15.06.2021 06:00 |

Helden von heute

EUROphorie: Warum uns der Sport so emotional macht

Nach dem Auftaktsieg von Österreich bei der Fußball-Europameisterschaft (siehe Video oben) ist die Stimmung im Land bestens. Bei Anhängern von Verliererteams fließen hingegen Tränen. Doch warum werden Sportfans ganz allgemein so emotional? Was treibt sie an? Wie stark wirken sportliche Höhepunkte auf die Gesellschaft? Sozialforscher und Anhänger geben Antworten.

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Eskapismus. So nennt die Wissenschaft den Ausbruch aus dem oft wenig schillernden Alltag. Eine Art Flucht war auch der Sieg Österreichs über Nordmazedonien. Vor einem Fluch. Für die Sportler und die Fans. Nüchtern betrachtet, ein normales Ereignis. „Und doch viel mehr“, sagt Sportsoziologe Otmar Weiß von der Uni Wien. Derartig historische Leistungen im Sport seien etwas Besonderes für ein Selbstverständnis einer Nation bzw. die Gesellschaft.

Von Mozart bis Schranz
„In erster Linie geht es um die Identifikation“, weiß auch Sportpsychologe Günter Amesberger, „Sport ist perfekt geeignet, uns Zugehörigkeit und Orientierung zu vermitteln. Und er macht uns zu Mitsiegern! Nicht umsonst heißt es: ,Wir haben gewonnen!‘“ Dieses „Wir“ ist auch erforscht worden, etwa durch Historiker Ernst Bruckmüller, der sich mit Österreichs Identität auseinandersetzte. Dabei kam heraus, dass zentrale sinnstiftende Elemente für ein Österreichbewusstsein neben Figuren wie Mozart, Prinz Eugen, landschaftlicher Schönheit und auch Sportlern wie Karl Schranz bedeutende Rollen spielen.

Sport als neue Religion
Der Prozess finde auf mehreren Ebenen statt, sagt der Salzburger Professor Amesberger: „Zum einen entsteht ein starkes Gemeinschaftsgefühl unter den Fans. Zusammen unsere Sportstars anzufeuern gibt uns soziale Sicherheit und Geborgenheit“, sagt der Experte, der selbst einst das österreichische Fußballteam als auch Olympioniken betreute. „Andererseits identifizieren wir uns auch mit den Athleten selbst. Sie sind die Helden unserer Zeit. Sie strahlen eine Faszination aus, nicht zuletzt aufgrund der perfekten Inszenierung in den Medien.“ Ähnlich sieht es Soziologe Weiß. Und er geht noch einen Schritt weiter: „In gewissen Bereichen hat der Sport die Religion abgelöst. Vor allem im Fußball ist diese Entwicklung zu beobachten.“

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Ein Sportevent bietet die Möglichkeit, aus dem Alltag auszubrechen. Es kann intensive Emotionen auslösen. Die Athleten sind die Helden unserer Zeit. Von ihnen geht eine große Faszination aus.

Sportpsychologe Günter Amesberger

Sehnsucht und Warnung
Sowohl für Psychologe Amesberger als auch für den Soziologen Weiß ist die Sehnsucht nach einer anderen Welt ein wesentlicher Faktor. Amesberger warnt jedoch auch vor den Schattenseiten. Vor einer Art Überidentifizierung: „Sie kann zu Ausschreitungen oder gar Nationalismus führen und nicht ungefährlich sein.“ Die schöne Seite ist die Euphorie, wie Soziologe Weiß befindet. „Euphoria bedeutet Fruchtbarkeit oder Produktivität.“ Und steht allgemein für Leidenschaft wie Begeisterung. Euphorie. Man könnte sich daran gewöhnen. Auch wenn jeder gelernte Österreicher weiß: Sie kann auch ganz schnell wieder verpuffen.

Sport als TV-Hit

Wie sehr Sportübertragungen im TV für Zuspruch sorgen, verrät ein Blick auf die Liste der erfolgreichsten ORF-Sendungen in dem Bereich seit 2016.

  • Spitzenreiter bleibt dabei das WM-Finale aus 2018 zwischen Frankreich und Kroatien, das 1,9 Millionen Österreicher vor den Bildschirm holte.
  • Aber wir sind ja eine Skination. Die Silbermedaille geht an den Slalom der Herren in Schladming 2018 (1,8 Millionen).
  • Der Schlager Österreich gegen Portugal bei der EURO 2016 schnitt mit fast der derselben Traumquote ab.

„So etwas lässt kaum einen kalt“
„Der historische Sieg bei einer EURO bedeutet Großes, vor allem für ein kleines Land“, sagt Sportsoziologe Weiß. „Derartige Ereignisse schaffen gerade in schwierigen Zeiten wie Corona Identifikation und erzeugen leicht eine Hochstimmung. Solche Erfolge lassen kaum jemanden kalt.“ Fußballer, aber auch Skisportler, wie einst Toni Sailer, Karl Schranz oder danach Hermann Maier, eignen sich in Österreich als Helden, die auch Identität stiften. „Beim Sport ist, anders als etwa in der Politik, eine Leistung klar erkennbar. Sie kann nicht herbeigeredet werden.“

„Es war oft nicht lustig“
Die Leidenschaft für Sportler und Events erfasst auch Künstler. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Diese emotionale Gemengelage wird dem „Homo Austriacus“ attestiert. Alfred Dorfer stimmt zu. Doch nicht im Fall der Teamkicker. „Xaver Schlager hat das in seiner trockenen Art schön dargelegt. Wir haben ein Spiel gewonnen. Nicht mehr.“ Dorfer ist nicht nur einer der beliebtesten Kabarettisten des Landes, sondern auch glühender Fußball-Fan. Auch des Nationalteams. „Es war oft nicht lustig. Nun sollte das Achtelfinale drin sein.“ Die Euphoriebremse muss betätigt werden. „Im Achtelfinale würde wohl Spanien, Italien oder Frankreich warten.“ Immerhin spiele Alaba jetzt auf der richtigen Position. Abwehrchef.

Kollege Reinhard Nowak ist auch Sport-Fan. Tennis ist seine Leidenschaft: „Für mich ist der Reiz die Spannung. Ich habe selbst gespielt“, erzählt der 57-Jährige, der für Matches von Dominic Thiem oder Rafael Nadal mitten in der Nacht aufsteht: „Ich habe schon zu Musters Zeiten kaum eine Partie versäumt. Ich bin durchgehend fasziniert, auch wenn ein Spiel vier Stunden dauert.“

Erich Vogl
Erich Vogl
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