Nervenzusammenbruch, sie war untröstlich.
Sie wollten sich ergeben, dann fielen Schüsse
Und dann: Aus einer Kaserne, eher einer Baracke links oberhalb der Station, kam eine Gruppe jugoslawischer Soldaten. Zehn oder zwölf. Unbewaffnet, sie trugen ein großes weißes Leintuch wie einen Baldachin über ihren Köpfen, mit erhobenen Händen. Sie wollten sich ergeben. Doch dann wurde auf sie geschossen. Einige brachen zusammen. Auch sie wurden von den Sanitätern weggebracht. Eine slowenische Untersuchungskommission kam später zu dem Ergebnis: „Das war kein Kriegsverbrechen.“
„I glab, jetzt is es vorbei!“
Nach einer gefühlten Ewigkeit trat Ruhe ein, gespenstische Ruhe. Nur das Knistern des Feuers war zu hören, das die Grenzstation völlig vernichtete. „I glab, jetzt is es vorbei!“, meinte ein Gendarm, der sich um den Schäferhund kümmerte. Wir sammelten noch einige Projektile vom Asphalt der Straße auf. Makabre Souvenirs. Mit Klaus machte ich mich auf den Weg zurück in die Redaktion. Eher wortkarg. Marlboro rauchend.
Das Schreiben der Reportage fiel mir - gezeichnet von den grausamen Erlebnissen - relativ schwer. Klaus hatte in grandiosen Fotos den Schrecken eindrucksvoll festgehalten. Erst viel später habe ich realisiert, dass wir alle dort eigentlich in Lebensgefahr waren. Es war Krieg!
Martin Radinger
Krieg vor der Haustüre vieler Kärntner und Steirer
„Unglaublich, wie viele Flugzeuge fliegen denn da heute drüber?!“ - Das dachte sich der heute 57-jährige Kärntner Johann Glawischnig vor genau drei Jahrzehnten. Damals ein junger Mann mit 27 Jahren und gerade fleißig bei der Feldarbeit am elterlichen Bauernhof, dachte er zuerst an eine Übung des Bundesheeres: „Als dann aber das Militär aufkreuzte und den Checkpoint errichtete, war mir schnell klar: Das ist was Ernsteres! Der Kommandant und seine Truppe waren ja bei uns im Haus einquartiert“, erinnert sich Glawischnig im Gespräch mit der „Krone“.
200 Meter von der slowenischen Staatsgrenze entfernt erlebte er in seinem Wohnort in Leifling in Südkärnten den Jugoslawienkrieg 1991 hautnah mit: „Natürlich hatte ich auch Angst! Wir wussten ja nicht, wie es weiter geht, da war sehr viel Unsicherheit.“
Panzersperren & Militär-Checkpoint
Bald wurden die im Ort verteilten Panzersperren, die rot-weiß-rot bemalten Fässer und das Bundesheer zum Alltag: „Das waren seltsame Tage - in nächster Nähe herrschte Krieg, viele Flüchtlinge kamen durch den Ort. Ich konnte trotzdem mähen und das Heu ernten. Unsere Felder und Wiesen reichen ja bis direkt zur Grenze. Ich wusste: In 300 Metern beginnen die Minenfelder.“ In den Arbeitspausen sprach Glawischnig mit den Soldaten: „Die waren ja bestens informiert. Da habe ich immer nachgefragt, was los ist.“ Und das oberkörperfrei, denn es war ja Sommer...
Weltpolitik in den Weinbergen
„Als Kinder haben wir uns nicht einmal getraut, den Fuß über die Grenze zu setzen. Da wurde genau kontrolliert, wenn man erwischt wurde, haben sie dich mitgenommen nach Marburg“, erzählt Manfred Tement. Seine Weinberge der Lage Zieregg liegen direkt an der Grenze zu Slowenien in Ehrenhausen an der südsteirischen Weinstraße - ein kleiner Teil lag sogar auf slowenischem Territorium.
Das war vor dem Fall des Eisernen Vorhangs. An den Juni 1991, als Slowenien die Unabhängigkeit erklärte und der Krieg ausbrach, kann er sich genau erinnern. „Gleich in der Nähe von Spielfeld haben sie eine Kaserne bombardiert. Wir haben gesehen, wie sie gebrannt hat“, erzählt Tement. Der Krieg rückte furchterregend nahe. Das Militär hatte sich in den Weingärten positioniert. „Wir hatten einen Journalisten bei uns, der eigentlich noch zu einem anderen Weingut wollte, aber dann geflüchtet ist.“
Die junge Familie lebte einige Tage lang in Furcht und Unwissen. „Meine Frau war gerade schwanger, wir haben Weinflaschen abgefüllt. Da sind die Kampfflugzeuge direkt über uns geflogen. Wir haben uns wahnsinnig gefürchtet.“
Nachbarn flüchteten aus ihren Häusern
Viele Nachbarn brachen auf, evakuierten ihre Häuser. „Wir konnten nicht davonrennen, wir hatten ja unser Weingut, das versorgt werden musste. Aber einige hatten Angst, dass Rückzugsgefechte in der Weinstraße sein könnten.“ Es waren schreckliche Tage im Juni 1991, schildert der Winzer, „aber dann war es schnell wieder vorbei“. Nach dem EU-Beitritt von Slowenien hat er sein Gebiet dort erweitert, heute gehören 25 Hektar der Lage Ciringa zum Weingut.
Interview mit dem Bürgermeister von Bad Radkersburg
Bevor er Bürgermeister von Bad Radkersburg wurde, war Heinrich Schmidlechner Soldat - und 1991 an der Grenze hautnah mit dabei.
„Krone“: Wie haben Sie die Situation im Juni 1991 erlebt?
Heinrich Schmidlechner: Ich war damals Offizier-Stellvertreter und 42 Jahre alt. Ich wurde aus Radkersburg nach Straß abgezogen. Dort mussten wir in der Kaserne warten. Meine Frau war mit den Kindern plötzlich alleine. Bei der Grenz-Brücke in Bad Radkersburg waren Panzer in Stellung. Hätte sie jemand überschritten, hätte man eingreifen müssen. Auch unsere Waffen hatten scharfe Munition. Wir mussten damit rechnen, dass es zu Kämpfen kommen kann. Dass wir da sind, um die Grenze zu sichern.
Zu welchem Einsatz mussten Sie selbst?
Es gab einen Einsatz bei der Grenze in Leutschach. Drüben haben Kampfhandlungen stattgefunden, wir haben die Grenze abgeriegelt, damit keine Soldaten sie überschreiten.
Wie war es für Sie, als der Einsatz vorbei war?
Tage später sind wir durch die Dörfer gefahren. Die Leute haben geklatscht - übrigens auch, als der Draken geflogen ist, der ja vorher in der Kritik stand. Das war schon ein Einsatz, den man nicht vergisst.
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